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Hamburg
Märchen von Chilly Gonzales vertont

Die Bandbreite des Kanadiers Chilly Gonzales reicht von klassischem Klavier über HipHop bis zur Rockmusik der 70er. Für das Internationale Sommerfestival der Hamburger Theaterfabrik Kampnagel hat sich Gonzales nun an eine Vertonung von Hans Christian Andersens Märchen "Der Schatten" gewagt.

Von Dirk Schneider | 07.08.2014
    Ein Porträt von Chilly Gonzales am Mikrofon.
    Der Kanadier Chilly Gonzales verfügt über eine enorme musikalische Bandbreite. (picture-alliance / dpa / Sven Hoppe)
    Das Stück, "The Shadow" heißt es, ist eine Mischung aus Stummfilm und Schattenspiel, Regie hat der Kanadier Adam Traynor, mit dem Gonzales auch schon den Kinofilm "The Ivory Tower" gedreht hat. Chilly Gonzales:
    "Ich habe mir überlegt: Was ist ein Schatten? Es gibt einen Menschen, in diesem Fall den Professor, die Hauptfigur, und sie hat dieses Motiv (spielt auf dem Klavier) - wie würde dann der Schatten dieser Person klingen? Er müsste dieselbe Form haben, aber er wäre dunkler, also etwa so (spielt auf dem Klavier). Aber es gibt noch etwas zwischen der Person und dem Schatten - das Licht. Ohne Licht kein Schatten. Also beginne ich mit dem Professor (spielt auf dem Klavier), dann kommt das Licht (spielt auf dem Klavier) und dann der Schatten (spielt auf dem Klavier)."
    Der kanadische Musiker Chilly Gonzales erklärt die Leitmotive von "The Shadow", seiner musikalischen Adaption von Hans Christian Andersens Märchen "Der Schatten". Es erzählt die Geschichte eines Gelehrten, dessen Schatten ein Eigenleben beginnt, um schließlich seinen einstigen Herrn zu vernichten.
    Instrumentales Musical und Stummfilm auf der Bühne
    In Szene gesetzt wurde "The Shadow" vom ebenfalls aus Kanada stammenden Regisseur Adam Traynor, der mit der rappenden Puppenband Puppetmastaz nicht nur in Berlin berühmt wurde. Man könnte sein Stück nun als instrumentales Musical bezeichnen, oder auch als Stummfilm auf der Bühne: In einem Monopteros sitzt Chilly Gonzales am Flügel, begleitet von einem sechsköpfigen Orchester. Links und rechts davon: weiße, von hinten beleuchtete Stoffbahnen, die zu Leinwänden für Schattenspiele werden.
    "Heute ist alles reproduzierbar, aber was wir hier machen, mit Schattenspielen arbeiten, und die Erfindung der Fotografie, das hat im 19. Jahrhundert einen Schock ausgelöst! Und das hatte auch damit zu tun, dass man sehen konnte, wie es gemacht wird, anders als heute, wo alles in der Black Box eines Computers passiert."
    ... erklärt Adam Traynor die Faszination des Schattenspiels, und tatsächlich, so sehr man heute Videoeinspielungen im Theater gewohnt ist, berührt hier die Naivität der Schattenspiele durchaus.
    Nur ein Schatten des eigentlichen Märchens
    Doch dann treten die Schauspieler vor die Leinwand, in Kostümen von Bent Angelo Jensen, dem Chef des Herrenmodelabels Herr von Eden. Inspiriert von Kleidung aus Andersens Zeit, wird das Stück schließlich zum Nostalgiespektakel. Die Schauspieler bedienen sich der grotesken Mimik der Stummfilmzeit, entsprechende Zwischentitel erklären die Handlung, wo die Choreografie nichts zu erzählen vermag. Andersen, selbst passionierter Scherenschnittkünstler und fasziniert von der Erfindung der Fotografie, erzählt in seinem Märchen vom Verlust der Menschlichkeit in der, bald auch medial vermittelten, Öffentlichkeit.
    Doch "The Shadow" bleibt eine choreografierte Nacherzählung und schafft es kaum, diese Parabel zu eigenem Leben zu erwecken. Das Bühnengeschehen ist, um im Bild zu bleiben, nur ein Schatten von Gonzales' sehr gelungenem Stummfilmscore. Der reicht von Vaudeville über Salonmusik bis zu Broadwaymusicals der 40er und changiert spielerisch zwischen Ernst und Komik.
    Musik trifft das Herz des Märchens
    Auch das Hamburger Premierenpublikum scharrt bald genervt mit den Füßen, dankbaren Applaus gibt es am Ende vor allem für Gonzales und sein Orchester. Dass die Musik das Herz des Märchens trifft, mag auch daran liegen, dass ihr Komponist, mit bürgerlichem Namen Jason Charles Beck, ein existentielles Interesse an Andersens Schattengleichnis hat:
    "Ich habe selbst eine Figur erschaffen, namens Chilly Gonzales. Vielleicht ist dieser Chilly Gonzales mein Schatten. Er kann sich an Orte bewegen, an denen ich nicht sein kann. Zum Beispiel durch dieses Mikrofon, in die Ohren der Menschen. Aber der Schatten hat keine Substanz, auch wenn die Menschen das glauben. Der Schatten ist leer."
    "The Shadow" ist noch bis Samstag in Hamburg auf Kampnagel zu sehen, Beginn jeweils um 20.30 Uhr, ab 11. September läuft das Stück dann im Schauspiel Köln.