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Gynäkologin zu 219a-Einigung
"Dann landen wir wohl irgendwann im Gefängnis"

Der Kompromiss der Großen Koalition zum Paragrafen 219a ist nach Ansicht der Frauenärztin Nora Szász ein reines "Mogelpaket". Ärzten drohten weiterhin Strafprozesse und Verurteilungen, sagte Szász im Dlf. Teile der Einigung trügen gar die Handschrift radikaler Lebensschützer.

Nora Szász im Gespräch mit Claudia Hennen | 13.12.2018
    29.08.2018, Hessen, Kassel: Nora Szasz, Frauenärztin, gibt in einer Prozessunterbrechnung ein Interview. Die beiden Frauenärztinnen N. Nicklaus und Nora Szász müssen sich wegen mutmaßlicher Werbung für Schwangerschaftsabbrüche vor Gericht verantworten. Foto: Swen Pförtner/dpa | Verwendung weltweit
    "Unsere schlimmsten Befürchtungen wurden übertroffen": die Frauenärztin Nora Szász (dpa)
    Claudia Hennen: Der Regierungsstreit um den Paragraf 219a - er scheint - zunächst - beigelegt. Zumindest hat sich Mittwochabend die Große Koalition auf einen Kompromiss zum sogenannten Werbeverbot für Abtreibung geeinigt. Es handelt sich konkret um ein Fünf-Punkte-Eckpapier, mit dem der Strafrechtsparagraf überarbeitet werden soll. Demnach sollen Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Schwangere in Konfliktsituationen mit Informationsmaterial versorgen dürfen und dieser Informationsauftrag soll gesetzlich verankert werden.
    Ich habe vor der Sendung mit Nora Szász gesprochen, sie ist Gynäkologin in Kassel und weil sie im Internet darüber informiert hat, dass in ihrer Praxis Schwangerschaftsabbrüche möglich sind, steht sie vor Gericht. Ich wollte wissen, was sie von dem Kompromiss hält.
    Nora Szász: Wir sind sehr enttäuscht darüber. Wir hatten sowieso schon die schlimmsten Befürchtungen, was da dabei rauskommen würde, aber das hat die noch übertroffen, denn wir wussten ja, da sind zwei Seiten, die da miteinander verhandeln: die eine, die die Abschaffung des Paragrafen will, die andere, die die Beibehaltung will.
    "Ein Beibehalten des 219a plus flankierende Maßnahmen"
    Klar, dass man sich da irgendwie in der Mitte treffen muss, aber das ist keine Mitte. Das ist im Grunde genommen, wenn man die Punkte sich einzeln anschaut, ist das ein Beibehalten des 219a plus so etwas flankierende Maßnahmen, und für uns, wenn wir den Eintrag weiterhin auf der Website haben, heißt das weiterhin Kriminalisierung, weiterhin Verfahren, Strafprozesse, Verurteilungen.
    Hennen: Ihre Kollegin Kristina Hänel hat das auch als Nullnummer bezeichnet. Sie sehen es aber noch schlimmer.
    Szász: Weil im Moment das so an die Öffentlichkeit gegeben wird: Jetzt endlich kann Ruhe einkehren, jetzt endlich gibt es den Kompromiss - und das ist natürlich wirklich ein Mogelpaket, denn es ist auch eine ganz absurde Lösung, die jetzt gefunden wurde, dass jetzt also zum 219a ein Zusatz kommen soll - ins Strafgesetz, muss man sich mal vorstellen -, wo dann steht, welche Formulierungen wir auf der Website verwenden dürfen!
    Und das heißt nicht, dass wir schreiben dürfen, dass wir Schwangerschaftsabbrüche durchführen, sondern wir dürfen verweisen auf staatliche oder staatlich anerkannte Einrichtungen, wo Frauen Informationen bekommen. Das ist das Mogelpaket, denn diese Dinge können wir heute schon. Es ist eigentlich nichts von den Dingen, die da formuliert ist, die nicht heute schon möglich wären.
    "Das sind die Lebensschützer pur"
    Und das, was uns sehr, sehr hellhörig macht, ist der fünfte Punkt, der fordert, dass Studien erstellt werden sollen über die "seelischen" Auswirkungen von Frauen nach Schwangerschaftsabbrüchen, und da klingeln alle Alarmglocken, das sind die Lebensschützer pur, die selbsternannten, die da dahinterstecken, denn die reden sehr gerne von den schlimmen Auswirkungen, die Schwangerschaftsabbrüche haben.
    Dann noch, was wirklich ganz abstrus ist: der Begriff "seelisch", der überhaupt kein wissenschaftlicher Begriff ist, da steht nicht mal "psychologisch". Also da haben die im Hintergrund mitagiert. Das muss man ganz klar sagen, und letztendlich haben wir dieser Gruppierung, dieser rechten radikalen Gruppierung ja auch zu verdanken, dass wir überhaupt hier in diese Lage gekommen sind.
    Große Bedenken bei Ärztelisten
    Hennen: Lassen Sie uns noch mal über die Reform reden, über die geplante. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, hat heute früh in unserem Programm bekräftigt, das sei eine gute Hilfe für Frauen und Ärzte. Warum können Sie dem nicht zustimmen?
    Szász: Ich kann dem nicht zustimmen, und es ist auch für mich überhaupt nicht verständlich, wie Herr Montgomery darauf kommt. Es gab natürlich schon mal den Vorschlag der Erstellung einer zentralen Liste, die jetzt ja wieder formuliert wird, die bei der Bundeszentrale für Gesundheit oder bei der Bundesärztekammer angesiedelt ist. Ich habe aber da die größten Bedenken, weil in dem momentanen Klima, denke ich, dass viele Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche momentan durchführen, sich nicht auf diese Liste setzen lassen werden. Dann kommt für mich noch dazu, dass dieses ganze Thema der Listen überhaupt nichts damit zu tun hat, ob wir heute in unserem modernen Zeitalter auf der Website über Dinge informieren dürfen, die wir tun.
    Schwangerschaftsabbrüche sind "gesellschaftliche Tatsache"
    Hennen: Frau Szász, wie steht es aber um den Schutz des Lebens? Das ist das Argument, das die Union immer wieder ins Feld führt.
    Szász: Für mich als Ärztin in der Praxis arbeitend ist es einfach so, dass wir uns den gesellschaftlichen Tatsachen stellen müssen, und die gesellschaftliche Tatsache ist, dass wir momentan ungefähr 100.000 Frauen im Jahr haben, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
    Wie ich jetzt dazu stehe, ob Leben geschützt werden soll, ab wann es anfängt, als Ärztin, das spielt überhaupt keine Rolle. Die Frauen machen den Schwangerschaftsabbruch, und es geht nur darum, ob wir durch gesetzliche Bestimmungen ihnen diesen Weg erschweren oder erleichtern.
    Gleichheit der Geschlechter, guter Zugang zu Verhütungsmitteln
    Der Schutz des Ungeborenen, wenn man in die Richtung denkt, dann ist es natürlich sinnvoll, über Maßnahmen nachzudenken, die die ungewollte Schwangerschaftsrate senken, und das ist ja zuallererst die Gleichheit der Geschlechter, das ist ein guter Zugang zu Verhütungsmitteln. Das ist auch schon gut untersucht, welche Faktoren dazu beitragen.
    Da ist es nicht schlecht, dass wir gesellschaftlich da alle an einem Strang ziehen und dafür sorgen, aber die Illusion, dass wir dahinkommen, dass es überhaupt keine ungewollten Schwangerschaften mehr gibt, da werden wir gar nicht hinkommen.
    Hennen: Gehen wir aber doch mal auf den Fall ein. Wenn ich mir nun vorstelle, da gibt es künftig eine zentrale Liste im Internet. Das kann doch hilfreich sein.
    Szász: Natürlich. Also ich finde alles sinnvoll, was Frauen hilft, in diesem engen Zeitfenster von Feststellung einer Schwangerschaft bis zu der Möglichkeit, dass sie den Abbruch machen kann, wo sie Hilfe und Unterstützung kriegt, aber das hat für mich überhaupt nichts damit zu tun, dass wir Ärztinnen ein Informationsverbot für medizinische Handlungen, die wir machen dürfen, auferlegt bekommen.
    Hennen: Und finden Sie, dass die Reform eine Rechtssicherheit schaffen kann für die Ärzte?
    Szász: Nein, im Gegenteil, und wir sind ja wirklich jetzt die nächsten, die dran sind. Wir haben am 28. Januar unseren nächsten Prozesstermin in Kassel vor dem Amtsgericht, und nein, erstens wird das Gesetz ja sowieso nicht bis dahin durch sein - das ist eh klar -, und dann gibt es keine Grundlage, weil nach wie vor der 219a bestehen bleibt. Und wie Frau Hänel sind wir der Überzeugung, dass wir das nicht von unserer Website nehmen werden, dass wir Schwangerschaftsabbrüche durchführen, und dann, tja, landen wir wohl irgendwann im Gefängnis oder vor dem Verfassungsgericht!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.