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Hablizel Verlag
"Alle Bücher haben ein fantastisches Element"

Vor fünf Jahren hat der ehemalige "Spex"-Redakteur Markus Hablizel den gleichnahmigen Verlag auf die Beine gestellt. Die Veröffentlichgungen haben vor allem eines gemeinsam: In Ihren Geschichten breche plötzlich etwas in die Realität ein, was eigentlich nicht sein könne, sagt Hablizel.

Von Nils Kahlefendt | 11.05.2015
    Ein Buch fächerartig aufgeschlagen
    Der Hablizel Verlag existiert seit fünf Jahren in Köln. (imago/Mint Images)
    Wenn Markus Hablizel aus dem Fenster schaut, fällt sein Blick auf Bäume, Wiesen und, als hätte ein romantischer Maler Hand angelegt - zwei Esel. Für einen Verleger in Zeiten des Internets ist der ehemalige Bauernhof in Lohmar, gut zwanzig Kilometer südöstlich von Köln, eigentlich der perfekte Ort: Hier im Grünen, mit gesunder Distanz zu den Ablenkungen des dauererregten Literaturbetriebs, lässt sich gut arbeiten. Wer sein Geld jedoch wie Hablizel vor allem als Freelancer für digitale Medien verdient, kommt selten dazu, sich der Idylle des Bergischen Landes zu widmen.
    "Wir stehen relativ früh auf. Und der zweite Blick gilt eigentlich schon den E-Mails. Manchmal sind es auch Chat-Fenster. Oder Skype oder so Geschichten. Aber eigentlich kuckt man relativ schnell auf den Rechner: Und kuckt: Sind dringliche Dinge da, die erledigt werden wollen? Also, ich kann von diesem Verlag noch nicht leben. Und da muss man dann eben abwägen: Gewinnt der Brotjob an diesem Vormittag, und ich muss da erst mal was erledigen? Oder kann ich mich um den Verlag kümmern? Und so werden dann Entscheidungen getroffen."
    Aufgewachsen ist Markus Hablizel in Ulm; ein Kind des Pops in der süddeutschen Provinz. HipHop und Techno bilden den Sountrack; Zeitschriften, Bücher und Schallplatten begeistern ihn auch als Objekte, die angefasst, dechiffriert, zueinander in Beziehung gebracht werden wollen. Schriften, Layouts, der Geruch von Papier: Zum Selbermachen ist es da nur noch ein kleiner Schritt - und sei es mit simplen Anreibebuchstaben.
    Dinge selbst in die Hand nehmen
    "Als Musiker ist man in der Schüler-Band, ich war in der Schüler-Zeitung. Und dieses Zeitungsmachen, damals noch mit Letraset und so, das hat mich nie richtig losgelassen. Und hab' dann relativ schnell eigentlich angefangen für so Fanzines zu arbeiten. Also, über Musik zu schreiben. Also, selber gemachte Zeitschriften. Da habe ich aber eine Sache, glaub' ich, gelernt, die heute immer noch wichtig ist für mich. Und die auch für den Verlag wichtig ist: dass man Dinge nämlich selber in die Hand nehmen kann. Also, dass man Medien eben auch selber herstellen kann, Bücher selber machen kann, Platten selber machen kann, Zeitschriften selber herausgeben kann. Und das jetzt nicht denen überlassen, die das schon immer machen."
    Fast folgerichtig, dass Hablizel der Uni und einer Soziologen-Karriere den Rücken kehrte. Er zog stattdessen nach Köln, wurde Musikredakteur bei der "Spex" – und blieb auch nach deren Berlin-Umzug am Rhein. Als Hablizel bei einem Spaziergang durchs Internet über den Roman "Skunk" des New Yorker Autors Justin Courter stolperte, ahnte er noch nicht, dass aus einem Stinktier ein ganzer Verlag werden sollte. Die bestellte Originalausgabe kam postwendend: Courter übernahm höchstpersönlich die horrenden Portokosten, bestand aber im Gegenzug auf Resonanz aus der Kölner Bucht - die ungewöhnlich ausfiel:
    "Ich habe ihn dann angemailt und hab' gesagt: 'Hör' mal, das kann so nicht sein, Autoren sollten die Leser nicht dafür bezahlen, dass sie ihre Bücher lesen! Das sollte andersrum sein!' Ich würde ihm gerne zumindest den Restbetrag überweisen. Das wollte er nicht. Und sagte aber, ich könnte ihm den Gefallen tun und mich noch mal zu melden, wenn ich das Buch gelesen hätte. Und ich hab' ihm dann gesagt: Mir hat das Buch gut gefallen, ich würde das gerne veröffentlichen - sofern er keinen deutschen Verlag hat bisher. Hatte er nicht, und er fand die Idee gut - und wir haben uns quasi gemeinsam auf die Reise begeben um zu probieren, ob das irgendwie funktioniert..."
    Ausrichtung des Verlags bewusst offen gehalten
    Zwei Jahre sollten am Ende vergehen, bis Courters fantasievolle Vermessung menschlicher Süchte bei Hablizel erschien. Inzwischen hatte der junge Verlag bereits drei deutschsprachige Romane veröffentlicht. Allen voran "Spucke", das Debüt des ehemaligen "Spex"-Literaturredakteurs Wolfgang Frömberg: Ein raffiniert konstruierter Bildungsroman, in dem der Autor die letzten Kölner Jahre des Pop-Magazins mit der Geschichte seines aus der DDR in den Westen geflohenen Vaters kurzschließt – und der letztlich um die Frage kreist, ob sich als Teil des Systems gegen das System revoltieren lässt. Bereits die ersten Bücher zeigen, dass Hablizel die Ausrichtung seines Verlags bewusst offen hält – bei größtmöglicher Freiheit für die Autoren. Statt plattem Realismus steuern sie eher das Mögliche an, spielen Haltungen durch, die man zur Wirklichkeit einnehmen kann.
    "Was allen Büchern gemein ist, ist eine Art von - nennen wir es mal: ein 'fantastisches Element'. Da bricht plötzlich in diese Realität was ein, was eigentlich nicht sein kann. Was aber eben trotzdem auftaucht, und wo die Protagonisten damit umgehen müssen. Das ist, glaub' ich, allen Büchern gemein."
    Zu dieser Prise Fantastik, die mit Genre-Literatur nichts am Hut hat, gesellt sich ein deutlich wahrnehmbarer politischer Unterton:
    "Der muss nicht immer direkt sein. Aber in vielen Büchern wird die Frage gestellt: Was ist Gesellschaft? Und was ist der Einzelne in der Gesellschaft? Wie verhält sich das? Wie wird jemand randständig, warum wird jemand randständig? Ist das freiwillig? Oder passiert das tatsächlich?"
    Gemeinsam ist den Büchern des Hablizel Verlags ihre exzellente Gestaltung. Mit dem inzwischen international erfolgreichen Grafik-Designer Mario Lombardo legt auch hier ein Mitstreiter aus alten "Spex"-Zeiten Hand an. Wer Leinen und Lesebändchen erwartet, geht fehl. Doch die schweren Paperbacks im Quartformat sind wahre Handschmeichler, Typografie und Cover individuell, aber stets wiederzuerkennen. Die Vinyl-Vergangenheit des Verlegers lässt grüßen.
    "Man kann ja jetzt über Sinn und Unsinn der Teilnahme an Buchmessen von so Mini-Verlagen sprechen. Das kostet immer sehr viel Geld. Aber was wir immer hören, ist: Mensch, ihr habt aber schöne Bücher! Oder außergewöhnliche Bücher. Oder: Das sieht ja mal anders aus als bei den anderen. Klar, höre ich natürlich gerne. Und gebe das auch immer gerne an den Grafiker weiter. Ich freu' mich da drüber. Weil, das ist natürlich immer der erste Schritt auf ein Buch zu: Man sieht das Cover und geht dann hin und nimmt's in die Hand. Und dann fängt man an, reinzulesen."
    Der fünfte Verlagsgeburtstag wurde im Herbst am Kölner Ebertplatz gefeiert, dort, wo Wolfgang Frömbergs zweiter Roman spielt. Vier Tage am Stück, mit Konzerten, Lesungen, alten Freunden und belgischem Bier. Markus Hablizel kann sich gut an Tage erinnern, an denen die Existenz seines Verlags am berühmten seidenen Faden hing. Ans Aufgeben mag er nicht denken.
    "Ohne diese Bücher und ohne diese Menschen, die diese Bücher machen, will ich eigentlich nicht wirklich ... also, das hört sich jetzt dramatisch an: Will ich nicht leben! Ich würde gerne mit diesen Büchern und diesen Menschen eben weiter leben und weiter arbeiten. Und ich kann mich an Lesungen erinnern, da hatten wir acht Leute - Gott sei dank selten, aber kommt auch vor. Und von außen würde man sagen: Kein Erfolg. Zu teuer, zu aufwendig. Aber wenn man dann nach Hause geht und hat anderthalb Stunden, zwei Stunden gute Lesungen gehört und hat danach noch gut diskutiert - dann ist das genau das, was man machen möchte. Da fragt man nicht nach Zahlen."