Samstag, 20. April 2024

Archiv


Härtester Sparhaushalt seit Beginn der Demokratie

Die portugiesische Regierung will den Gürtel enger schnallen. Im November berät das Parlament über den Haushalt 2012. Der Entwurf sieht Gehaltskürzungen, Steuererhöhungen, Arbeitszeitverlängerung und sogar die Streichung von Feiertagen vor.

Von Tilo Wagner | 04.11.2011
    Bevor der portugiesische Premierminister Pedro Passos Coelho in einer Fernsehansprache den härtesten Sparkurs der vergangenen Jahrzehnte ankündigte, verwandte er erst einmal sechs Minuten lang dafür, den Portugiesen die Gründe für den derzeitigen Ausnahmezustand zu erklären. Für Passos Coelho steht fest:

    "Der Haushalt für 2012 ist von entscheidender Bedeutung. Wir werden auf das Härteste mit der Wirklichkeit konfrontiert. In diesem Ausnahmezustand ist Zeit wertvoller denn je, Genauigkeit ist unerlässlich und der innere Zusammenhalt noch wichtiger. Die Maßnahmen, die wir im Haushalt 2012 präsentieren, sind die klügste und wirkungsvollste Antwort auf reale Gefahren wie eine tiefe Rezession und die mögliche Lähmung essenzieller Funktionen des Staates."

    Im kommenden Jahr müssen sich die Portugiesen auf eine Reihe von drastischen Sparmaßnahmen gefasst machen: Die Mehrwertsteuer auf bisher begünstigte Produkte und Leistungen, etwa in der Gastronomie, wird von 13 auf 23 Prozent angehoben, viele Steuererleichterungen fallen weg, im Privatsektor müssen Arbeiter wöchentlich eine halbe Stunde mehr arbeiten – und das unentgeltlich. Zudem sollen Feier- und Brückentage gestrichen werden. Schlimm trifft es vor allem die Angestellten in der öffentlichen Verwaltung. Urlaubs- und Weihnachtsgeld werden für Einkommen ab 1.000 Euro pro Monat bis 2014 ersatzlos gestrichen, was einer realen Gehaltskürzung von über 15 Prozent entspricht.

    Der Wirtschaftsprofessor João César das Neves von der Katholischen Universität Lissabon hofft, dass die Regierung jetzt die Möglichkeit nutzt, um eine tief greifende Staatsreform durchzuführen:

    "Das Hauptproblem ist, dass zu viel Geld für Gehälter in der öffentlichen Verwaltung ausgegeben wird. Doch die jetzige Herangehensweise ist falsch: Die einzelnen Angestellten verdienen nicht unbedingt viel, sondern es sind insgesamt zu viele. Das größte Problem ist, dass es rechtlich fast unmöglich ist, öffentlichen Angestellten zu kündigen. Die Kernfrage wird deshalb sein, ob diese und andere radikale Haushaltsmaßnahmen der Regierung die nötige Zeit geben, um endlich das System zu reformieren. Denn wir müssen Gesetze ändern, Dienstleistungsbereiche schließen und die gesamte Struktur umwandeln."

    Schätzungsweise drei Millionen Portugiesen, also knapp ein Drittel der Bevölkerung, sind von den Gehaltskürzungen im öffentlichen Sektor betroffen. Auch Sónia Martins und ihre Kleinfamilie schauen mit Sorge auf die kommenden Jahre. Die Architektin arbeitet in der Stadtverwaltung in Cascais, knapp 20 Kilometer westlich von Lissabon. Das Weihnachts- und Urlaubsgeld, das ihr jetzt gestrichen wird, war längst nicht mehr für Ferien und Geschenke eingeplant:

    "Damit haben wir immer die festen Kosten beglichen, die einmal im Jahr anfielen, zum Beispiel die Autoversicherung. Außerdem haben wir damit größere Anschaffungen bezahlt, für die das monatliche Gehalt nicht ausgereicht hat, also Möbelstücke oder dergleichen."

    Schon jetzt ist der private Konsum auf einen absoluten Tiefstand abgerutscht. Kritiker befürchten, dass die erwartete Rezession wegen der neuen Einschnitte noch viel deutlicher ausfallen könnte. Das Gespenst von Griechenland wird von portugiesischen Analysten immer wieder heraufbeschworen. Denn ohne Wirtschaftswachstum sind alle Sparanstrengungen mittelfristig erfolglos. Der Konsolidierungskurs, den Portugal mit der Troika aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank vereinbart hat, wäre dann in Gefahr. Wirtschaftsexperte Neves:

    "Es steht außer Frage, dass die Regierung davon besessen ist, die Defizitvorgaben unbedingt einzuhalten. Dafür gibt es ein klares Beispiel: Die Troika hatte angeregt, die Sozialabgaben für Unternehmen zu senken. Das war die einzige Maßnahme, die das Wirtschaftswachstum ankurbeln sollte. Und genau diese Idee ist die einzige Maßnahme, die die Regierung bisher nicht umgesetzt hat. Warum? Weil das direkte negative Auswirkungen auf das Defizit haben würde. Dieser Haushalt beinhaltet kein einziges konkretes Programm, um das Wirtschaftswachstum zu fördern."

    Alle Beiträge zum Thema im Sammelportal dradio.de: Euro in der Krise