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"Halids Heimkehr"

Noch war der Krieg nicht ausgebrochen, da verließ die heute vierzigjährige Natasha Radojcic, Tochter eines serbischen Vaters und einer bosnischen Mutter ihre Heimat in Richtung New York, mit tausend Dollar in ihren Socken. Während einander Serben, Kroaten, Bosnier und Albaner auf dem Balkan zerfleischten, fand sich die junge Einwanderin allmählich im gelobten Land zurecht, jobbte, studierte an der Columbia University, versuchte sich an einem Liebesroman, nahm die englische Sprache an. Ihr erster Roman, 2002 erschienen, trug den sprechenden Titel "Homecoming" und führte in das vom Krieg zerstörte Bosnien zurück.

Von Dorothea Dieckmann | 18.05.2007
    In Deutschland wurde jedoch zunächst ihr zweites Buch entdeckt - kein Wunder. "Du musst hier nicht leben", 2005 im englischen Original erschienen, ist eine mehr als schnoddrige, mehr als unsentimentale Geschichte. Hart und kompromisslos wird hier die Odyssee einer renitenten Jugendlichen erzählt, die in einer muslimischen Großfamilie beginnt und in New York endet - im Sexshop "Pink Pussycat", in dem auch ihre Schöpferin nach der Flucht aus Jugoslawien jobbte.

    Der von Sex und Drogen bestimmte Werdegang der griffig als Balkanlolita bezeichneten Ich-Erzählerin in der Punk-Zeit der Achtziger begeisterte die Kritiker - Grund genug, nun mit dem ersten Roman nachzusetzen. "Homecoming", deutsch "Halids Heimkehr", beginnt auf der Fahrt in ein kleines bosnisches Dorf. In klaren, kräftigen Bildern wird die Ausgangslage beschrieben:

    Es war zu heiß für Anfang Oktober, und er hatte seinen Rollkragenpullover auf der dreistündigen Busfahrt vom Bahnhof in Split durchgeschwitzt. Dort war er von Sarajevo aus hingefahren und hatte, mit seinem Koffer als Kopfkissen, auf einer Holzbank zusammengerollt die Nacht verbracht. Da er seit über zwei Wochen nicht geduscht hatte, war es ihm peinlich, den Pullover auszuziehen. Es war nicht nur der Geruch, er trug auch kein Unterhemd, und die frische Haut seiner Narbe konnte die anderen Fahrgäste beunruhigen.
    Kein Zweifel, der unfreiwillige muslimische Heimkehrer Halid - er ist trotz seiner Verletzung wegen des Platzmangels aus dem Lazarett gewiesen worden - kommt nach Jahren grausiger Kämpfe in der belagerten Stadt zu Hause in der Fremde an. Obwohl er schon den Schemen seiner Mutter im Elternhaus erkennen kann, zögert Halid die eigentliche Heimkehr hinaus. Während er ins nahe Städtchen geht, wechselt die Perspektive zu Mira. Halid hat die Muslimin geliebt, aber zugelassen, dass sie mit seinem serbischen Freund Momir verheiratet wurde, der im Krieg von einer Mine zerrissen wurde. Nun lebt Mira mit ihrem Kind als ungeliebte Witwe bei der verbitterten Schwiegermutter Stana und deren zweitem Sohn, einem schwachsinnigen, harmlosen Riesen, der sich seit dem Gerücht, er habe ein Mädchen ermordet, in einem Käfig im Garten einschließen lässt.
    Die Lampe über dem Eingang zum Garten hatte schon vor den Bombenangriffen nicht mehr gebrannt. Mladen schlief mit offenem Mund wie ein Kind. Vertrauen, dachte sie, einst hatte ich Vertrauen. Und war schön. Es schnürte ihr den Hald zu. Sie preßte die Gitterstäbe des Käfigs mit den Händen zusammen und drückte ihr Gesicht gegen die Knöchel. "Du Schwein", flüsterte sie, und ihr kamen die Tränen. "Du Schwein."
    Das "Schwein" ist Halid, der Mira verraten hat. Jetzt will er sie mit ihrem - und vielleicht seinem - Sohn mitnehmen. Unter Vermittlung des alten Juden Pap überzeugt er nicht nur Mira, sondern auch die alte Stana, der er als Gegenleistung einen neuen Traktor verspricht. Denn Halid hat Geld mitgebracht; jeder weiß es, als er in einer von einer Roma-Großfamilie bewohnten alten Fabrik zum Feiern einlädt. Doch man ahnt auch, dass Blut an den Scheinen klebt, denn Halid hat in Sarajevo versehentlich die Tochter eines muslimischen Obersten erschossen und dann ausgeraubt. So zieht sich das Unheil über Halid zusammen. Er selbst ist es, der sich mitten in die Gefahr begibt, als er sich bei den Zigeunern zum Pokern überreden lässt und all sein Geld aufs Spiel setzt. Dabei erinnert er sich an die Spielchen in den Feuerpausen in Sarajevo:

    Wenn sie pleite waren, was häufiger vorkam, weil das meiste Geld für Marlboros und Rakija draufging, wetteten sie um ein Fußbad. Die Verlierer mussten zu den Weinfässern kriechen und sich dort unter den wachsamen Augen der serbischen Scharfschützen die Füße und Achseln waschen.
    Es sind diese rauen, lebensnahen Szenen aus dem zerrissenen Land mit seiner traumatisierten, brutalisierten Bevölkerung, die - als quasi männliche Entsprechung zu der Hardcore-Entwicklung des Mädchens im zuerst erschienenen Buch - die Kraft dieses Romans ausmachen. Wie in einem hyperrealistischen Balkanfilm wechseln die schrillen und düsteren Schauplätze, die kaputten Alltagseindrücke und die von Gewalt und Säuberung gezeichneten Figuren verschiedenster Herkunft, von den Roma-Prostituierten bis zum serbischen Bäcker, der seinen Kindern in erzwungener Anpassung muslimische Namen gab. Zudem folgt die Entwicklung einem Sog, der dem klassisch tragischen Muster von Rückkehr, Schuld und Rache folgt. Zu Recht wurde daher der Vergleich zu Gabriel García Marquez' "Chronik eines angekündigten Todes" gezogen.

    Trotz dieser Potentiale aber trägt "Halids Heimkehr" viele Zeichen schriftstellerischer Unreife. Die zentralen Stationen Heimkehr, Verbrechen und Schlusskatastrophe sind schlecht motiviert, die Komposition, vor allem die Perspektivwechsel, wirkt unbeholfen, und die Erzählweise ist auf weite Strecken so naiv und konventionell, dass im Verhältnis zu den starken Bildern eine Schieflage entsteht. Zudem versagt Radojcics Bildkraft ausgerechnet beim blutigen Finale. Schließlich muss angemerkt werden, dass die Übersetzung regelmäßig bei Konjunktiven versagt, erlebte Rede falsch wiedergibt, die Zeitenfolge durcheinander bringt und in Logik und Wortwahl immer wieder danebengreift. Die deutsche Version hätte wenigstens gründlich lektoriert werden müssen - denn immerhin verdient dieses Nachkriegsdrama die Aufmerksamkeit aller Leser, die den harten Realismus osteuropäischer Prägung zu schätzen wissen.