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Halbszenisches Geisterstück

In Salzburg wurde Daniel Kehlmanns erstes Theaterstück mit dem Titel "Geister in Princeton" in szenischer Lesung aufgeführt. Dargestellt wurde das Leben eines der bedeutendsten Logiker des 20. Jahrhunderts: Kurt Gödel.

Von Karin Fischer | 02.08.2011
    Gestern hieß es in Salzburg: Bühne frei für eine im deutschsprachigen Raum eher seltene Spezies, den Bestseller-Jung-Autor als well-made-play-Verfasser. Wir sahen: Das Leben des wirkmächtigsten Logikers des 20. Jahrhunderts als Beinahe-Komödie. Die Geschichte eines paranoiden Genies als Schmunzel-Dramolett. Gut, dass es nur eine szenische Lesung mit starken Schauspielern in dunklen Anzügen gab. Realistisch inszeniert – die Uraufführung findet in der kommenden Spielzeit in Graz statt – könnte dabei auch melodramatisches Klipp-Klapp-Theater herauskommen, auf Gödels Kosten.

    Es beginnt in der Aufbahrungshalle in Princeton. Kollegen vom Institut of Advanced Study, Gödels wissenschaftliche Heimat seit den 40er-Jahren, rätseln über den Toten, liefern erste Stichworte, Gödel selbst kommentiert:

    "Die Geister haben ihm gesagt, dass ihm von Asiaten kein Unglück droht." – "Er hat den Geistern immer geglaubt?" – "Sie haben ihm gesagt, dass man ihn vergiften wird, deshalb musste ich immer vorkosten." - "Und nie war ich mir sicher, dass du nicht mit ihnen im Bund bist. Ja, sie war immer gut zu mir, aber dass das morgen auch noch so sein wird, ist nur ein Schluss aus Deduktion. Man weiß es nicht." – "Dem Wahnsinnigen hilft keine Logik, und wäre er der schärfste Denker."

    Dann entfaltet sich, im Rückblick, Gödels tragische Geschichte. Der weltfremde, hypochondrische Außenseiter war kein Jude und musste trotzdem 1940 vor den Nazis in die USA fliehen, und das über Sibirien und Yokohama. Humoristischer Mittelpunkt des Stücks ist eine Szene, die an einer Bahnstation in der Mongolei spielt, mit bestechlichen Beamten und einem ausnahmsweise coolen Gödel (Peter Jordan spielt das Genie glaubhaft durchlässig), der zu seiner Frau sagt: "Du überschätzt Raum und Zeit." Und mit den Geistern von Toten spricht. Spätestens zu diesem Zeitpunkt gluckst das Salzburger Publikum vergnügt vor sich hin. Kehlmanns Kunstgriff: Er personifiziert den Verfolgungswahn, an dem Gödel tatsächlich litt, und lässt den Mathematiker mit den Geistern seiner Vergangenheit kommunizieren. Bei Kehlmann wird so das Unwirkliche Teil des vergnüglichen Dramas, das leider auch vor Plattheiten nicht halt macht. Kehlmann schreibt lakonisch, witzig, und inhaltlich effizient an der Chronologie entlang. Das Elternhaus, seine Frau Adele, der Wiener Kreis mit ein bisschen Polit-Talk, ein bisschen Eitelkeits-Talk, ein bisschen Wissenschafts-Talk.

    "Ich frage mich, was das ist mit der Logik. Es geht ihr um die Vernunft selbst, aber wer sie ausübt, den macht sie verwirrt."

    Dann die Ausreise, die sibirische Mücken, Einstein in Princeton, der von sich selbst sagt: "Ich bin Pazifist, aber ich habe die Atombombe erschaffen." Der kalte Krieg, Russland als neuer Feind. Gödels Ende. Er starb 1978 an Unterernährung, weil seine Frau Adele wegen eines Krankenhausaufenthaltes nicht mehr dafür sorgen konnte, dass er aß.

    Daniel Kehlmann will auf die Paradoxien der Wissenschaft hinweisen, und auf die Gefahr, in die sich ein radikaler Geist bringt. Gödel etwa musste streng davor gewarnt werden, dem Einbürgerungsrichter logisch nachzuweisen, dass das demokratische System der USA eine Diktatur nicht verhindern könnte. Seinem Freund Albert Einstein hat Gödel zu dessen 70. Geburtstag ein Theorem geschenkt, demzufolge die allgemeine Relativitätstheorie ein Universum zulässt, in dem Zeitreisen in die Vergangenheit möglich sind. Das hatte selbst Einstein schockiert. Und hat er wirklich jenen Brief verfasst, in dem steht , dass man ihn und seine Frau in 5000 Jahren als Zeitreisende abholen soll, um sie in eine medizinisch fortschrittlichere Epoche zu bringen? Doch Kehlmanns Text macht aus den tragischen Paradoxien eines blutigen Zeitalters und seines kranken Protagonisten nur Wissenschaftsanekdoten – und deshalb ein klamaukiges Geisterstück.