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Haare lassen für die Forschung

Wer sich ein Haar ausreißt, hat am unteren Ende vielleicht schon einmal eine kleine, helle Verdickung bemerkt. Dieser Teil der äußeren Haarwurzelscheide enthält Stammzellen – ein Glücksfall für die Medizin. Denn so kommen Forscher ganz leicht an die begehrten Zellen heran. Und das öffnet möglicherweise den Weg für schonendere Behandlungen.

Von Marieke Degen | 12.02.2013
    Wenn Vuk Savkovic neue Stammzellen braucht, muss er nur seine Pinzette zücken. Seine Quellen sitzen direkt neben ihm im Labor.

    "Wir haben etwas, was wir Probandenpool nennen - das sind eigentlich meine Kollegen, die mir regelmäßig erlauben, ihre Haare zu zupfen."

    Vuk Savkovic forscht am Translationszentrum für Regenerative Medizin an der Uni Leipzig.

    "Wenn man ein Haar zupft, kommt auch die Haarwurzel mit dem guten Teil der äußeren Haarwurzelscheide mit heraus."

    Die äußere Haarwurzelscheide enthält Stammzellen. Eigentlich, um die Kopfhaut zu erneuern. Im Labor lassen sich diese Stammzellen in verschiedene Hautzellen verwandeln, zum Beispiel in Pigmentzellen, die sogenannten Melanozyten. Und genau die braucht Vuk Savkovic. Er will damit eine Krankheit behandeln, die zwar nicht lebensbedrohlich ist, aber viel Leid verursacht: Vitiligo. Eine Krankheit, bei der die Pigmentzellen in der Haut zerstört werden.

    "Die Patienten entwickeln weiße Flecken auf verschiedenen Stellen des Körpers oder Gesichts oder von den Händen. Sonnenbrände passieren dann sehr leicht an diesen Stellen, weil Melanin ein natürlicher Schutz für die Haut ist."

    Viel schlimmer sind die psychischen Folgen.

    "Viele Vitiligo-Patienten entwickeln chronische Depressionen, ziehen sich zurück. Die Leute fühlen sich sehr auffällig mit diesen weißen Flecken."

    Die Patienten können die weißen Stellen überschminken. Oder die Haut darum herum ausbleichen, damit die Flecken nicht mehr so auffallen. Um die Hautstellen wirklich zu heilen, bleibt nur eines: Pigmentzellen von einer Stelle des Körpers auf die weißen Stellen zu transplantieren.

    "Da gibt es Behandlungen, die schon schön geklappt haben, von verschiedenen Gruppen und Kliniken durchgeführt, aber für all diese Behandlungen muss man ein Stück Haut von irgendwo anders vom Körper ausschneiden. Und das sind bis zu sechs Quadratzentimeter. Das haben die Patienten ungern. Sie verursachen eine Wunde am Anfang an einer anderen Stelle an dem Körper."

    Vuk Savkovic und seine Kollegen arbeiten an einer eleganteren Lösung: Sie wollen Stammzellen aus den Haarwurzeln der Patienten gewinnen und sie im Labor zu Pigmentzellen heranzüchten.

    "Damit müssen wir nicht invasiv anfangen, sondern wir zupfen ein paar Haare und davon entwickeln wir Melanozyten in vier Wochen und nach vier Wochen sind sie bereit zur Transplantation."

    Mit ihren eigenen Haarfollikeln hat das schon gut funktioniert. Die Forscher haben die Pigmentzellen auch schon in Mäuse transplantiert.

    "Bei der Sicherheitsstudie haben wir extra eine sehr große Menge an Melanozyten eingebracht, um zu sehen, ob sie einen Tumor verursachen. Wir freuen uns, dass wir nachgewiesen haben, dass diese Zellen harmlos sind, sie verursachen keine Tumore und diese große Menge sichert eigentlich, dass wir nicht falsch sind, wenn wir eine kleinere Menge eingeben."

    Das Prinzip ist nicht ganz neu. Eine Leipziger Biotech-Firma stellt aus Haarfollikel-Stammzellen kleine Hautscheiben her, sogenannte epidermale Disks, kurz Epidex, mit denen Wunden besser verheilen. Sie kommen schon seit längerem in der Leipziger Uniklinik zum Einsatz. Für Vitiligo-Patienten haben Vuk Savkovic und seine Kollegen diese Disks jetzt einfach weiterentwickelt.

    "Als eine Verbesserung von Epidex haben wir unsere Zellen, die Melanozyten, in diese epidermalen Disks eingebaut, so dass wir dann pigmentierte epidermale Disks haben. Und damit sind sie nicht mehr nur für eine schöner aussehende Wundheilung geeignet, sondern auch für die Depigmentationsbehandlungen."

    Bis diese pigmentierten Hautscheiben tatsächlich bei Patienten eingesetzt werden können, wird es aber noch dauern. Als nächstes sind weitere Tierversuche geplant.