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Hackbrett und Computer

Das Cimbalom, zu deutsch Hackbrett, gehört in Ungarn unverzichtbar ins Klangbild von Roma-Kapellen. Eine neue CD zeigt, wie das Volksmusikinstrument auch für avancierte Klänge genutzt wurde. Außerdem neu: CDs mit Werken des litauischen Minimalisten Rytis Mažulis und des kroatischen Komponisten, Improvisators und Audiokünstlers Marko Cicilianis.

Von Frank Kämpfer | 22.10.2006
    * Musikbeispiel: László Melis - Wohltemperiertes Cynbal

    Eine barocke Sonate, auf einem verstimmten Klavier gespielt? Der Klangeindruck trügt. László Melis' im vergangenen Jahr komponierte Fuge und ihr Präludium zitieren Formen des 17. Jahrhunderts, verlassen jedoch traditionelle Harmonik und sind für ein Instrument angelegt, das im Geburtsland des Komponisten in die Volksmusik-Sphäre gehört. Das Cimbalom, deutsch: Hackbrett, gehört in Ungarn unverzichtbar ins Klangbild von Roma-Kapellen. Es wird mit Schlegeln gespielt - der perkussive Gebrauch entlockt dem Saiteninstrument seinen charakteristischen Klang. Igor Strawinsky, Janosz Kodaly und selbst Pierre Boulez verwendetem es daraufhin in einigen ihrer Stücke - in der ernsten Musik der Moderne nimmt das Cimbalom jedoch nur eine Randstellung ein.

    Ungeachtet dessen hat es ungarische Komponisten immer wieder verlockt, das Volksmusikinstrument (vermutlich ob seiner Nähe und Differenz zu Klavier und Cembalo) für avancierte Klänge zu nutzen. Zehn solcher Arbeiten versammelt eine bemerkenswerte Solo-CD, die zugleich eine junge Spielerin porträtiert: Rozsa Farkas, geboren 1971 in Budapest, studierte bei namhaften Cimbalom-Spielerinnen - bei Kalman Balogh erlernte sie die Kunst traditioneller Musik. - Das stilistische Spektrum ihrer Platte ist breit. Einige Komponisten wie beispielsweise László Melis oder Miklós Csemiczky nehmen auf Traditionen Bezug. Andere wie Péter Durkó und István Láng nähern sich dem Instrument auf avanciertere Art - alle jedoch bleiben bei konventioneller Bedienweise, was bei der womöglichen Suche nach neuen Klängen beengt. Reizvoll zweifellos ist die Kombination mit Saxophon oder Streichern, die einige Autoren versuchen - ich habe ein anderes Beispiel für Sie ausgewählt: es stammt vom 1977 geborenen Miklós Lukács, der in seinem Stück "Samsara" das hier streng notierte Cimbalom mit improvisiertem Tabla-Spiel kombiniert:

    * Musikbeispiel: Miklós Lukács - "Samsara"

    Soweit ein Ausschnitt aus "Samsara" von Miklós Lukács - hier dargeboten von Péter Szalai (Tabla und Perkussion) und Rozsa Farkas (Cimbalom). Die CD trägt den deutschsprachigen Titel "Wohltemperiertes Cymbal" und ist beim Budapester Label Hungaroton erschienen - in Deutschland kann man die Platte über den Vertrieb Klassik Center Kassel beziehen.

    Wer fürs Cimbalom schreibt, kalkuliert Unschärfen ein. Für den Litauer Rytis Mažulis ist dies undenkbar. Nicht dass er Live-Interpreten grundsätzlich misstraut - sein Computer vermag seine Arbeiten viel genauer zu realisieren, ja er ist sogar mit deren Entstehung betraut.

    Mažulis, Jahrgang 1961, gehört zu einer neuen litauischen Komponistengeneration, die allesamt dem Minimalismus anhängen. Der Schüler von Bronius Kutavicius indes ist speziell von Techniken der Renaissance-Polyphonie fasziniert und vereint in seiner Arbeit Reduktion, Vielstimmigkeit und Mikrotonalität. Kennzeichen seiner Musik ist das Kanon-Modell, dessen Strenge fast alle seine Kompositionen grundiert.

    Auf seiner neuen, im vergangenen Jahr in Vilnius produzierten CD "Twittering machine" widmet Mažulis sich in vier Stücken verschiedene technisch-ästhetische Fragen. Die "Zwitschermaschine", ein Stück aus den 80er Jahren, erinnert an Maschinenmusik. Vier akkordische Stimmen, sind - Zahnrädern gleich - ineinander gefügt und werden wie eine Gangschaltung geführt. In "Hanon virtualis" aus dem Jahre 2002 rasen chromatische Skalen in manuell unrealistischer Geschwindigkeit hinauf und hinab. "Ex una Voce", die jüngste Arbeit der Platte, ist gleichfalls höchst raffiniert konstruiert. Das Stück resultiert aus einer einzigen melodischen Phrase - seine dreizehn Stimmen differieren dank winzigster interner Schwankungen hinsichtlich des Tempos; kurzzeitig deckungsgleich sind sie nur im Ausnahmefall.

    * Musikbeispiel: Rytis Mažulis - "Ex una Voce"

    Soweit ein Ausschnitt aus Ex una Voce von Rytis Mažulis - das Stück findet sich auf einer Platte mit neuer Computermusik, die der Litauer beim belgischen Label Megadisc Classics veröffentlicht hat. Ich verweise auf die Website des Labels www.megadisc.be.

    * Musikbeispiel: Marko Ciciliani - "Signboard"

    Eine Elektrogitarre, so scheint es, heult auf, Perkussion fügt sich und fügt sich doch nicht in den Takt, Trillerpfeifen stören das Spiel und liefern sich mit dem Saxophonisten, der den Gitarrensound (elektrisch verzerrt) imitiert, ein Duell.

    In Marko Cicilianis Stück "Signboard Billboard" aus dem Jahre 2004 ist nicht alles so, wie es auf den ersten Blick scheint, also klingt - doch die Irritation, das Instabile des Spiels treibt den Gang der musikalischen Dinge voran. Ciciliani, 1970 in Kroatien geboren, heute ansässig in Amsterdam, präferiert die 'offene Form'. Nicht alles, was er minutiös schreibt, ist von vornherein fix, festgelegt. Der Komponist, Improvisator und Audiokünstler gibt seinen Interpreten Material - wie sie es im Zusammenspiel realisieren, wie sie die fertigen Module flexibel und immer anders zusammenmontieren, stellt sie Mitschöpfern gleich. Insofern ist die beim Darmstädter Label Coviello contemporary veröffentlichte CD "Voor het hooren geboren" (deutsch: Fürs Hören geboren; sprich: Foht hohren chebohren) auch ein Porträt des in Hamburg situierten Ensemble Intrégrales, mit dem Ciciliani eng kooperiert.

    Die Platte bietet fünf Stücke - neben dem kurz angespielten "Signboard Billboard" findet sich hier eine längere Bratschenmusik, deren Motivik, Tempi, Dynamik und Intonation aus einem speziell codierten Text resultieren, den die Spielerin Barbara Lüneburg eigens ausgesucht hat. Titelstück "Voor het hooren geboren" wiederum ist rhythmisch-metrisch fixiert - welches Instrument welchen Part spielt, ist variabel. Das Stück "Körperklang" spielt mit dem Phänomen Raum; die Musiker agieren zum Teil weit voneinander entfernt, sensible Mikrofone sind dicht an den Instrumenten postiert, so dass deren Resonanz sich in den Klangraum des Hörers projiziert.

    * Musikbeispiel: Marko Ciciliani - "Körperklang"

    Soweit ein Hineinhören in "Körperklang" von Marko Ciciliani - dargeboten vom Ensemble Intrégrales auf einer Porträt-CD des Komponisten, die in diesem Jahr beim Darmstädter Label Coviello contemporary erschienen ist.

    "Wohltemperiertes Cymbal"
    Péter Szalai, Tabla/Perkussion
    Rozsa Farkas, Cimbalom
    Label: Hungaroton / Vertrieb: Klassik Center Kassel
    Labelcode: LC 01181
    Bestellnr.: HCD 32359

    Rytis Mazulis - "Twittering Machine"
    Solist: Rytis Mazulis
    Label: Megadisc Classics (www.megadisc.be)
    Labelcode: kein LC!
    Bestellnr.: MDC 7809

    "Voor het hooren geboren"
    Ensemble: Ensemble Intrégrales
    Label: Coviello contemporary
    Labelcode: LC 12403
    Bestellnr.: COV60601