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Haidles "Götterspeise" am Nationaltheater Mannheim
Passionsweg einer Köchin

Der amerikanische Theater- und Drehbuchautor Noah Haidle ist für seinen bitteren Witz bekannt. Am Nationaltheater Mannheim wurde nun Haidles Stück "Götterspeise" zur deutschsprachigen Erstaufführung gebracht. Darin ist die Protagonistin eineKöchin aus Leidenschaft, die mit gutem Essen die Welt verbessern will.

Von Cornelie Ueding | 23.01.2016
    Das Nationaltheater Mannheim, aufgenommen 2004
    Das Nationaltheater Mannheim (picture-alliance / dpa / Ronald Wittek)
    Die Hauptfigur Constant ist Waise, hat Missbrauch und Drogenerfahrung hinter sich und ist jetzt clean. Nun geht sie durch dick und dünn mit ihrem menschheitsbeglückenden Traum von einer besseren, weil besser bekochten Welt.
    "Wenn ich eins gelernt habe. Vielleicht das Einzige, was ich je gelernt habe. Dann, dass es bei einem Rezept nicht ums Ergebnis geht. Was ist der Punkt im Leben? Nicht das Ergebnis. Genau wie bei einem Rezept. Sondern die Liebe, die man in jeden Moment der Gestaltung legt."
    Fürwahr ein Sujet wie aus einem "Rührstück" – freilich mit denkbar schlechtem Ausgang für diese Köchin aus Leidenschaft. Am Ende, kurz vor ihrer Hinrichtung als Mörderin, ist sie keinen Deut klüger als zu Beginn, als sie alles daran gesetzt hatte, High-School-Studenten mittels elaborierter Kochkünste zu besseren, stärkeren, klügeren und vor allem glücklicheren Menschen zu bilden.
    Im Gegenteil: Auf dem Weg zum Schafott labt und beseligt die im Glücksrausch Sterbende noch ihre uneheliche Tochter, die sie seit 18 Jahren zum ersten Mal sieht, und den ungetreuen aber tief reuigen Niemals-Gatten und verlogenen Kinds-Vater versöhnlich mit symbolhaltiger Götterspeise.
    Wenn Regisseur Zino Wey doch wenigstens eine Farce aus dem dramatischen Liebes-Oratorium gemacht hätte! Aber so, eins zu eins vom Blatt gespielt, mit einer sentimentalen Quasselstrippe als Königin der Herzen, umgeben von steifen Wachsfiguren, getragen von Plastik-Dialogen, die immer moralisierender werden - weiß man wirklich nicht, was das alles soll: Fingerübung für theatralische Erstsemester? Missglückte Marthaleritis, ohne wenigstens einen Schuss Witz und ohne den Ansatz zu einem wie auch immer gearteten doppelten Boden? Oder künstlerisches Rahmenprogramm zum Kirchentag?
    Immerhin neigt der amerikanische Autor Noah Haidle zu der Auffassung, dass die "vereinte Aufmerksamkeit" der Menschen im Theater "einem weltlichen Gottesdienst" nahekomme. Und siehe: In Mannheim geht Constant ihren Liebesweg wie ein weiblicher Heiland, tapfer, aufrecht, ehrlich und glückseuphorisch, in allen Lebenslagen hilfsbereit. Bis zur Selbstaufgabe. Abstieg und Fall führen sie aus dem Himmel der High-School-Kantine über den Fast-Food-Shop an einem Flughafen, wo man ihr das Baby wegnimmt, bis in die Psychiatrie-Mensa. Dort fungiert sie dann zwischen Enchilada-Abend-Beschwörungen und Creme-Sahne-Parfait en passant noch als gerührte Sterbehelferin – ohne dass sie selbst oder irgendein anderer zu verstehen gäbe, welcher Irrsinn aus diesem missionarischen Selbstverlust erwächst.
    Dabei ist immerhin eines bei der Lektüre des Stückes nicht zu überlesen: dass sie von Anfang an ihre Einsamkeit, ihr Kontaktbedürfnis, ihren Hunger nach Liebe - mit menschlicher Nähe, mit Gefühlen füreinander verwechselt. Und darüber nicht etwa eine Beziehung zu anderen Menschen gewinnt, sondern ausgenutzt und betrogen wird und zunehmend den Bezug zur Realität verliert. In der Psychiatrie ist sie dann umgeben von Karikaturen, die unzusammenhängend einzelne Worte hervorstoßen oder unentwegt einen Satz wiederholen. Und ebenso automatenhaft-leerlaufend repetiert sie ihre Kochideen. Doch in Mannheim muss sie wie eine wandelnde Ikone unangefochten ihr Evangelium der Liebe predigen, bis selbst dem Scharfrichter die Träne quillt - statt wenigstens für Momente wahrzunehmen, wie sehr das jämmerliche Leben der erst 18-jährigen Tochter dem ihren schon gleicht. Derart von Autor und Regie verlassen, konnte Sabine Fürst als Constant durch noch so überzeugendes Leuchten von Innen heraus und trotz ihres unübersehbaren Potenzials, Zwischentöne zu treffen und Umbrüche zu zeigen, nichts mehr retten.