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Haltestelle für Photonen

Schon seit Jahren gelingt es Physikern, Licht mithilfe spezieller Materialien auf die Geschwindigkeit eines Radfahrers zu bremsen und sogar anzuhalten. Forscher der TU Darmstadt haben dieses Spiel nun perfektioniert – mit interessanten Perspektiven für künftige Computergenerationen.

Von Frank Grotelüschen | 15.07.2013
    "Der Laserstrahl wird langsamer, langsamer, langsamer – bis er schließlich angehalten wird, stoppt!"

    Es klingt fast wie Magie, was dem Physiker Thomas Halfmann von der TU Darmstadt in seinem Labor gelingt: Er nimmt einen kurzen Laserblitz, bringt ihn auf kürzester Distanz zum Stehen, um ihn eine Minute später weiterfliegen zu lassen. Das Kunststück spielt sich ab in einem eher unscheinbaren Material, kleiner noch als ein Zuckerwürfel.

    "Das ist ein kleiner Kristall, der sieht aus wie ein Stückchen Glas. Wenn Sie 300 bis 400 Euro übrig haben – jeder kann sich den bei einer Firma kaufen. In diesem Kristall sind Atome drin. Und mit diesen Atomen reden wir. Das ist unser Medium."

    Das Entscheidende aber ist ein kompliziertes Gewerke aus Laserstrahlen, die in einer ganz bestimmten Abfolge in den Kristall gelenkt werden.

    "Der eine Strahl kontrolliert dieses System und verändert Eigenschaften in diesem System. Den nennen wir den Kontroll-Laserstrahl."

    Dieser Strahl manipuliert die Atome im Kristall so, dass sie Licht stärker absorbieren und auch stärker brechen können als normal. Dadurch wird aus dem Kristall eine hocheffektive Lichtbremse.

    "Dann geht der zweite Strahl rein. Den können wir verlangsamen, da er jetzt ein völlig anderes Medium sieht als er ohne den Kontroll-Laserstrahl sehen würde. Er geht nicht mehr durch die normalen Atome durch, sondern durch die manipulierten Atome."

    Schließlich wird der Laserblitz gestoppt, wird durch das elektrische Feld der Kristallatome regelrecht festgehalten. Ausgelesen wird der Blitz dann durch ein erneutes Signal des Kontrolllasers. Mit dieser Technik konnten die Darmstädter Forscher sogar ein primitives Bild speichern, ein simples Streifenmuster. Der Clou aber ist die Speicherzeit: Andere Teams auf der Welt hatten bislang nur Sekundenbruchteile geschafft. Halfmann und seine Leute bringen es auf eine Minute. Um das zu schaffen, mussten sie sich einige Tricks einfallen lassen. Unter anderem schalteten sie spezielle Magnetfelder dazu. Und das hatte den folgenden Effekt:

    "Sie können es sich so vorstellen: Sie laufen mit einem Aktenkoffer voller wichtiger Informationen durch eine Menschenmenge durch. Das sind Tausende von Leuten, die rempeln dauernd mit Ihnen und stoßen Sie an. Und irgendwann ist es wahrscheinlich, dass Sie den Aktenkoffer verloren haben. Da ist die Information weg. Was wir jetzt in dem Kristall geschafft haben: Die Anzahl der Rempler haben wir massiv reduziert. So dass Sie durch eine Menschenmenge durchlaufen, die nur noch aus sehr wenigen Leuten besteht, die Ihnen die Aktentasche aus der Hand schlagen können. Und dann kommt die Information besser durch."

    Auf das Experiment übertragen heißt das: Das zusätzliche Magnetfeld reduziert die Anzahl der schädlichen Rempler und erhält dadurch die wichtige Information – also das im Blitz codierte Bild. Doch eine Minute Speicherzeit, das reicht den Experten noch nicht. Sie wollen mehr, deutlich mehr.

    "Natürlich wird noch niemand vom Hocker fallen, weil wir sagen: Wir können Bilder für eine Minute speichern. Zuhause möchten Sie auch nicht, dass die Bilder nach einer Minute weg sind. Sie möchten die auch noch nach einem Jahr haben. Also muss man daran arbeiten, dass wir in noch längere Regionen von Speicherzeiten kommen. Und da müssen wir zum Beispiel andere Kristalle benutzen."

    Einen Kandidaten haben die Physiker schon im Visier. Mit ihm hoffen sie, die Informationen für eine Woche speichern zu können. Dennoch: Die Festplatte von heute wird das neue System wohl kaum ersetzen. Interessant ist es vielmehr als Speicher für eine neue, noch in den Kinderschuhen steckende Computergeneration. Dazu müssen die Experten in der Lage sein, extrem schwache Lichtpulse zu speichern, und zwar einzelne Photonen. Eine Sache, an der Halfmanns Team schon dran ist.
    "Wenn Sie einzelne Photonen speichern können, können Sie etwas realisieren, was sich Quantenrechner nennt. Solche Rechner kann man dann hoffentlich in ein paar Jahrzehnten so bauen, dass sie viel, viel schneller arbeiten als die jetzigen elektronischen Rechner."

    Ein Ziel, an dem Heerscharen von Physikern arbeiten. Und der neue Lichtspeicher aus Darmstadt könnte ein kleines, aber wichtiges Element sein, dass diese irrwitzig schnellen Quantencomputer irgendwann mal Realität werden.