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Halbzeit in Moskau

Raumfahrt. - Der Mars steht neben dem Mond auf dem Flugplan irdischer Raumfahrer. Allerdings ist der Flug zum Roten Planeten um ein Vielfaches länger als der zu unserem Trabanten. In Moskau läuft daher das Langzeitexperiment "Mars 500", das diesen Flug bis auf die Schwerkraft simuliert. Jetzt haben die Teilnehmer die Hälfte des Experiments hinter sich.

Von Robert Baag | 10.02.2011
    Während der jetzt anbrechenden zweiten Halbzeit, beim virtuellen Rückflug vom Mars zur Erde, wird es für die sechs Astronauten demnächst wieder Nahrung vom sogenannten "Büffet" geben. Sie können sich dann wieder nach Belieben aus einem russischen Tuben-Vorrat an Bord bedienen - so wie ihre Kollegen auf der ISS, der "echten" Internationalen Raumstation im All. Während der bisher absolvierten 250 Tage bei strikter Isolation in einem Raumschiff-Modell in Moskau war der Speiseplan hingegen genau vorgeschrieben, Teil eines Langzeit-Experiments zum Salz- und Flüssigkeitshaushalt des menschlichen Körpers. Die Kochsalz-Zufuhr in der Astronautennahrung ist jetzt über einen langen Zeitraum kontrolliert verringert worden. Im Visier haben Mediziner der Universität Erlangen Nürnberg dabei eine der großen Zivilisations- und Volkskrankheiten, den Bluthochdruck. Rupert Gerzer vom DLR, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt:

    "Wir wissen beim Menschen immer noch nicht, wie das mit Salz und Blutdruck ist. Das wird zwar immer gelehrt. Wir lernen das alle, verkünden dies. Aber es hat noch niemand gezeigt, dass Salz beim Menschen den Blutdruck ändert."

    Schon allein wegen dieses Projekts habe sich bisher die Mars500-Mission in Zusammenarbeit mit dem IBMP, dem Moskauer Institut für Biomedizinische Probleme, mehrfach gelohnt - Weiteres Stichwort: "Knochenschwund / Osteoporose":

    "Wir können jetzt genau definieren: Welche Auswirkungen hat das hohe Salz auf den Knochen? Und so etwas kann man in der Medizin bisher nicht untersuchen. Wenn man es untersuchen könnte, dann hätte man es schon längst gemacht. Ist aber nicht gemacht worden, weil es so extrem teuer ist. Darum sind wir wahnsinnig dankbar, dass wir so eine Studie, die eigentlich für den Mars gedacht ist, einfach nutzen können, um einen direkten Fortschritt für die Medizin zu machen."

    An den insgesamt elf Experimenten, die von deutschen Forschern betreut werden, beteiligen sich auch Psychologen. Sie interessieren sich vor allem die gruppendynamischen Prozesse, die ablaufen, wenn Menschen über sehr lange Zeit gezwungen sind, auf engstem Raum, von der Außenwelt völlig isoliert, zusammen zu arbeiten und zu leben. Welcher Persönlichkeitstyp am ehesten für solche Extremsituationen geeignet ist, werde von den russischen Partnerkollegen schon seit langer Zeit untersucht:

    "Interessanterweise nicht die Dominanten. Leute, die dominieren, mischen in der Regel nach einiger Zeit die Gruppen auf. Man muss immer aufpassen, dass das Leute sind, die langzeit-stabil sind, die nicht depressionsanfällig sind. Die Russen sagen immer: Wir wollen nicht die 100-Meter-Läufer sondern wir wollen die Marathon-Läufer haben."

    Rupert Gerzer kennt die Kritik, die das simulierte Mars500-Projekt eigentlich für überflüssig hält. Denn schließlich könne man all diese Experimente doch unter echten Weltall-Bedingungen im Rahmen der Internationalen Raumstation ISS in Auftrag geben. Aber, so Gerzer:

    "Die Russen sagen: Es gibt viele Sachen, die man auf der Raumstation nicht machen kann. Dieses lange, kontaktlose Eingeschlossensein von der Gruppe. Das ist ja so reduziert, dass die auch nicht nach außen in Echtzeit kommunizieren dürfen, dass sie zum Beispiel alles Essen für so eine Mars-Mission mitnehmen müssen, dass sie Hilfsmittel, was auch immer es wäre, mitnehmen müssen. Auf der Raumstation - im Unterschied - ist zwar die Schwerelosigkeit vorhanden. Aber dort kommen alle drei Monate wieder andere Crews. Da kommt wieder Nachschub. Und die Situation ist deshalb vollkommen anders bei einer Raumstation, als wenn man in Richtung Mars sich aufmacht."

    Ein bis ins letzte Detail realistischer 1:1-Vergleich dieser simulierten bodengestützten Moskauer Mars500-Mission mit einer künftigen echten Langzeit-Reise zum Roten Planeten sei kaum möglich, bemängeln andere Kritiker. Schließlich wisse doch jeder Mars500-Proband, daß etwa bei plötzlicher Gefahr dieses Experiment jederzeit abgebrochen werden könne:

    "Auf der echten Mars-Mission wird wahrscheinlich erstmal - toi, toi, toi - auch nicht eine lebensbedrohliche Situation eintreten. Die Leute wissen zwar, dass sie nicht umkehren können, dass sie nicht rauskönnen, dass sie sterben können. Aber die tägliche Situation ist doch sehr, sehr vergleichbar! - Wer auf der Erde in so eine Mission reingeht, der will ja auch nicht raus. Der hat seinen persönlichen Ehrgeiz. Der weiß auch: OK, wenn ich da rausgehe, dann wird das überall verbreitet... Also: Es gibt schon einen gewissen Druck, auch trotz Problemen da drin zu bleiben. - Vollkommen vergleichbar ist es nicht!"