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Habsburger Kaiserin
Mutter und Machtpolitikerin

Jahrzehntelang hat Maria Theresia im 18. Jahrhundert das Habsburger Reich regiert. Mit Reformen hat sie die Monarchie saniert und sich ihren Platz in den Geschichtsbüchern gesichert. Zwei Biographien sind jetzt zum 300. Geburtstag der Kaiserin erschienen. Die zeichnen das Bild einer selbstbewussten und beeindruckenden Frau.

Von Günter Kaindlstorfer | 08.05.2017
    Maria Theresia von Österreich auf einer zeitgenössischen Darstellung.
    Die energische Habsburgerin konnte ihr Reich nur aus einem einzigen Grund vier Jahrzehnte lang zusammenhalten: weil sie eine knallharte Machtpolitikerin war. (Imago / Rust)
    Man hat sie zur Märchenkönigin verkitscht, zur großen, mütterlichen Barock-Liebenden umgeschnulzt - Maria Theresia, Österreichs sagenumwobene Regentin. Dabei konnte die energische Habsburgerin ihr Reich nur aus einem einzigen Grund vier Jahrzehnte lang zusammenhalten: weil sie - auch - eine knallharte Machtpolitikerin war.
    Barbara Stollberg-Rilinger, daran lässt sie bereits am Anfang ihrer Biographie keinen Zweifel, denkt nicht daran, die Maria-Theresia-Mythologie des 19. Jahrhunderts fortzuschreiben. Im Gegenteil, ihr gehe es um eine offensive Historisierung der legendären Habsburger-Kaiserin, schreibt sie: "Es soll keine falsche Vertrautheit mit Maria Theresia aufkommen. Man muss sich die Heldin vom Leibe halten."
    Das tut Stollberg-Rilinger dann allerdings doch nur bedingt, und das ist gut so. Denn die Münsteraner Historikerin geht zwar wohltuend distanziert und quellenkritisch ans Werk, dennoch gelingt ihr auf gut 1000 Seiten ein plastisches und unerhört anschauliches Lebensbild der barocken Herrscherin, deren Faszinationskraft durch Studien wie die von Stollberg-Rilinger im Grunde noch zunimmt.
    Ein Leben, geprägt von Herausforderungen
    Denn was war das für ein pralles und erfülltes, von Schicksalsschlägen und monumentalen Herausforderungen charakterisiertes Leben, das Maria Theresia geführt hat? Als sie 1740, mit Anfang zwanzig, an die Macht kommt, übernimmt sie ein geschwächtes, schlecht regiertes Reich. Darüber hinaus sieht sich die junge Monarchin mit einer Phalanx raffgieriger Gegner konfrontiert, die, kaum hat die unerfahrene Regentin den Thron bestiegen, über Teile ihres Reichs herfallen. Preußen, Frankreich, Bayern, Sachsen - sie alle wollen sich ihren Anteil am habsburgischen Kuchen sichern. Der "Österreichische Erbfolgekrieg", der gleich zu Beginn von Maria Theresias Regierungszeit entbrennt, gehört zu den bittersten Prüfungen im Leben der Monarchin. Stollberg-Rilinger zitiert einen der engsten Vertrauten der Kaiserin, den Wiener Hofbaumeister Emanuel Silva Tarouca:
    "Als die Kaiserin vier- oder fünfundzwanzig Jahre alt war, hatte sie viele Feinde, sehr wenig Geld und Hilfe und wenig Erfahrung. Sie war ganz auf sich allein gestellt, musste das ABC der Herrschaft lernen, arbeitete für vier und fand doch genügend Zeit, uns alle mit ihrer Anwesenheit zu erfreuen. Sie ritt fast zu oft, tanzte, spielte, unterhielt sich, aß mittags und abends in Gesellschaft, machte viele kleine Ausflüge und bekam vor allem jedes Jahr ein Kind."
    Sechzehn Kinder hat Maria Theresia zur Welt gebracht, zwanzig Jahre lang war die Herrscherin fast durchgehend schwanger. Wie sie das geschafft hat - gleichzeitig ein marodes Reich zu sanieren, bahnbrechende Reformen in Staatsverwaltung und Bildungssektor umzusetzen, eine Reihe von Kriegen zu führen, ihrem Mann eine liebende Gattin zu sein und daneben ein gutes Dutzend Kinder großzuziehen - das bleibt auch ein Vierteljahrtausend nach ihrem irdischen Wirken ein Rätsel.
    Rücksichtslos eigene Ziele verfolgt
    Barbara Stollberg-Rilinger gelingt ein beachtliches Kunststück: Sie tut an keiner Stelle ihrer Studie so, als sei sie eine allwissende, von kritischen Vorbehalten unbelastete Erzählerin, und dennoch gelingt es ihr, Leben und Umfeld Maria Theresias auf derart farbige Weise lebendig zu machen, dass man immer wieder das Gefühl hat, man erlebe das Wirken der charismatischen Habsburgerin aus nächster Nähe mit. Stollberg-Rilinger mischt erzählende und analytische Passagen, sie stellt verschiedene Wahrnehmungen nebeneinander und lässt sie für sich selbst sprechen. Die Beziehung Maria Theresias zu ihrem bedeutendsten Gegenspieler, dem Preußenkönig Friedrich, sieht Stollberg-Rilinger so: "Aus größerer historischer Distanz erscheinen die beiden einander nicht unähnlich. Beide charakterisiert es, dass sie im Krieg rücksichtslos und unbeirrt an ihrem einmal gesetzten Ziel festhielten. Auch in der Wahl der politischen Mittel waren beide einander verwandter, als es auf den ersten Blick scheint."
    Barbara Stollberg-Rilinger sieht manches kritisch im Wirken der Monarchin - die Vertreibung der Prager Juden von 1744 etwa oder die drakonische Prüderie, mit der die Regentin der endemischen Unkeuschheit in ihrer Vaterstadt Wien zu Leibe rücken wollte - letztlich aber fällt das Urteil der Münsteraner Historikerin augesprochen positiv aus: Stollberg-Rilinger würdigt das unerschütterliche Pflichtgefühl Maria Theresias, ihre Verantwortungsbereitschaft und ihre erstaunliche Durchhaltekraft.
    Kein Role Model für die moderne Frau
    Neben der Biographie Barbara Stollberg-Rilingers kann das Buch der französischen Feministin Élisabeth Badinter nur den Kürzeren ziehen. Und tatsächlich: Badinter vermag der Münsteraner Kollegin mit ihrer 300 Seiten starken Studie in keiner Weise das Wasser zu reichen. Zu vieles bleibt da ausgespart: die Bedeutung der epochalen Reformen, die Maria Theresia umgesetzt hat, zum Beispiel - von der Abschaffung der Folter über die Aufhebung der Leibeigenschaft bis hin zur Einführung der allgemeinen Schulpflicht. Es ist ein lückenhaftes und fragmentarisches Kaiserinnen-Bild, das Élisabeth Badinter zeichnet. Das mag damit zusammenhängen, dass die Pariser Historikerin die große Habsburgerin unbedingt als Role Model für die Frau des 21. Jahrhunderts präsentieren möchte. Ein problematisches Unterfangen: Denn es führt absolut kein Weg von der absolutistischen Dynastin des Hochbarock zur Working Mom von heute - zu unterschiedlich sind die Lebenssphären und die gesellschaftlichen Verhältnisse. Badinter lässt an ihrer Bewunderung für Maria Theresia keinen Zweifel:
    "Maria Theresia von Österreich ist eine der wenigen Frauen in der Geschichte, die ihr Land vierzig Jahre lang regiert und verkörpert haben. Ebenso wie Elisabeth I. von England oder Katharina II. von Russland mit absoluter Macht versehen, musste sie - im Gegensatz zu letzteren - während ihrer gesamten Regierungszeit mit ihrer Weiblichkeit zurechtkommen. Während Elisabeth und Katharina wie Männer lebten und regierten, räumte Maria Theresia von Österreich der verliebten Gemahlin sowie der liebenden und um ihre Kinder besorgten Mutter beträchtlichen Platz ein. All dies waren Rollen, die sie zu spielen hatte, und Imperative, die zwangsläufig in Konflikt miteinander geraten mussten."
    Das taten sie auch. Aber Barbara Stollberg-Rilinger beschreibt das eindeutig besser, fundierter, differenzierter als ihre Pariser Kollegin, die Maria Theresia zu einer Identifikationsfigur für heutige Frauen ummodeln möchte. Was die Kaiserin nicht war. Nicht sein konnte.
    Barbara Stollberg-Rilinger: "Maria-Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit. Eine Biographie"
    Verlag C. H. Beck, München. 1083 Seiten, 34 Euro.

    Élisabeth Badinter: "Maria Theresia. Die Macht der Frau"
    Übersetzung: Horst Brühmann und Petra Willim, Zsolnay-Verlag, Wien. 300 Seiten, 24 Euro.