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Haftstrafe für ukrainischen Kriegsreporter
Unerwünschte Meinung

Es ist ein Rückschritt für die Presse- und Meinungsfreiheit in der Ukraine. Der Kriegsreporter Ruslan Kotsaba muss wegen unerwünschter Berichterstattung eine mehrjährige Haftstrafe absitzen. Der Grund: Der Journalist hatte seine Landsleute aufgefordert, den Kriegsdienst gegen die prorussischen Separatisten in der Ostukraine zu verweigern.

Von Sabine Adler | 07.06.2016
    Ein gepanzertes Fahrzeug der ukrainischen Streitkräfte bei Slawjansk.
    Der Fernsehjournalist Ruslan Kotsaba hatte seine Landsleute zur Kriegsdienstverweigerung aufgerufen. Ein Gericht wertete das als Behinderung der Tätigkeit der ukrainischen Streitkräfte. (AFP / GENYA SAVILOV)
    Regungslos rattert die Richterin in Iwano-Frankiwsk das Urteil herunter: Drei Jahre und sechs Monate Freiheitsentzug für Ruslan Kotsaba.
    Das Gericht verurteilte den 49-jährigen Fernsehjournalisten nicht, weil er aus der sogenannten Volksrepublik Lugansk berichtet hatte, auch nicht, weil er sich an einer russischen Talk-Show beteiligte, sondern weil er als Privatperson seine Landsleute aufgeforderte hatte, sich nicht mobilisieren zu lassen, also nicht in den Reihen der Streitkräfte oder Freiwilligenbataillone gegen die prorussischen Separatisten in der Ostukraine zu kämpfen. Die wertete das als Behinderung der Tätigkeit der ukrainischen Streitkräfte. Obwohl die Anklage nicht beweisen konnte, dass Kotsabas Aufruf gewirkt hat. Im Gerichtssaal warnte der Kriegsreporter vor den Auswirkungen des Urteils.
    "Hier und jetzt findet ein sehr bedauerliches Verbrechen statt, wofür man die Ukraine, wenn man mich nicht freispricht, für einen neostalinistischen Staat halten wird. Ich habe den Krieg gesehen, wie er in den Medien nicht gezeigt wird. Ich sah reale Leichen, Leichenteile, Würmer."
    Realistisches Bild vom Krieg
    Ruslan Kotsaba war einer der ersten Korrespondenten, die sowohl von ukrainischer als auch von prorussischer Seite berichteten, aber er tat dies anders als die anderen ukrainischen Medien, die seiner Meinung kein realistisches Bild von dem Krieg vermittelten.
    "Dass zum Beispiel im Hauptgebäude der Gebietsverwaltung nicht eine Klimaanlage explodiert war und Zivilisten verletzt hat, sondern dass das Gebäude beschossen worden war. Die Bürger in Lugansk waren empört, dass Ukrainer auf Ukrainer schossen."
    Erklärt seine Ehefrau, Uljana Kotsaba bei ihrem Besuch in Berlin. Das Blutvergießen habe Ruslan Kotsaba tief erschüttert. Der gelernte Forstmeister wechselte erst spät in den Journalismus ohne jede Ausbildung. Monatelang berichtete er von der Front und wurde zum Kriegsgegner.
    "Nach seinem Video-Aufruf per Facebook wurde er zur Leitung des Fernseh-Kanals gerufen. Dort sagte man ihm, dass der Kanal schon zwei Verwarnungen vom Nationalen Rundfunk-Rat bekommen hätte, bei einer dritten müsste der Sender schließen. Sie sagten ihm 'Ruslan, du weißt, dass wir dich lieben und achten. Aber könntest Du für 400 Menschen sorgen, die hier arbeiten, um ihre Familien zu ernähren?' Er ging, aber er rechnete nicht damit, sich so ungeschützt und sich selbst überlassen zu bleiben."
    Ihr Mann sei gegen den Krieg aufgetreten, aber nicht gegen die Ukraine. Er sei auf dem Maidan gewesen, seit 1991 Mitglied der ukrainischen Helsinki-Gruppe, habe sich für die Unabhängigkeit der ehemaligen Sowjetrepublik engagiert.
    "Mein Mann war sein ganzes Leben ein Patriot. Er war der erste, der am Ende der Sowjetzeit in Iwano-Frankiwsk die blau-gelbe Flagge hisste, die seine Mutter vorher sorgfältig gebügelt hatte."
    Hoffnung auf Protest aus der deutschen Öffentlichkeit
    Der Sender hatte ihn immer gelobt für seine kritische Berichterstattung, weil er sich damit abhob von den meisten anderen.
    "Er hat nicht gesagt, dass gar keine russische Armee beteiligt ist, aber Ruslan sagte, dass das keine regulären Soldaten sind. Natürlich ist das eine ausländische Einmischung, aber in allererster Linie leidet die Bevölkerung."
    Letztlich war es seine pazifistische Haltung, die den ukrainischen Geheimdienst zu Ermittlungen veranlasste, ihn schließlich ins Gefängnis brachte.
    "Es gab keinen einzigen Beweis für seine angeblichen Straftaten. Deswegen sagten selbst die, die seine Position nicht unterstützen, dass er für seine abweichende Meinung doch keine Haftstrafe bekommen dürfe."
    Ehefrau Uljana Kotsaba hofft auf den Protest der deutschen Öffentlichkeit, einen derartigen Umgang mit der Presse- und Meinungsfreiheit in der Ukraine nicht kritiklos hinzunehmen.