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Hamburg
Shoppen, wo einst die Gestapo-Zentrale war

Hamburg soll ein neues, touristisches Highlight bekommen: ein Luxus-Shoppingcenter in der Innenstadt. Doch dagegen regt sich Widerstand. Denn in den aufwendig sanierten historischen Gebäuden befanden sich während der Naziherrschaft die Folterkeller der Gestapo.

Von Sven Barske | 01.02.2018
    Bauarbeiten am Stadthöfe-Quartier zwischen neuer Wall und Große Bleichen in Hamburg Bauarbeiten am Stadthöfe-Quartier zwischen neuer Wall und Große Bleichen in Hamburg Construction work at District between later Wall and Size Bleaching in Hamburg Construction work at District between later Wall and Size Bleaching in Hamburg
    In den Stadthöfen - der ehemaligen Gestapo-Zentrale - soll ein Shoppingcenter entstehen (imago stock&people)
    Die Empörung ist groß unter den etwa 150 Menschen, die sich im kalten Hamburger Regen zusammendrängen. Einige tragen Fahnen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. andere halten Fotografien von Hamburger Widerstandskämpfern hoch. Einer von ihnen ist Detlef Baade. Der untersetzte Mann mit dem sanften Gesicht trägt das Bild seines Vaters Herbert. Der war mehrmals in Gestapohaft und hat oft erzählt, was die Gefangenen dort erlitten haben.
    "Sie mussten da über so einen Holzbock, dann wurde die Hose runtergezogen und sie wurden blutig geschlagen. Und jeder, der Spaß dran hatte, Leute zu quälen, der durfte mit Lederriemen schlagen, der durfte mit Knüppeln schlagen, mit dem Bajonett durchs Bein: Hauptsache, man kommt an eine Aussage. Nein, diese Quälerei!"
    Dass dieser Ort die Hamburger Terrorzentrale der Nazis gewesen ist, merkt man dem Gebäude nicht mehr an. Das prächtige Stadtpalais aus der Gründerzeit ist aufwendig saniert, die Fassade sandgestrahlt, sieht aus wie neu. Der Eigentümer will Luxusboutiquen hierherlocken. Auf die Fenster zum Souterrain hat er einen Werbeschriftzug geklebt: "Kopp hoch, chérie!" steht da nun. Irgendwo dort unten waren früher die Folterkeller der Gestapo, in denen auch Herbert Baade gequält wurde.
    "Dann ist er mit schweren Verletzungen - Jochbeinbruch im Gesicht, und der Kiefer war angebrochen - war er ein paar Tage im Koma. Da haben ihm seine Kameraden immer wieder Wasser gegeben. Nur so hat er überlebt."
    "Gedenken eingebettet in Konsum"
    2009 hat die Stadt Hamburg den ganzen Gebäudekomplex an den Investor Quantum verkauft. Im Vertragstext wurde vereinbart, Platz für ein würdiges Gedenken an die Opfer der Nazis zu schaffen. 530 Quadratmeter sieht der Bauantrag für einen Gedenkort vor. Doch auf dieser Fläche sollen auch ein Café und eine Buchhandlung untergebracht werden - wie jetzt bekannt wurde.
    Das geht gar nicht, findet Cornelia Kerth von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes.
    "Es kann überhaupt nicht sein, dass Gedenken eingebettet ist in Konsum. Gedenken muss Konsum brechen."
    Kaffee trinken, wo die Deportation der Hamburger Juden und der Sinti und Roma organisiert wurde? Wo politische Gefangene gefoltert wurden? Für Cornelia Kerth keine würdige Form von Gedenken.
    "Ganz abgesehen davon, dass ein Gedenkort natürlich auch zuzeiten von Leuten aufgesucht wird, die sich Informationen wünschen, die Fragen haben. Dafür muss es kompetentes Personal geben. Das kann doch nicht die Bedienung im Café oder die Buchhändlerin sein."
    "Stadthöfe" soll das Gebäude-Ensemble mit den markanten Innenhöfen zukünftig heißen. Nach dem Krieg residierte hier die Hamburger Baubehörde. Jahrzehntelang kämpften Initiativen für eine Gedenktafel. Erst Mitte der achtziger Jahre wurde sie etwas verschämt neben einem der Eingänge angebracht – finanziert aus privaten Spenden. Mit dieser Art von Gedenken muss die Stadt Hamburg endlich Schluss machen, fordert auch Wolfgang Kopitzsch. Früher war er Polizeipräsident der Hansestadt. Heute ist Kopitzsch Bundesvorsitzender des Arbeitskreises ehemals verfolgter und inhaftierter Sozialdemokraten.
    "Es gehört eben auch dazu, dass man dieses Gebäude von außen deutlich sichtbar macht. Das ist das, was Angehörige auch wollen. Bisher gibt es ja nur an einer verdeckten Stelle eine Hinweistafel."
    Konzept in Abstimmung mit KZ-Gedenkstätte entstanden
    Hamburgs Kulturbehörde verweist darauf, dass wesentlich mehr von der Nazivergangenheit zu sehen sein wird als bisher. Wolfgang Kopitzsch gibt sich damit nicht zufrieden.
    "Meine Kritik lautet erstens, dass die Verfolgtenorganisationen zu keinem Zeitpunkt bisher beteiligt worden sind. Obwohl wir über sehr viel Know-how und sehr viel Fachwissen verfügen und auch entsprechend ausgewiesen sind seit vielen, vielen Jahren. Und es sind bis heute keine Pläne vorgelegt worden."
    Die Hamburger Kulturbehörde zeigte sich zunächst überrascht von den Protesten. Buchhandlung und Café seien als Angebot für die Besucher des Gedenkorts gedacht und das ganze Konzept in Abstimmung mit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme erarbeitet worden. Einen Tag vor der Kundgebung legte Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda dann noch einmal nach. In einer Pressemitteilung kündigte er an, einen Beirat zu gründen, an dem auch die Opferverbände beteiligt werden sollen.