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Halle-Nietleben in Sachsen-Anhalt
Widerstand gegen minderjährige Flüchtlinge

Sachsen-Anhalt hat nach Angaben des Sozialministeriums im vergangenen Jahr gut 1.000 Kinder und Jugendliche aufgenommen, die ohne Angehörige nach Deutschland geflohen waren. 16 dieser minderjährigen Flüchtlinge sollen in Halle-Nietleben untergebracht werden. Einige der 2.600 Einwohner wollen das nicht hinnehmen.

Von Christoph Richter | 13.04.2016
    Drei Jugendliche gehen einen Flur entlang. Sie sind von hinten zu sehen.
    Minderjährige sind auf der Flucht besonders gefährdet - und in Deutschland nicht überall willkommen. (dpa / Uli Deck)
    Purer Hass flog den Mitarbeitern vom Deutschen Roten Kreuz am vergangenen Donnerstag entgegen. Als sie auf einer Bürgerversammlung darüber informieren wollten, dass demnächst 16 minderjährige Flüchtlinge in eine frühere – jetzt leer stehende - Schule einziehen werden. Doch auch Tage danach, scheint sich die Aufregung in Halle-Nietleben nicht zu legen.
    "Im Prinzip hat keiner was gegen Ausländer. Aber es verdichten sich ja zunehmend Informationen, dass es zu Übergriffen kommt. Und einige Anwohner, die minderjährige Töchter haben, die haben nun Angst, dass es dann zu Übergriffen kommt."
    Horst-Joachim Erbe wohnt seit 24 Jahren in Halle-Nietleben. Er war Chirurg, jetzt ist er Rentner. Und wohnt in einem lindfarbenen Ein-Familienhaus. Direkt gegenüber dem Haus, wo die Teenager-Flüchtlingskinder untergebracht werden sollen. Sie machen ihm Angst, sagt Erbe. Und lehnt über dem Gartenzaun.
    Ein ruhiger Vorort, kaum Menschen sind auf den Straßen
    "18, das ist schon ein Alter, wo Leute eventuell Grenzen überschreiten können. Das ist es ja. Wir sind sehr verunsichert."
    Weshalb bei der Bürgerversammlung gar das Wort Bürgerwehr die Runde machte. Andere Anwohner vermuten, dass die Kinder IS-Terroristen seien. Auch Veronika Keller ist in Sorge. Gefärbtes Haar, türkisfarbener Pullover, sandfarbener Blouson. Aus Angst um das Haus und wegen der Flüchtlingskinder werde sie nicht in den Urlaub fahren.
    "Ich frage mich, was diese jungen Leute hier zu suchen haben. Sind junge Männer, so in dem Alter 14,15,16; die sind nicht älter. Aber wie sie auftreten. Erstens kommen sie nur in Gruppen … also wir sind tief erschüttert. Wie man in so einer Lage, nur zehn Meter von unserem Haus entfernt, Asylanten unterbringen kann. Ich verstehe es nicht. Kann ich nicht verstehen, die Angst ist da."
    1986 sind die Kellers nach Halle-Nietleben gezogen. Ein ruhiger Vorort, kaum Menschen sind auf den Straßen zu sehen. 2.600 Menschen leben hier, die überwiegende Mehrheit ist 60 Jahre und älter und sind in der DDR groß geworden. Die Vorgärten sind gepflegt, die Forsythien blühen, die Wege sauber geharkt. Katzen schleichen durch die Straßen, Hühner stolzieren durch die Gärten. Eine Idylle, die durch junge Flüchtlinge, die ohne Eltern nach Europa kommen, jetzt bedroht werde. Meinen zumindest die Anwohner. Tobias Heinicke ist über diese Art der Empathielosigkeit sichtlich geschockt.
    "In dieser massiven Form muss ich gestehen, schon."
    Der Geschäftsführer des DRK-Kreisverbandes Mansfeld-Südharz wurde auf der Bürgerversammlung wüst beschimpft, er konnte kaum ein Wort zu Ende reden.
    "Eine gewisse Gesprächskultur war nicht vorhanden."
    Die Proteste der Anwohner, denen es an nichts mangelt, wie DRK-Mann Tobias Heinicke sagt, wühlen ihn Tage danach noch auf.
    Die AfD holte hier mit 31,1 Prozent ein Direktmandat
    "Wovor die Menschen Angst haben, kann ich im Detail nicht nachvollziehen. Zum einen wurde unterstellt, es würde unordentlich und unsauber … es ist noch nicht ein Kind, ein Jugendlicher hier und schon wird vorausgesetzt, dass was Negatives passiert. Das bestürzt einen…"
    Die Clearingstelle, die in Halle-Nietleben aufbaut werden soll, ist eine Art betreutes Wohnen für minderjährige Flüchtlinge. Für Kinder, die allein in einer fremden Welt sind, ohne Kuscheltier, ohne Eltern. Hier will man ihnen ein Zuhause geben; dass man es ernst meint, ist daran abzulesen, dass auf ein Flüchtling, zwei Betreuer kommen. Die meisten Anwohner wollen es nicht hören. Doch es gibt auch andere Stimmen in Nietleben, auch wenn sie in der Unterzahl sind.
    "Verdammt noch mal, wir sind damit konfrontiert, dass die Jugendlichen hier ankommen. Wir müssen uns um sie kümmern. Nur Hauptsache es ist nicht bei mir….(wüste Schreiereien) Was wollt ihr denn mit den Kindern machen, wollt ihr sie einsperren? Es kommt mir so vor, als ob hier nur Messerstecher und Kriminelle herkommen und die guten deutschen Kinder umbringen…"
    Halle-Nietleben liegt im Wahlkreis Halle I, hier hat die AfD bei den Landtagswahlen am 13. März mit 31,1 Prozent ein Direktmandat geholt. Vorher war es eine Bastion der Linken.
    "Es zeigt, dass wir einen großen Bedarf haben, die Menschen wirklich aufzuklären. Die Menschen in Nietleben sind ja nicht böse, sondern sie wissen zu wenig über die Menschen, die da kommen sollen. "
    So Sören Herbst von Bündnis 90/Die Grünen. Fünf Jahre lang war er im Magdeburger Landtag deren flüchtlingspolitischer Sprecher. DRK- Helfer Tobias Heinicke nickt. Er glaube an das Gute im Menschen, sagt er. Und lädt alle ein: Kommt vorbei, kommt ins Gespräch, so sein Appell. Denn Heinicke weiß, Ausländerfeindlichkeit sinke signifikant, sobald die Flüchtlinge ein Gesicht bekämen.