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Hängepartie für Annette Schavan

Das Verfahren sei ergebnisoffen, betont Tassilo Schmitt, Vorsitzender des Philosophischen Fakultätentages. Unabhängig vom Resultat könne es dazu beitragen, die Standards guter wissenschaftlicher Arbeit zu sichern.

Tassilo Schmitt im Gespräch mit Manfred Götzke | 23.01.2013
    Bildungsministerin Annette Schavan kämpft um ihren Doktortitel.
    Bildungsministerin Annette Schavan kämpft um ihren Doktortitel. (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    Manfred Götzke: Annette Schavan hat gestern, wie ihre Kabinettskollegen auch, die deutsch-französische Freundschaft im Bundestag hochleben lassen. Aber ob sie da so ganz bei der Sache war – wahrscheinlich nicht, denn in Düsseldorf hat der Rat der Philosophischen Fakultät über die Aberkennung ihres Doktortitels und damit letztlich nicht weniger als über ihr weiteres politisches Schicksal beraten. Monatelang hatte der Promotionsausschuss über die Plagiatsvorwürfe diskutiert, eine Empfehlung abgegeben, und gestern tagte dann der übergeordnete Rat der Fakultät. Der hatte drei Optionen: Freispruch, schneller Titelentzug oder Hängepartie. Ja, und als der Dekan der Fakultät, Bruno Bleckmann, gestern Abend vor die Presse trat, war klar, es wird eine Hängepartie.

    " Der Fakultätsrat hat alle Sachverhalte der Vorprüfung ausführlich diskutiert und heute in geheimer Abstimmung mit 14 Ja-Stimmen bei einer Enthaltung entschieden, dass das Hauptverfahren zu eröffnen ist. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass das Verfahren ergebnisoffen ist."

    Götzke: Und das war's auch schon, mehr hat Bruno Bleckmann nicht gesagt. Am 5. Februar wird der Rat noch mal zusammenkommen, um über den Fall Schavan zu beraten. Ob dann die Entscheidung über den Doktortitel und dessen Aberkennung gefällt wird, ist genauso unklar, ob es weitere Gutachten geben wird. Heißt also erst einmal: abwarten.

    Annette Schavan ist vorerst zur Untätigkeit verdammt. Solange das Verfahren läuft, kann die Bundesbildungsministerin nichts tun - außer abwarten. Erst wenn das Urteil der Uni gefallen ist, kann sie dagegen klagen – vor dem Verwaltungsgericht. Problem: Wie lange das Verfahren läuft, wie es abläuft, all das ist nicht bekannt. Und deshalb steht die Universität Düsseldorf jetzt auch in der Kritik. Der Vize-Chef der Unionsbundestagsfraktion, Kretschmar, drängt sie, endlich unabhängige Experten hinzuzuziehen. Die grüne Bildungspolitikerin Sager fordert im Deutschlandfunk, Plagiatsverfahren bei Doktorarbeiten insgesamt stärker zu vereinheitlichen. Tatsächlich kann da jede Uni weitgehend verfahren, wie sie will, im Rahmen der Gesetze des jeweiligen Bundeslandes. Das Verfahren sei ergebnisoffen, betont der Dekan der Philosophischen Fakultät in Düsseldorf, aber klar ist, der Rat hält die Vorwürfe gegen Schavan für stichhaltig, sonst hätte er das Verfahren gar nicht eingeleitet.,

    Götzke: Informationen von Achim Wendler. Heute um 11:37 Uhr hat sich die Bundesbildungsministerin Annette Schavan selbst zu Wort gemeldet. In einer Pressemeldung schreibt sie: "Ich gehe davon aus, dass mit der Eröffnung eines ergebnisoffenen Verfahrens jetzt auch verbunden ist, externe Fachgutachten einzuholen. Ich bin davon überzeugt, dass die unbegründeten Plagiatsvorwürfe ausgeräumt werden." Tja. Das alles wirft Fragen auf, die ich versuchen möchte, mit Tassilo Schmitt zu klären. Er ist Historiker an der Uni Bremen und Vorsitzender des Philosophischen Fakultätentages, also der hochschulpolitischen Vertretung der Geisteswissenschaften. Herr Schmitt, Schavan gibt sich unbeeindruckt und spricht in ihrer Pressemitteilung von unbegründeten Vorwürfen. Kann man jetzt noch von unbegründeten Vorwürfen – kann davon noch die Rede sein jetzt?

    Tassilo Schmitt: Ich kann nur das, was ich aus der Presse kenne, zur Kenntnis nehmen und tu mir aufgrund dessen kein Urteil anmaßen. Insofern schließe ich mich einfach dem an, was der Dekanskollege Bleckmann gestern gesagt hat: Das ist ein ergebnisoffenes Verfahren, das nach den Regeln der Philosophischen Fakultät nun durchgeführt werden muss, und da wird man allen nötigen Sachverstand zusammenholen, das ist doch klar.

    Götzke: 14 stimmberechtigte Mitglieder haben sich gestern für die Einleitung ausgesprochen bei einer Enthaltung. Ist das Verfahren dann tatsächlich noch ergebnisoffen?

    Schmitt: Ja, natürlich. Es geht um die Einleitung eines Verfahrens, nicht um den Abschluss eines Verfahrens. Und ich nehme an, da die Sitzung, wie ich der Presse entnommen habe, ziemlich lange gedauert hat, werden die sich natürlich auch Gedanken darüber gemacht haben, wie sie da im Einzelnen nun vorgehen, was als beachtlich herangezogen wird, welche zusätzlichen Informationen man vielleicht noch braucht und so weiter.

    Götzke: Wir haben gerade schon drüber gesprochen, Annette Schavan hat in ihrem Statement einen weiteren, einen externen Gutachter gefordert. Ist das aus Ihrer Sicht notwendig?

    Schmitt: Das kann ich nicht beurteilen, weil ich die Sachlage nicht kenne. Und ich finde, wir sollten der Philosophischen Fakultät der Universität Düsseldorf das überlassen, was sie an zusätzlichem Sachverstand braucht. Und da geht es viel weniger um spezifisch Fachwissenschaftliches, sondern um generell Geisteswissenschaftliches. Das schließt nicht aus, dass man fachwissenschaftliche Expertise braucht – denn es wird immer wieder gesagt, das sei damals in den Erziehungswissenschaften alles ganz anders gewesen. Mit diesem Argument muss sich die Philosophische Fakultät der Universität Düsseldorf auseinandersetzen. Ob sie das bereits getan hat, in welcher Weise sie es tut und in welcher Weise sie es sonst auch tut, das muss ich der Universität überlassen, solange sie keine Rechtsverstöße begeht oder gegen Standards guter wissenschaftlicher Praxis verstößt. Davon kann ich aber nichts erkennen, wobei ich einräumen muss, dass ich kein Jurist bin und mich jetzt einfach dem Urteil von Professor Gerhardt jetzt anschließe, das ja am Wochenende publiziert worden ist.

    Götzke: Nun sind Sie aber Geisteswissenschaftler. Wie bewerten Sie das denn? Gab es damals eine andere Zitierkultur als heute in den Erziehungswissenschaften?

    Schmitt: Anfang der 80er-Jahre war ich Student, und ich war nicht Student der Erziehungswissenschaften. Ich kann nur feststellen, dass in meinem Studium der Geisteswissenschaften klar vermittelt worden ist, dass, wenn man Gedanken, Informationen und anderes von Dritten übernimmt, dass man dieses nachweisen muss und dass es dafür Regeln gibt. Dafür gibt es Lehrbücher, in denen man das nachlesen kann. Ich habe meine Zweifel, ob in diesen Lehrbüchern steht, dass man über längere Passagen die Zusammenfassungen und Argumentation Dritter übernimmt, ohne das nachzuweisen. Aber das zu prüfen und ob das ein Einzelfall ist, wo ein Versehen vorliegt, das ist offensichtlich noch ergebnisoffen. Die Fakultät hat ja gestern auch nicht beschlossen, dass der Titel auf jeden Fall aberkannt werden muss.

    Götzke: Die Kritik am Verfahren der Universität Düsseldorf, die kommt nicht nur von Frau Schavan und von der Politik, sondern auch von der Allianz der Wissenschaftsorganisationen. Sie haben diese Kritik der Wissenschaftsorganisationen ja auch schon als irritierend bezeichnet. Warum? Weil die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die anderen am Tropf des Bundesforschungsministeriums hängen?

    Schmitt: Über Motive mache ich mir hier jetzt keine Gedanken und werde auch nicht in der Öffentlichkeit darüber spekulieren. Mir geht es um den Inhalt dessen, dass es aus meiner Sicht nichts zu beanstanden gibt am Verfahren der Universität Düsseldorf. Es ist ein Verfahren eröffnet worden, weil in einem Vorprüfungsverfahren festgestellt worden ist, dass es dazu Anlass gibt. Dass dazwischen ein vertraulicher Bericht an die Öffentlichkeit gekommen ist, ist sehr bedauerlich, aber das kann man der Universität Düsseldorf – könnte man ihr nur dann anlasten, wenn man ihr nachweisen könnte, dass sie da nicht die nötige Sorgfalt hat walten lassen. Und das vermag ich nicht zu erkennen. Aus allem, was mir bekannt worden ist, hat man mit einer für mich erstaunlichen Akribie und Sorgfalt darauf geachtet, dass just nicht passiert, was dann doch passiert ist.

    Götzke: Ist mit dieser Akribie und Sorgfalt auch zu erklären, dass dieses Vorverfahren, von dem Sie gerade sprachen, neun Monate gedauert hat? Ist das normal, eine solche Länge eines Verfahrens?

    Schmitt: Solche Verfahren insgesamt sind schon nicht normal, und man kann sich doch vorstellen, dass im Fall einer bekannten Persönlichkeit man eher gründlicher ist und einen Moment länger drüber nachdenkt, als dass man das kürzer macht und sich dann vorwerfen lassen muss, dass man nicht sorgfältig gewesen ist. Das ist unerträglich lang für alle Beteiligten. Das gilt sicherlich für Frau Schavan, das gilt auch für alle, die in diesen Kommissionen sitzen, aber es ist wahrscheinlich der Sache geschuldet, und das müssen wir ertragen. Das müssen wir alle ertragen.

    Götzke: Unerträglich, sagen Sie – wie sehr schadet diese Hängepartie schon jetzt dem Ruf der Wissenschaft insgesamt?

    Schmitt: Na, wenn es eine Hängepartie wäre, dann schadet es dem Ruf der Wissenschaft, aber wenn man zeigen kann und deutlich machen kann, dass das eben sozusagen ein Bemühen darum ist, Standards guter wissenschaftlicher Arbeit zu sichern und festzuhalten, dann wird das der Wissenschaft nicht schaden, sondern kann ihr vielleicht sogar nützen. Auch viele der Diskussionen, ob man strukturell bestimmte Dinge ändern soll, oder den, wie ich finde, sehr klugen Vorschlag, dann irgendwann auch an eine Verjährung und solche Dinge zu denken, das ist ja natürlich auch durch solche Verfahren aufgekommen, nur bedeutet das just für das aktuelle Verfahren gar nichts. Sondern jetzt muss nach den jetzt gültigen Regeln entschieden werden.

    Götzke: Ein weiterer, vielleicht kluger Vorschlag war, der in den vergangenen Tagen immer wieder gekommen ist, die Plagiatsverfahren insgesamt zu vereinheitlichen. Das wechselt ja von Uni zu Uni, von Bundesland zu Bundesland. Was halten Sie davon?

    Schmitt: Nichts. Die Idee, dass eine zentrale Kommission weniger korruptionsanfällig sei als die mit den Besonderheiten einer Universität vertrauten Gremien, halte ich für absonderlich. Und ich glaube, wir sollten sehr intensiv uns darüber austauschen zwischen den Universitäten, in den Fakultätentagen und in den Fachgesellschaften, wie wir mit Plagiaten umgehen. Das passiert im Übrigen schon. Es ist ja nicht der erste Fall, der jetzt auch öffentlich sehr intensiv diskutiert wird, aber eine Einrichtung wie die Hohe Promotionskommission in Russland oder Ähnliches, die dann über Plagiatsfälle urteilen soll, wo man gar nicht weiß, welche Einflussnahmen da möglich sind, halte ich für nicht förderlich.

    Götzke: Kommen wir zum Schluss unseres Gesprächs noch mal ganz kurz auf Annette Schavan selbst zurück. Der Vorsitzende des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen, der legte Schavan kaum verklausuliert den Rücktritt nahe. Schon die Einleitung eines Entzugsverfahrens tue dem Amt des Bundesbildungsministers nicht gut. Schavan müsse über Konsequenzen nachdenken. Was sagen Sie?

    Schmitt: Gar nichts!

    Götzke: Na, das ist auch eine Antwort. Gestern hat die Universität Düsseldorf ein offizielles Aberkennungsverfahren gegen den Doktortitel von Annette Schavan eingeleitet. Ich sprach darüber mit Tassilo Schmitt, Vorsitzender des Philosophischen Fakultätentages.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.