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Haar-Regeln im Orthodoxen Judentum
Perücke, Pejot und Bart

Zur Lebensweise ultraorthodoxer Juden gehören strenge Regeln für die Haartracht: Will sich ein Mann rasieren, dann darf er das nicht mit einem Messer tun, sondern nur mit einem Rasierapparat. Die Schläfenlocke, die Pejot, muss hingegen immer dran bleiben. Frauen greifen gerne zu Tüchern und Perücken.

Von Peter Kapern | 17.10.2016
    Ultraorthodoxe junge Juden an Rachels Grab in Bethlehem.
    Traditionell gekleidete ultraorthodoxe Juden. (dpa / picture-alliance / Pavel Wolberg)
    Kurz vor Sukkot, dem Laubhüttenfest, ist es fast unmöglich, in Uriels Friseursalon ein Bein an die Erde zu bekommen. Dicht gedrängt sitzen da die Männer und warten drauf, für den Feiertag noch einmal aufgehübscht zu werden. Auch Reuven, ein Sechzigjähriger mit störrischem, grauen Haar:
    "Man darf sich den Bart auf keinen Fall mit einem Messer rasieren, und die Pejot, die Schläfenlocken, müssen dran bleiben. Wer sich rasieren möchte, darf das tun, aber nicht mit einem Messer, sondern nur mit einem Rasierapparat oder einer Enthaarungscreme."
    Damit hat Reuven in wenigen Worten zusammengefasst, was im Judentum auf tausenden von Buchseiten erwogen, erläutert und ausgelegt worden ist. Kernpunkt aller Lehren ist Kapitel 19, Vers 27 im 3. Buch Mose. Da findet sich das Verbot, sich die Haare unterhalb der Schläfe auf der Höhe der Ohrmitte abzuschneiden.
    Variationen der Schläfenlocken
    Was nicht dazu führt, dass jeder strenggläubige Jude die Schläfenlocken sein Leben lang unangetastet lässt. Der eine kürzt sie bis auf einen gerade noch greifbaren Zipfel. So wie Reuven, der Kunde in Uriels Friseursalon. Andere lassen die Pejot gerade herunterhängen, viele jemenitische und marokkanische Ultraorthodoxe drehen sich hingegen das Seitenhaar zu einer langen Locke. Und nicht wenige stecken die Haarsträhne hinter das Ohr, sodass sie kaum noch auszumachen ist.
    Die Schläfenlocke muss also sein, der Bart hingegen soll, muss aber nicht. Er hat nach rabbinischer Auslegung übrigens fünf Ecken: an den Wangenknochen, an den Unterkiefern und am Kinn. Und dort dürfen die Barthaare nicht zerstört werden. Deshalb das Verbot, dem Bart mit einem profanen Rasiermesser oder einer handelsüblichen Schere zu Leibe zu rücken. Immerhin gibt es koschere Rasierapparate, mit dem Zertifikat eines Maschgiachs, eines Aufsehers, der dem Ding bescheinigt, den Bart kürzen zu können, ohne dessen fünf Ecken zu zerstören.
    Hutmode für Frauen
    Schräg gegenüber von Uriels Friseursalon liegt Jonas Hut- und Tuch-Mode-Laden. Denn auch Frauen können nicht einfach so mit ihrem Haar verfahren wie sie wollen. Alle strenggläubigen, verheirateten Frauen müssen in der Öffentlichkeit ihr Haar bedecken. Die sephardischen Frauen tragen in der Regel Kopftücher, die man auf hunderte Arten um den Kopf wickeln kann, wie Jona erzählt:
    "Das sind längst nicht mehr die Tücher, mit denen unsere Mütter herumliefen. Da hat sich viel getan für junge Frauen, die gut aussehen wollen. Es gibt bunt bedruckten Kopftücher und Blumen, die man sich dranstecken kann. Das sieht sehr jung, modern und hübsch aus."
    Die ashkenasischen Jüdinnen hingegen bevorzugen Perücken. Glatt und glänzend soll das Zweithaar sein, das ist gerade der letzte Schrei. Allerdings: Aus Indien darf das Haar, aus dem die Perücken gemacht sind, nicht stammen. Denn dann könnte es schon für ein hinduistisches Opferritual gebraucht worden sein, was es für Jüdinnen zum No-Go macht.