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Hamburg
Wie aus Soldaten Polizisten werden

Arbeit in festen Hierarchien, Umgang mit Schusswaffen - Soldaten haben Erfahrung in vielem, was auch zum Polizeialltag gehört. Die Hamburger Polizei wirbt deshalb um Berufssoldaten, die aus der Bundeswehr ausscheiden. In einem Pilotprojekt werden diese auf den neuen Job vorbereitet.

Von Axel Schröder | 16.11.2017
    Zwei Polizisten der operative Einheit OpE und ein Bundeswehrsoldat marschieren am 08.03.2017 bei der ersten gemeinsamen Übung von Polizei und Bundeswehr, die sogenannte "Gemeinsame Terrorismus-Abwehr-Exercise" (GETEX), in Saarbrücken (Saarland) auf dem Gelände des Landespolizeipräsidiums.
    Soldaten der Bundeswehr und Polizisten bei einer gemeinsamen Anti-Terror-Übung: Zwischen den Berufen gibt es viele Ähnlichkeiten (dpa/picture-alliance/Oliver Dietze)
    Im Klassenraum geht es ans Eingemachte: die Seitensprünge von Bill Clinton sind Thema und Oberstudienrat Christian Rohde will wissen, was seine Schülerinnen und Schüler davon halten:
    "Nochmal an Sie die Frage: Inwiefern kann man das von zwei Seiten sehen, diese Affäre? Inwiefern könnte man jetzt dem Clinton vorwerfen, dass er da was falsch gemacht hat, inwiefern könnte man sagen: Das ist seine Privatsache?
    Ganz diszipliniert heben die ersten zaghaft die Hand.
    "Herr Winkler!"
    "Ja, jede Person trägt ihr Päckchen mit sich. Jeder hat seine Leichen im Keller. Warum sollte das jetzt bei dem ersten Mann im Staate anders sein?"
    Die Lektion gehört zum Politikunterricht an der Bundeswehrfachschule in Hamburg-Rissen. Hier werden in einem Pilotprojekt zunächst zehn Berufssoldatinnen und -soldaten nach ihrer Laufbahn bei den Streitkräften auf einen zivilen Beruf vorbereitet. Die Klasse von Christian Rohde soll bald ihre Ausbildung für den Polizeidienst starten. Eine Anwärterin: Hauptfeldwebel Saskia Ermer, 30 Jahre alt:
    "Ich finde den Beruf sehr vielseitig! Es ist nicht dieses: Ich sitze acht Stunden im Büro und ich mache den ganzen Tag über dasselbe. Sondern es ist jeden Tag was Neues!"
    18 statt 30 Monate Ausbildungszeit
    Neben ihr nickt Stabsunteroffizier Mario Rohde. Er war zuletzt in der Türkei stationiert und half dort, deutsches Kriegsgerät aus Afghanistan nach Deutschland zurück zu schaffen.
    "Zum Beispiel: der Umgang mit Menschen. Das ist natürlich das, worauf es im Polizeiberuf nachher ankommt. Menschen einzuschätzen. Und als Unteroffizier, da hat man seine Jungs und die muss man natürlich auch einschätzen. Wenn man das einfach mal acht Jahre gemacht hat, dann geht man da natürlich ganz anders als ein 18-Jähriger ran."
    Auf welche Unterrichtsinhalte es der Hamburger Polizei ankommt, wurde im Vorfeld des Kurses an der Bundeswehrfachschule abgesprochen. Dazu gehören zum Beispiel die Grundzüge des deutschen Staats- und Strafrechts, erklärt Lehrer Rohde.
    Die Idee hinter dem gezielten Anwerben von Soldaten für den Polizeidienst ist einfach: Grundkenntnisse in Deutsch und Staatskunde wurden den Bundeswehr-Angehörigen schon zu Beginn ihrer Laufbahn vermittelt. Diese Kenntnisse müssen in einem dreimonatigen Kurs nur noch aufgefrischt werden. An der Polizeiakademie fallen diese Inhalte dann weg, erklärt der Leiter der Bundeswehrfachschule, Paul Winter:
    "Die Ausbildungszeit reduziert sich von 30 auf 18 Monate. Und das ist natürlich für alle ein Vorteil! Für die Polizei: Sie hat schneller qualifiziert ausgebildete Polizisten. Und für unsere Soldaten: Sie sind schneller wieder im Job!"
    "Die Soldaten haben einen großen Vorteil"
    Die Idee zur Rekrutierung entstand bei der Hamburger Polizei. In den nächsten Jahren werden mehrere hundert Beamte das Pensionsalter erreicht haben. Aber es geht nicht nur darum, die frei werdenden Stellen neu zu besetzen, sondern darüber hinaus zusätzliches Personal zu rekrutieren. Sebastian Krause ist bei der Hamburger Polizei zuständig für die seit 2016 laufende sogenannte Einstellungsoffensive. Er erklärt, welche Vorteile das Werben um Soldaten hat, die aus der Bundeswehr ausscheiden:
    "Sie bringen natürlich eine Menge Lebenserfahrung und auch Berufserfahrung mit. Sie bringen Diensterfahrung mit in Hierarchiestrukturen, was ja der Polizei auch ähnelt. Sie sind trainiert im Umgang mit Schusswaffen, sie müssen das nicht von Null auf wieder lernen. Das sind schon Spezifika, die eigentlich bei der Polizei genau richtig sind und deswegen haben die Soldaten schon einen großen Vorteil. Sie bringen schon ein Paket mit, was wir vielleicht nur modifizieren brauchen."
    Und wie sieht's aus mit traumatischen Erfahrungen aus Einsätzen? Eine besondere Überprüfung der Soldaten, die über die herkömmlichen Einstellungstests der Polizei hinausgeht, findet nicht statt, erklärt Sebastian Krause:
    "Natürlich ist es, denke ich, schwierig, sofort herauszufiltern: Hat diese Person ein traumatisches Erlebnis gehabt oder kann das im Laufe der Zeit erst aufspringen? Da ist es natürlich schwierig, das zu prognostizieren. Wie bei jedem anderen auch, der eventuell nicht im Ausland war, sondern irgendetwas anderes Schreckliches erlebt und das mit einem Mal aufplatzt. Wir haben dort keinen extra Sicherheitsmechanismus für Soldaten, sondern da werden natürlich vom Grund her alle gleich eingestuft."
    Keine "militärischen Polizisten"
    Die ehemaligen Soldaten müssen die gleichen Prüfungen ablegen wie alle anderen Anwärter, müssen lernen, in welchen Situationen Polizisten der Schusswaffengebrauch erlaubt ist, welche Dienstvorschriften es gibt, wie mit einem Schlagstock oder Pfefferspray umgegangen wird. Sorgen über einstige Soldaten, die nun als militärische Polizisten auf Streife gehen, müsse sich niemand machen, sagt der Leiter der Bundeswehrfachschule Paul Winter:
    "Das ist nicht so, dass man Soldaten einfach jetzt eine weiße oder schwarze Mütze aufsetzt und ein blaues, statt ein olivfarbenes Auto übergibt. Und dann macht der mit seiner militärischen Ausbildung weiter. Nein, nein. Das ist ganz anders. Die werden schon sorgfältigst ausgebildet. Und etwas anderes würde auch gar nicht zulässig sein, wenn man einfach Soldaten mietet und die als Polizisten auf die Straße schickt. Geht nicht. Ist ausgeschlossen!"