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Häftlingsaufstand in Bautzen
Endstation "Gelbes Elend"

Die Stadt Bautzen in Ostsachsen ist weithin bekannt - unter anderem wegen zweier Gefängnisse, die sich dort befinden. Heute vor 70 Jahren kam es in Bautzen zu einem Aufstand verzweifelter Gefangener - ein Tabuthema zu DDR-Zeiten.

Von Doris Liebermann | 31.03.2020
    Haftanstalt in Bautzen, früher Bautzen I, von Häftlingen in der DDR auch das "Gelbe Elend" genannt.
    Haftanstalt in Bautzen, von Häftlingen in der DDR auch das "Gelbe Elend" genannt. (picture alliance / dpa / Matthias Hiekel)
    "Sie kamen gegen Morgen. Hastig sprangen drei Rotarmisten von ihrem erdbraungrün gefärbten Jeep und pochten an die Haustür. Ehe der neunzehnjährige Jochen aus seinen Träumen gerissen wurde, war das Haus umstellt, eine Flucht unmöglich."
    So schildert der Schauspieler Jochen Stern in seinem Buch "Und der Westen schweigt" seine Verhaftung durch den sowjetischen Geheimdienst im Oktober 1947. Stern war damals Neulehrer in Frankfurt an der Oder und im Vorjahr der Liberaldemokratischen Partei Deutschlands beigetreten. Das war sein "Verbrechen". Stern wurde in den Verhören gefoltert und von einem sowjetischen Militärtribunal (SMT) wegen "Zugehörigkeit zu einer Spionageorganisation" zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Er kam jedoch nicht in den Gulag, sondern auf Jahre in das sogenannte "Gelbe Elend" von Bautzen.
    "Bautzen hat zwei Gefängnisse in der Stadt, es gibt das große Gefängnis, Bautzen I, 1904 erbaut, das ist das, was landläufig als ‚Gelbes Elend‘ bezeichnet wurde. Es ist aus gelben Klinkersteinen errichtet worden und hat deshalb diesen farblichen Beinamen 'gelb' bekommen und 'Elend' durch die Haftbedingungen", erläutert Sven Riesel, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Sächsische Gedenkstätten.
    "Die Häftlinge litten unter Hunger"
    Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war das Gefängnis Bautzen I zum sowjetischen Speziallager für NS-Kriegsverbrecher umgewandelt worden. Ab 1946 wurden dort aber zunehmend politische Gegner inhaftiert: meist junge Menschen, die auf demokratische Strukturen gehofft und sich gegen eine Stalinisierung der sowjetischen Besatzungszone gewehrt hatten, oder Sozialdemokraten, die sich der Zwangsvereinigung ihrer Partei mit der KPD zur SED widersetzten.
    Bautzen I, für 1.100 Gefangene gebaut, war 1950 mit 6.000 Häftlingen hoffnungslos überbelegt.
    "Die Häftlinge litten unter Hunger, unter der Abschottung nach außen, der Isolation. Sie waren zum Nichtstun verdammt, es gab keine Häftlingsarbeit, und dazu kam noch auch diese Überbelegung und die kursierenden Krankheiten."
    Hungerstreik der Gefangenen
    Zwischen 1945 und 1950 starben allein im "Gelben Elend" 3.000 Häftlinge, häufig an Tuberkulose. Als Anfang 1950 die DDR-Volkspolizei das Haftregime von den Sowjets übernahm, hofften die Gefangenen auf eine Verbesserung ihrer Lage. Vergeblich, sagt Jochen Stern:
    "Unsere Fälle wurden nicht aufgearbeitet, denn wir waren ja alle unschuldig, wie wir dachten. Dass die Verpflegung sogar schlechter wurde, und der Hunger war ungeheuer gewaltig, so dass es jetzt im Januar/Februar einen unheimlichen Abstieg in jeder Beziehung gab, sowohl, was die physische Überlebensmöglichkeit bot, als auch die psychische."
    Am 13. März 1950 protestierten die Gefangenen mit einem Hungerstreik gegen die katastrophalen Haftbedingungen, am 31. März 1950 kam es zum ersten und größten Häftlingsaufstand der DDR.
    "Die Russen haben dann mit Granatwerfern und MGs Stellung bezogen, weil sie dachten, wir brechen aus. Das bebt ja dann, der ganze Laden. Das war also eine prekäre Situation. Nur: Wir wollten ja gar nicht ausbrechen. Wir wussten ja, dass das für uns nicht gut ausgehen würde. Das war praktisch der Aufschrei: a) der Enttäuschung, b) des noch schlechteren Lebens innerhalb des Knasts."
    Nach dem Aufstand bekamen Gefangene Arbeit
    Die Volkspolizei ging brutal gegen die Aufständischen vor, sagt Sven Riesel:
    "Die Gefangenen wurden niedergeschlagen mit Gummiknüppeln, es wurden Hunde durch die Haftsäle gejagt, die die Gefangenen bedrohten und Häftlinge, die an den Fenstern zu sehen waren, die lauthals aus den Gittern, herausschrien, um auf ihre verzweifelte Lage aufmerksam zu machen, wurden mit Hilfe einer Feuerwehrspritze von den Fenstern weggespritzt und auch zum Teil sehr schwer verletzt."
    Einige Verbesserungen zog der Aufstand nach sich: Ab Sommer 1950 durften die Gefangenen arbeiten, ihre Essensrationen wurden erhöht, und: sie durften ihren Angehörigen schreiben.
    "Die Eltern haben geglaubt, wir sind in Sibirien, in Russland. Die haben überhaupt nicht gewusst, ob wir noch lebten, wo wir überhaupt waren."
    Freilassung nach Stalins Tod
    Nach Stalins Tod 1953 begannen allmählich die Entlassungen, Jochen Stern kam 1954 frei. Auf Rehabilitierungsverfahren mussten die aus politischen Gründen Verurteilten allerdings noch Jahrzehnte warten: bis zum Zerfall der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre.