Donnerstag, 18. April 2024

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Haftstrafen zwischen fünf und zwölf Jahren für Sauerlandgruppe

Herbert Landolin Müller, Leiter der Kompetenzgruppe Islamismus am Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, sieht in dem Urteil gegen die Mitglieder der Sauerlandgruppe eine "deutliche Ansage des Rechtsstaates, dass man solche Aktivitäten nicht bereit ist zu tolerieren". Von einer abschreckenden Wirkung geht er trotzdem nicht aus.

Herbert Landolin Müller im Gespräch mit Friedbert Meurer | 04.03.2010
    Friedbert Meurer: Zweimal zwölf Jahre Haft, einmal elf Jahre, einmal fünf Jahre. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat die Angeklagten der sogenannten Sauerlandgruppe zu langen Haftstrafen verurteilt. Polizei und Verfassungsschutz waren dieser Gruppe rechtzeitig auf die Schliche gekommen, bevor die ihre Pläne umsetzen konnte.

    Die Verschwörer hatten bereits ein Wohnhaus in einem Dorf im Sauerland angemietet - deswegen der Name Sauerlandgruppe - und dort bastelten sie schon fleißig Sprengstoffbomben. Dann wurden sie aber rechtzeitig verhaftet.

    Dieser Prozess gegen die Sauerlandgruppe ist natürlich aufmerksam beobachtet, verfolgt worden von den Sicherheitsbehörden in Deutschland, auch von Herbert Landolin Müller. Er leitet die Kompetenzgruppe Islamismus beim Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg. Guten Tag, Herr Müller.

    Herbert Landolin Müller: Guten Tag!

    Meurer: Zunächst vielleicht zum Strafmaß. Helfen diese hohen, langen Haftstrafen im Kampf gegen islamistischen Extremismus Ihrer Meinung nach?

    Müller: Zunächst mal ist es eine deutliche Ansage des Rechtsstaates, dass man solche Aktivitäten nicht bereit ist zu tolerieren. Inwieweit es einen Effekt bei möglichen anderen Tätern oder Möchtegerntätern haben wird, das muss noch abgewartet werden. Wir haben Erfahrung damit, dass die Aktivitäten der Behörden bislang entsprechende Zirkel nicht unbedingt abgeschreckt haben.

    Meurer: Hätte denn umgekehrt ein Effekt erzielt werden können, mit einer milden Strafe Signale auszusenden, ich sage mal an Mitläufer, um sie zum Aussteigen zu bewegen?

    Müller: Das ist die Frage, ob man hier sich zwischen Skylla und Karyptis bewegt. Da bin ich mir nicht so sicher, ob eine milde Strafe nicht als Schwäche des westlichen Systems interpretiert worden wäre.

    Meurer: Wenn wir das Verfahren betrachten, Herr Müller, haben Sie Neues erfahren über die Strukturen von islamistischem Terrorismus in Deutschland?

    Müller: Neues nicht unbedingt, aber man findet sich in vielen Punkten bestätigt in seiner Arbeit. Wir haben letztendlich hier Genaueres mitbekommen, wie die Abläufe innerhalb solcher Gruppierungen und Kleinzellen vorangehen, wie es beispielsweise funktioniert, wenn die Leute ins Ausland gehen, und wir haben letztendlich auch ganz deutlich gesehen, dass die Menschen, die sich in diese Bereiche begeben, hier schon in Deutschland in einem starken Maße radikalisiert worden sind, bevor sie ins Ausland gegangen sind.

    Meurer: Wer steht denn hinter diesen vier, die jetzt verurteilt worden sind?

    Müller: Wer steht jetzt direkt dahinter? Das ist sehr schwierig zu sagen. Zunächst mal müssen wir uns hier mit den Strukturen hier in Deutschland beschäftigen, und da ist letztendlich festzustellen, dass die Zirkel, die sich in Ulm [befinden] und darüber hinaus zusammenhängen mit dem Multikulturhaus in Neu-Ulm, dass sich hier eine Versammlung von Ideologen eingefunden hat, die sich offensichtlich der Verteidigung des Islam oder dem Dschihad verschrieben haben und die versucht haben, hier in Deutschland junge Menschen für ihre Ziele innerhalb und außerhalb Deutschlands zu gewinnen.

    Meurer: Es ist ja viel gesagt worden über das Phänomen des "Homegrown Terrorism", übersetzt hausgemachter Terrorismus, selbstgezüchteter Terrorismus. Großbritannien leidet darunter vor allen Dingen. Ist der Prozess ein Beispiel dafür, dass es dieses Phänomen hier in Deutschland gibt, oder dass das alles noch in den Anfängen steckt?

    Müller: Angesichts einer jahrelangen Beschäftigung mit diesem Phänomen kann ich von Anfängen nicht sprechen. Letztendlich ist dieser Prozess ein schlagendes Beispiel dafür, dass wir eben genau diese Entwicklung hier bei uns eben auch haben, und wir versuchen, der Entwicklung, so gut es geht, seitens der Sicherheitsbehörden zu wehren.

    Meurer: Wie anfällig sind Personen, sind Migranten, die in Deutschland leben, dazu, zum selbstgezüchteten Terrorismus zu greifen?

    Müller: Wir haben in dem Zusammenhang ja auch eindeutig jetzt ein Beispiel dafür, dass es nicht ausschließlich Migranten sind, und wenn man auf den Begriff Migranten kommt, sieht man zumeist, dass der inzwischen hier sehr weitgefasst und undifferenziert eingesetzt wird.

    Wir haben es mit Leuten hier zu tun, die vielleicht Eltern hatten, die Migranten waren, aber hier in Deutschland zur Welt gekommen sind, die deutsche Eltern hatten, die letztendlich eine andere religiöse Sozialisation hatten, aber in der gemeinsamen Sozialisation waren sie im Grunde ziemlich gleich. Also Menschen, die hier bei uns aufgewachsen, sozialisiert wurden, sind unterschiedslos in dieses Fahrwasser gekommen.

    Meurer: Wie oft kommt das vor, dass Deutsche zum Islam konvertieren und dann so abdrehen, dass sie beim Dschihad mitmachen wollen?

    Müller: Wenn wir da genaue Zahlen hätten, wären wir in der Hinsicht schon sehr glücklich. Bundesweit bei erkannten Personen geht man von 200 Personen aus. Es ist natürlich einzuräumen, dass es da eine gewisse Grauzone gibt, da ja solche Leute sich nicht gleich bei den Behörden oder bei Kirchen melden, um klarzumachen, dass sie sich auf diesen Weg begeben.

    Letztendlich müssen wir durch eine lange Beobachtung dieser Szene feststellen, dass sich diese Dschihad-Ideologie auch bei uns festgesetzt hat. Das kann man festmachen an der Literatur. Wir müssen hier nicht mehr auf fremdsprachige, zum Beispiel arabische oder iranische oder sonstige Bücher aus anderen Ländern zurückgreifen, sondern es gibt hier inzwischen übersetzte Werke.

    Also die jungen Leute können auf die Sprache zurückgreifen, mit der sie am meisten vertraut sind, das Deutsch. Das ist bei jungen Menschen, die einen türkischen Hintergrund haben, inzwischen auch der Fall. Sie bekommen sozusagen dieses ideologische Angebot sehr leicht zugänglich gemacht.

    Meurer: Zum Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf gegen die Mitglieder der sogenannten Sauerlandgruppe. Das war Herbert Landolin Müller vom Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg. Herr Müller, schönen Dank und auf Wiederhören.

    Müller: Auf Wiederhören! Danke schön.