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Haarige Strukturen

Botanik.- Dass die Natur die verrücktesten Lösungen für seltsame Probleme entwickelt, ist nichts Neues. Doch wie effizient die haarige Oberfläche des "lästigen Büschelfarns" aufgebaut ist, hat Forscher an der Uni Bonn dann doch überrascht.

Von Katrin Zöfel | 17.09.2010
    Wilhelm Barthlott hält ein faustgroßes Büschel in der Hand, unten hängen daran tropfnasse, dünne Wurzeln, der Rest besteht aus hellgrünen, länglichen Blättern.

    "Die sind, wenn man die genauer anguckt, kompliziert haarig."

    Tatsächlich stehen feine Haare dicht an dicht auf den Blattoberflächen. Es sind Blätter von Salvinia molesta, zu deutsch "lästiger Büschelfarn". Wilhelm Barthlott ist Biologie-Professor am Nees-Institut für Biodiversität der Pflanzen. Er ist sich sicher:

    "So komplizierte Strukturen haben immer einen evolutiven Hintergrund."

    Mit anderen Worten: in solch aufwendige Strukturen investiert eine Pflanze nur, wenn sie davon profitiert. In diesem Fall: die Blätter können auch unter Wasser eine Luftschicht um sich herum festhalten. So können die Blätter unter Wasser atmen, obwohl der schwimmende Büschelfarn nicht so wie echte Wasserpflanzen an das Leben unter Wasser angepasst ist. Die Pflanze stammt aus Tümpeln im brasilianischen Urwald, von dort wurde sie in alle Welt verschleppt. Neues Territorium erobert sie so erfolgreich, dass sie etwa in Neuseeland als gefährlich invasive Pflanze gilt. Ein Grund für ihren Erfolg ist eben diese Luftschicht. Und die Forscher aus Bonn konnten zeigen, dass die Luftschicht selbst dann stabil bleibt, wenn die Wasserströmung heftig ausfällt.

    "Ich hol ihn wieder raus - er ist vollkommen trocken."

    Die Frage, die sich den Wissenschaftlern stellte, war: Wie gelingt es der Pflanze, eine Luftschicht nicht nur zu bilden, sondern auch zu halten?

    Die Lösung liegt in gleich mehreren Finessen der feinen Haarstruktur. Besonderheit Nummer eins: Es sind keine simplen, glatten Haare. Sie sehen vielmehr aus wie winzige Schneebesen. Der Stiel der Schneebesen sitzt auf dem Blatt auf. Der rundliche Teil aus vier gebogenen Härchen zeigt nach oben. Das führt dazu, dass diese Haare in ihrem oberen Teil eine viel dichtere Schicht bilden, als die gleiche Anzahl einfacher, glatter Haare. - Besonderheit Nummer zwei: Die feinen Haare, erklärt der Biologe Holger Bohn, sind bedeckt von winzigen Wachskristallen:

    "Wenn man nämlich ganz, ganz, ganz genau hinschaut also dann wirklich das Elektronenmikroskop bemüht, dann findet man, dass die Oberflächen, also die Zellen dieser Schneebesen nicht glatt sind, sondern dass da eine ganz feine Struktur drauf ist und dementsprechend, wenn ich diese Haare also nebeneinanderstelle und dann Wasser drauf gebe, dann kann das Wasser gar nicht zwischen diese Schneebesen eindringen, weil die wasserabweisende Oberfläche das verhindert."

    Winzige, wasserabweisende, schneebesenförmige Haare also stehen auf der Farnblattoberfläche, so dicht, dass Wasser nicht mehr dazwischen eindringen kann. Dazu kommt Besonderheit Nummer drei:

    "Wenn man sich jetzt die Spitzen dieser Schneebesen anschaut, also das, was nachher sozusagen auf dem Topfboden ist, wenn man nochmal die Analogie zur Küche nimmt, dann finden sich dort ganz spezielle Zellen und zwar sind das Zellen, auf denen dieser Wachsbelag vollständig fehlt. Die sind also ganz glatt, und dementsprechend, da diese wasserabweisenden Wachse fehlen, sind diese Zellen auch nicht wasserabweisend, und das führt dann wiederum dazu, dass an diesen Stellen Wassertropfen dann Halt finden."

    Einzelne Wassertropfen werden von den Haarspitzen regelrecht festgehalten. Und dadurch entsteht eben nicht nur eine Luftschicht, sondern darum herum eine zweite Schicht aus Wasser. Diese Doppelschicht ist viel stabiler als eine einfache Hülle aus Luft, wenn sie durch strömendes Wasser oder steigenden Wasserdruck belastet wird.

    Diesen Effekt haben die Bonner Forscher gemeinsam mit Ingenieuren der Universität Karlsruhe aufgeklärt. Und es liegt nahe, solche Strukturen technisch nachzuahmen. Für die Beschichtung von Schiffsrümpfen zum Beispiel, denn Schiffe könnten - umgeben von einer Hülle aus Luft und Wasser - mit viel weniger Reibungsverlust durch die Weltmeere pflügen. Erste praktische Versuche dazu finden in Karlsruhe bereits statt.