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Haley Fohr alias Circuit Des Yeux
Der Weg ins Licht

Die US-Amerikanerin Haley Fohr alias Circuit Des Yeux besitzt eine tiefe Altstimme und die Vorliebe für avantgardistischen Folk-Rock und Elektronik: Verzerrte Gitarren, himmlische Akkorde einer 12-saitigen Gitarre und sich wiederholende Gesangs-Kaskaden. Spannende, sperrige Musik, die in so gar kein Raster passt.

Von Michael Frank | 10.06.2018
    Eine Frau mit langen dunklen Haaren steht vor einer gemusterten Wand und schaut in die Kamera
    Haley Fohr alias Circuit Des Yeux (Michael Vallera)
    Haley Fohr veröffentlicht seit zehn Jahren ihre Musik unter dem Pseudonym Circuit Des Yeux. Sie begann als introvertierte Einzelgängerin, später vertraute sie ihre Musik zunehmend befreundeten Musikern aus der experimentierfreudigen Szene Chicagos an. Genauso ungewöhnlich wie ihre tiefe Stimme sind ihre Songs zwischen avantgardistischem Folk-Rock und Elektronik.
    Haley Fohr: "Sich selbst zu erfinden, und das immer wieder, ist extrem anstrengend, aber es kommt etwas Wunderschönes dabei heraus."
    Musik: "KT 1"
    Die US-amerikanische Musikerin bezeichnet ihre kreative Arbeit als ziemlich ungeordnet. Aber sie hat für sich einen Weg gefunden, das Durcheinander zu organisieren.
    Fohr: "Ich bin ziemlich chaotisch, wenn ich im kreativen Flow bin, aber bei einem Job organisierst Du Deine Aufgaben ja auch, es gibt ja auch online-Kalender. Als Musikerin sagst Du Dir, von dann bis dann arbeite ich an dieser Idee, und von dann bis dann an einer anderen. Es gibt also Disziplin im Chaos."
    Haley Fohr würde aber nie behaupten, sie könne das Chaos kontrollieren.
    Fohr: "Bei kreativen Prozessen ist so etwas wie Magie im Spiel. Das lässt sich nicht erklären. Aber wenn Du offen dafür bist, wird Dir das zugutekommen. Jede tolle Platte, jeder großartige Film, überhaupt jedes bedeutende Kunstwerk hat ein bisschen von dieser magischen Zutat."
    Musik: "KT 5" / "Ride Blind"
    Haley Fohr alias Circuit Des Yeux mit "Ride Blind" - die Reise ins Ungewisse wurde 2015 auf ihrem Album "In Plain Speech" veröffentlicht. Der Aufbau ihrer Songs hat nur selten etwas mit dem traditionellen Wechsel von Strophen und Refrain zu tun, oft tauchen nach der ersten Hälfte neue, ganz andere Songteile auf. Hinzukommen unerwartete Wechsel in der Klangfarbe wie in "Ride Blind": Die monoton pulsierende Begleitung aus E-Bass, Trommeln und Streichinstrumenten kippt um in ein abwärts taumelndes Vierton-Riff. Und plötzlich sind auch ein komplettes Schlagzeug mit Becken, ein grummelnder Synthesizer und ein verzerrter Bass mit dabei.
    Eine besondere Stimme
    Ebenso außergewöhnlich ist auch Haley Fohrs kraftvolle Stimme: Sie reicht in tiefe Register, wie sie nur ganz selten von Frauen zu hören sind. Ein Moment, an dem sie die Freude am Singen entdeckte, ist ihr noch sehr lebhaft in Erinnerung geblieben.
    Fohr: "Ich war damals in der ersten Klasse, so etwa acht oder neun Jahre alt. Ich sang etwas vor, um in einen Chor zu kommen, den die Schule gratis anbot. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie viel Spaß mir das gemacht hat. Singen fühlte sich einfach gut an. Meine Eltern haben mich dann zu privatem Gesangsunterricht angemeldet. Da war ich ungefähr zwölf Jahre alt. Meine Eltern und Lehrer haben mich immer sehr unterstützt, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass mir jemand gesagt hat, wie toll ich singe. Außerdem habe ich eine tiefe Altstimme. Dafür gibt es nicht allzu viele Solopartien."
    Tatsächlich wurden Fohr schon im Highschool-Chor oft Partien anvertraut, die eigentlich für männliche Tenorstimmen gedacht sind. Ihre Stimme reicht hinunter bis zum kleinen c, ihr oberes Register endet etwa zweieinhalb Oktaven höher. Die privaten Gesangsstunden haben sich auf jeden Fall als sehr nützlich erwiesen.
    Fohr: "Zurzeit merke ich, dass ich sehr von diesen Entwicklungsjahren geprägt worden bin. Ich mache jeden Tag Gesangsübungen, oder versuche das zumindest. So ganz elementare Dinge wie Tonleitern mit Solfège-Silben. Der Umfang meiner Stimme erweitert sich. Das ist für mich schon irgendwie geheimnisvoll. Ich hatte immer schon eine tiefere Stimme, aber vor ein paar Jahren, wurde sie noch einmal um eine Oktave tiefer. Und im vergangenen Jahr habe ich vor allem an meinem hohen Register gearbeitet."
    Bei einer ihrer Gesangsübungen konzentriert sich die Musikerin ganz auf das Singen von nur einer einzigen Silbe. Mit erstaunlichen Resultaten.
    Fohr: "Das fühlt sich toll an. Ich versuche das schon eine Weile. Ich will es bald schaffen, eine Silbe eine ganze Stunde lang zu singen. Das ist irgendwie meditativ und hat sehr viel Kraft. Es hilft mir, mich auf die Gegenwart zu konzentrieren, ich fühle mich dann ganz stark meinem Körper verbunden, und im Einklang mit dem Universum. Das ist sehr bewegend."
    Musik: "Paper Bag"
    "Paper Bag" vom bisher letzten Circuit Des Yeux-Album "Searching For Indigo" aus dem Jahr 2017. Auch in diesem Song kommen ganz unterschiedliche Komponenten zusammen: auf- und abwehende Synthesizer-Girlanden à la Gong oder Tangerine Dream. Die mehrfach übereinander gelegten Stimmen der 29-Jährigen erinnern an den Minimal Music-Komponisten Steve Reich und erst nach gut zwei Minuten setzt eine Art Folk-Rock-Groove ein. Und für die letzte der fünf Minuten wechselt der Song noch einmal die Richtung: Neue Akkorde kommen hinzu, der E-Bass steigt ein, und der Schlagzeuger spielt ein neues Begleitmuster. Der Text von "Paper Bag" empfiehlt, bei der Suche nach der eigenen Identität die Perspektive zu wechseln und dann zu schauen, was es zu entdecken gibt. Als Methode für diese Selbstfindung schlägt sie vor, sich eine Papiertüte über den Kopf zu ziehen. Bekannter ist das als Hilfsmittel gegen Hyperventilation. Im Text von "Paper Bag" wird aus dem Gegenmittel gegen physische Atemnot eines gegen psychische Erstickungszustände.
    Der Weg zur Gitarre und zu eigenen Songs
    Haley Fohr wurde 1989 geboren, in Lafayette, im US-amerikanischen Staat Indiana. Mit 16 Jahren hatte sie ihre erste Gitarre und schrieb auch gleich ihren ersten Song. Sie entsprach nie dem Klischee einer zarten Sängerin und Songwriterin: ihre tiefe Stimme, verzerrte E-Gitarren und dissonante Klanglandschaften sind ebenso Teil ihrer Musik wie himmlische Akkorde einer zwölfsaitigen Akustikgitarre und kammermusikalische Arrangements mit Streichern und Holzbläsern. Ihre künstlerische Heimat ist weit entfernt vom Mainstream. Welche Einflüsse da am Werk waren, fällt ihr aber schwer zu sagen.
    Fohr: "In den ersten Jahren meiner Gesangsausbildung habe ich viele italienische Opernarien gesungen, und Jazz und Blues. Mein Zugang zur Subkultur-Szene war Avantgarde-Musik, ich weiß nicht, warum. Die üblichen Grundlagen wie Rockmusik, No Wave oder Punk habe ich verpasst, ich bin direkt bei Musik gelandet, die etwas seltsamer war." Auch ihre Entwicklung als Gitarristin und Songschreiberin folgte nicht dem gängigsten Muster.
    Fohr: "Anderer Leute Songs zu covern, war nie so mein Ding. Ich kenne auch viele, die ein Instrument lernen, indem sie Platten auflegen und mitspielen. Aber ich interessierte mich einfach dafür, wie ich meinen Gesang selber begleiten könnte, und das schien mit der Gitarre am meisten Spaß zu machen. Als ich mir dann meine erste Gitarre gekauft habe, habe ich auch gleich meinen ersten Song geschrieben. Der war noch ziemlich einfach, ich weiß nicht, ob er was taugte. Songs zu schreiben, war eine ganz natürliche Reaktion von mir."
    Fohr spielt oft auf einer 12-saitigen Gitarre, sie beschränkt sich in ihren Konzerten auf zwei verschiedene Stimmungen der Saiten, weil komplettes Umstimmen aufwändig ist. Die Griffbilder der Akkorde hat die Musikerin alleine entdeckt, ohne Unterricht zu bekommen. Sie greift oft unkonventionell, und die vielen nicht gegriffenen mitschwingenden Saiten lassen einen eigenen Sound entstehen.
    Musik: "Fantasize The Scene" "
    Der Beginn des Alter Egos Circuit Des Yeux
    Haley Fohr spielte im Alter von 17, 18 Jahren zusammen mit Katie Leming in dem noiselastigen Punkduo Cro Magnon - sie konzentrierte sich damals auf das Gitarrespielen, gesungen hat sie in der Band kaum. 2007, am Ende ihrer Highschool-Zeit, erfand sie für sich und ihre musikalischen Projekte das Pseudonym Circuit Des Yeux. Der Name ist eine schwer übersetzbare Mischung aus englischen und französischen Wörtern für "Kreis" oder "Stromkreis" und "Augen". Sie begann in Bloomington, Indiana, ein Tontechnik-Studium, doch empfand sie die Zeit dort eher als Belastung: Mit Partykultur und Koma-Trinken konnte sie wenig anfangen. Am Ende ihres Studiums hatte sie zwar ihren Abschluss in der Tasche, aber auch 50.000 Dollar Schulden wegen der Studiengebühren. Alle Platten, die sie bis zum Examen im Jahr 2012 als Circuit Des Yeux aufnahm, waren reine Soloprojekte, erst danach öffnete sie sich für eine Zusammenarbeit mit anderen Künstlern. Einer von ihnen ist der Gitarrist und Organist Cooper Crain. Crain ist ein experimentierfreudiger Musiker, der mit den Bands Cave und Bitchin Bajas bekanntgeworden ist. Die Musikerin hatte Crain 2010 kennengelernt. Kurz nach Ende ihres Studiums zog sie nach Chicago, wo sie bis heute wohnt. Mit Crain macht sie immer wieder zusammen Musik.
    Fohr: "Als ich nach Chicago zog, haben Cooper Crain und ich jeder 600 Dollar investiert und ein professionelles Tonbandgerät von Otari gekauft. Für 200 Dollar habe ich dann von einem Freund einen Raum angemietet, und wir haben in einem Monat mit dem Tonbandgerät und weiterem Equipment unser eigenes Studio aufgebaut. Für die Schalldämpfung der Wände habe ich Eierkartons aus dem Cafè geklaut, in dem ich damals arbeitete. In dem Studio wurde das Album "Overdue" aufgenommen."
    Songs über reale und fiktive Erlebnisse
    Das Album "Overdue" aus dem Jahr 2013 ist das erste, auf dem fast jeder Track mit einer kleinen Band eingespielt wurde. Ein Höhepunkt der Platte ist "Some Day" - das intensive minimalistische Hämmern von Gitarren und Schlagzeug und der wilde Gesang sind Ausdruck tiefer Frustrationen, erinnert sich die Künstlerin.
    Fohr: "Ich war sehr unzufrieden mit meinem Platz in der Gesellschaft, mit der Universität, vielleicht auch, weil ich das Gefühl hatte, nicht genug wahrgenommen zu werden. Ich finde heute noch, dass junge Leute mit die genialsten Ideen haben, aber sie werden einfach nicht ernstgenommen - vielleicht weil sie nicht so viel Erfahrung haben. Der Song "Some Day" war wie eine Erlösung für mich Wahrscheinlich ist er der einfachste, den ich je aufgenommen habe. Die Energie kam von allen, die da mitgespielt haben."
    Musik: "Some Day"
    Ganz anders klingt die Musik von Fohr, die sie 2016 unter dem Pseudonym Jackie Lynn veröffentlichte, sie verzichtete bewusst auf ekstatische Stimmausflüge, sang ganz harmonische Background-Chöre ein, und hielt die Songs kurz. Die Instrumentierung des Minialbums Jackie Lynn ist kühl und elektronisch, mit einer archaisch klingenden Rhythmusmaschine anstelle einesakustischen Schlagzeugs. Im Mittelpunkt der Platte steht die Kunstfigur Jackie Lynn - eine Frau aus der ländlichen Provinz, die nach der Flucht in die Großstadt zum Kokain-Dealer wird. Als Circuit Des Yeux singt die Musikerin dagegen Texte, die keine klar erkennbare Geschichte erzählen und nicht leicht zu entschlüsseln sind. Es sind oft Momentaufnahmen von Emotionen und Erfahrungen zwischen Isolation und Selbstfindung. Eine Zufallsbegegnung auf der Straße kann sie dazu anregen, sich in einen anderen Menschen hineinzuversetzen und zu fragen, was diese unbekannte Frau zum Weinen gebracht hat, die ihr gerade aus einer Filiale der Anonymen Alkoholiker entgegenkommt. Einer ihrer Songs wurde von einem alten englischen Sprichwort inspiriert, er heißt "A Story Of This World", eine Geschichte dieser Welt.
    Fohr: " 'In Ermangelung eines Nagels war das Hufeisen nicht zu retten, mangels Hufeisen, war das Pferd dahin, ohne Pferd war der Reiter verloren, ohne Reiter ging die Schlacht verloren. Alles Gold wird zu Staub.' Als ich das Sprichwort das erste Mal las, hat mich das ganz schön getroffen. Ich mag diese Einfachheit. Ich halte es für extrem wichtig, die eigenen Wertvorstellungen zu überprüfen, sich Kultur und Gesellschaft anzuschauen und die Motive zu hinterfragen hinter all dem, was passiert. Der Song "Story Of The World" entwickelt sich kontinuierlich weiter. Er soll Zugang zu einer bestimmten Epoche verschaffen, es ist eine Geschichte von der Welt, die sich ständig verändert."
    Musik: "A Story Of This World"
    Erweiterte Songstrukturen
    Das war der erste Teil des Songs "A Story of the world" - im zweiten wird Haley Fohrs Gesang ekstatischer und sie wiederholt immerzu die Zeile "You lost the battle", "Du hast die Schlacht verloren". Auch manche andere Stücke von Circuit Des Yeux sind bis zu sieben Minuten lang und nehmen am Ende überraschende Wendungen: Codas, die sich vom Rest der Lieder deutlich unterscheiden. Die Komponistin kommt zu diesen Strukturen ganz intuitiv, ohne besonders clever oder ungewöhnlich sein zu wollen. Für sie fühlt sich das ganz natürlich an.
    Fohr: "Ich finde jeder Song hat viele verschiedene Teile, wie eine Geschichte oder ein Film, oder eine Reise, die sich nach und nach entwickelt. Bei diesen Codas kommen dann Improvisationen hinzu, oder ein Nostalgie-Loop: Das Auffrischen von fernen Erinnerungen kann sehr eindringlich sein. Eine Coda kann auch das Grundthema einfach etwas anders interpretieren. Das ist alles ziemlich psychedelisch."
    Musik: "Black Fly"
    Haley Fohr kommuniziert mit ihren Mitmusikerinnen und -musikern nicht in musiktheoretischen Begrifflichkeiten – sie gibt eher bildhafte Spielanweisungen wie "es soll nach Schmetterlingen am Himmel klingen". Sie spielt am liebsten mit auch privat befreundeten Musikern, überwiegend aus dem Bereich von experimenteller Musik und Jazz.
    Fohr: "Sie haben auf jeden Fall genug Freiheit, sich selber auszudrücken. Es hängt natürlich immer vom jeweiligen Song ab. Manchmal habe ich einen fertig komponierten Part, den spiele ich ihnen dann vor, und mit ihrer Hilfe klingt das direkt viel besser. Und manchmal sage ich ihnen z.B., es geht hier um eine schwarze Fliege, und jeder von ihnen hat eine andere Auffassung davon, wie sich eine schwarze Fliege anhört. Das finde ich viel interessanter als einen Part für eine schwarze Fliege zu komponieren und dann an die Band zu verteilen."
    Musik: "Black Fly"
    Erfahrungen aus dem Tourneealltag
    Fohrs scheue Persönlichkeit scheint wie verwandelt, wenn sie sich auf der Bühne absolut furchtlos ihren wilderen Gesangsausbrüchen hingibt. Momente, in denen sie dabei das Bewusstsein loslassen kann, beschreibt sie als transzendent. Andererseits ist auch bei Konzerten immer noch etwas von ihrem zurückhaltenden Wesen spürbar: Ihr Gesicht versteckt sich oft hinter ihren Haaren, und bei ihrem Kölner Konzert ließ sie nach den ersten beiden Stücken das ohnehin schon spärliche Licht ganz ausschalten. Sie und ihre beiden Mitspieler an Kontrabass und Schlagzeug waren von da an nur noch als Schemen vor der Lightshow zu sehen. Als Circuit Des Yeux geht sie seit zehn Jahren auf Tour.
    Fohr: "In Europa zu spielen, war wunderbar und hat mich sehr bereichert. Nicht jeder Musiker hat das Glück, so etwas zu erleben: Die Leute hier reagieren sehr direkt. Ich brauche die Energie aus dem Publikum unbedingt. Wenn ich da nichts spüre, fällt es mir schwer, selber intensiv zu sein. Andererseits war diese Tournee auch irgendwie frustrierend für mich: immer im Vorprogramm zu spielen, ist eine große Herausforderung. Du musst das Publikum erst einmal für Dich gewinnen, und manchmal ist es schwer herauszufinden, wie es gerade drauf ist, es ist in jeder Stadt anders. Ich habe damals extrem positive und negative Erfahrungen mit dem Publikum gemacht."
    Musik: "A Story Of This World Part II"
    Fohr: "Wenn Du allein auf Tournee gehst, hast Du viele Freiheiten. Wenn Du jeden Abend spielst und improvisierst, entwickelt sich deine Musik enorm weiter - ganz unvorhersehbar. Allein unterwegs zu sein, kann natürlich hart sein. Du kannst im Grunde nur das mitnehmen, was Du auch selber tragen kannst. Ich bin mit dem Zug gefahren oder habe mir späte Flüge in der Nacht gebucht, für zehn Euro damals. Aber jetzt habe ich ja eine Band, und mir ist es lieber, nicht zu fliegen. Wir haben sogar einen Fahrer. Das fühlt sich schon nach Luxus an."
    Musik und ein besonderer Tag
    Haley Fohr hat Musik einmal ihre Religion genannt, sie ist für sie keine Beschäftigung, kein Beruf. Tatsächlich hat Musik sie aus einer schweren Depression gerettet. In einem Interview berichtete sie von der Zeit kurz nach ihrem ersten Versuch, an einer Universität in Lafayette Fuß zu fassen. Statt Kerntechnik zu studieren, nahm sie nur ihre eigene Musik auf, und schon bald musste sie erst einmal wieder zurück zu ihren Eltern ziehen. Das Jahr 2008 verbrachte sie hauptsächlich im Bett, sie aß fast nichts, wusch sich nicht die Haare und verkroch sich in ihrem Zimmer. Nur mithilfe der Musik, sagte sie, fand sie auch wieder den Weg hinaus. "Music is the healing force of the universe", "Musik ist die heilende Kraft des Universums" - die 29-Jährige kann dieser Aussage des Saxofonisten Albert Ayler aus ganzem Herzen zustimmen.
    Fohr: "Musik ist die weltumfassende Sprache, sie ist rein und voller Liebe. Ich glaube, Kriege wurdennoch nie durch Musik geschaffen, nur Frieden und Harmonie. Musik zu entdecken, hat mirZugang zu Allem in meinem Leben eröffnet. Es ist ein Traum: allein dieses Privileg, überhauptMusik zu machen. Mir ist klar geworden - alle Menschen aus meiner Umgebung und das ganze Drumherum meiner Realität sind mir durch die Kraft der Musik geschenkt worden. Das ist unerklärlich – und heftig."
    Das aktuelle Circuit Des Yeux-Album, "Searching For Indigo", widmete Haley Fohr einem ganz besonderen Tag in ihrem Leben, dem 22. Januar 2016. An diesem Tag ging ihr im wahrsten Sinn des Wortes ein Licht auf, ihr Blick auf ihr Leben und die Welt veränderte sich. Ausgangspunkt waren ihre jahrelangen Erfahrungen als Außenseiterin.
    Fohr: "Jeder macht mindestens einmal in seinem Leben die Erfahrung, dass es sehr unangenehm ist, wenn man nicht so ist wie die anderen, weshalb auch immer. Und in so einem Moment brauchst Du vielleicht jemanden, der sagt, ich fühl mich auch anders. Das kann sehr viel Kraft geben. Ich habe damals Leute kennengelernt, die sich auch so fühlten, aber sie haben mir einen Ort gezeigt, an dem ich mich verstecken konnte. Sie sagten mir: "Es gibt da so eine Finsternis, die ist berauschend und fühlt sich gut an." Du kannst es Dir in dieser Dunkelheit schon ganz gemütlich machen, aber Du bekommst gar nicht mit, was Du alles verpasst. Ich fühlte, wie meine Sinneswahrnehmungen abstumpften, etwas Schweres lag jahrelang auf meiner Brust."
    Fohr beschreibt einen Prozess, der sich über zehn Jahre ihres Lebens erstreckte und schließlich indas Gegenteil von Dunkelheit umschlug.
    "Irgendwann wurde es so finster, dass ein helles weißes Licht daraus entstand. Da kam vieles zusammen: ich verstand meine Rolle auf der Erde, und was es bedeutet zu leben und Freude zu erleben, mir wurde der Unterschied zwischen Glücklich sein und Freude klar, und was Intuition ist, und ich begriff wie wertvoll es ist, ganz unverfälscht und rein die eigene Realität darzustellen. All das passierte mir vor ungefähr zwei Jahren. So etwas können alle Menschen irgendwann einmal erleben, das gibt es tatsächlich. Jeder hat natürlich seine eigene Geschichte. Das war eine ganz große Lektion in meinem Leben, ein zehnjähriger Lernprozess. Dafür bin ich dankbar, und dafür, dass ich diese Entwicklung gemacht habe."
    Musik: "Geyser"