Mittwoch, 24. April 2024

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Hamburgische Staatsoper
Odysseus im Cyberspace

Juli ist das Alter Ego von Homers "Odysseus". Doch sucht sie - als moderne Heldin - ihren Sehnsuchtsort nicht auf dem Meer, sondern im Internet. Davon erzählt die Oper "I.th.Ak.A.", die in Hamburg uraufgeführt wurde. Intelligent und unterhaltsam gemachtes zeitgenössisches Musiktheater, findet unsere Rezensentin.

Von Elisabeth Richter | 09.04.2018
    Die Hamburger Oper
    Uraufführung eines alten mytischen Stoffes neu interpretiert - an der Hamburger Oper (imago / Hoch Zwei Stock / Angerer)
    Musik: Penderbayne "I.th.Ak.a.", Szene 1.2.
    "Hoffnung ist eine unglaublich knappe Ressource, und sie ist aber auch gleichzeitig das Lebenselixier, was alle am Leben erhält, ohne Hoffnung gibt es kein Nachvornegehen. In welcher misslichen oder nicht-misslichen Lage auch immer."
    Sehnsuchtsort: Insel Ithaka
    Regisseur Paul-Georg Dittrich bekennt, dass er sich hier dem Dramatiker Heiner Müller verbunden fühlt. Aber auch in Homers "Odyssee" sieht er diesen Aspekt, und zwar in der Insel Ithaka. Die mythische Heimat des Odysseus gilt wohl als Sehnsuchtsort schlechthin. Der Wunsch nachhause zu kommen erhielt dem antiken Helden bei seinen Irrfahrten über die Meere und allen zu bestehenden Gefahren die Hoffnung. Ithaka ist aber auch ein Sehnsuchtsort für Juli - moderne Heldin und Alter Ego von Odysseus in Samuel Penderbaynes Oper Ithaka. Nur sucht Juli alias Ulysses danach im Internet.
    Musik: Penderbayne "I.th.Ak.a.", Szene 1.2.
    Als Häftling 7355 in einer fiktiven Anstalt für politische Gegner eines fiktiven Systems will Juli ausbrechen aus dem inneren, geschlossenen Netz in das äußere, vermeintlich freie Netz. Wie Odysseus sich einst gegenüber dem Zyklopen Polyphem als "Niemand" identifizierte, so gelingt Juli mit diesem Passwort die Identifikation für das freie Netz. Doch schon steht der Cyberguide Zyklop auf dem Plan. Er bringt sie auch mit Circe zusammen. Die Zauberin soll einen noch tieferen Zugang ins Netz ermöglichen, ins Darknet, wo es keine Grenzen auch für die perversesten Fantasien gibt.
    Musik: Penderbayne "I.th.Ak.a.", Szene 2.2.
    Alle sitzen im selben Boot in dieser Inszenierung
    Im Bühnenraum von Jana Findeklee und Joki Tewes sitzen die Zuschauer auf parallel und rechteckig, labyrinthisch verschachtelt stehenden Bänken. Einige bleiben frei für die Akteure. An der Stirnseite spielt das kleine Musiker-Ensemble. Ein durchlässiger Fadenvorhang begrenzt die übrigen Wände. Darauf projizierte Videos zeigen das Innere eines Schiffes oder wüst verwirrtes Baumgestrüpp. An die Antike erinnern unzählig duplizierte Aphrodite-Büsten, oder live werden die Sänger, aber auch das Publikum selbst auf die Wände geworfen. Alle sitzen im selben Boot in dieser Inszenierung, erklärt Regisseur Paul-Georg Dittrich.
    "Um sich mit der Figur Juli zu identifizieren, war es für uns von Anfang an wichtig, die Zuschauer sehr nah an das Geschehen reinzuholen und zu sagen: Eigentlich haben wir alle diese Sehnsucht und das Problem zugleich dieser Protagonistin Juli, wir sind eigentlich alle Julis, und schlussendlich, wie die letzte Figur, auf die sie trifft, der Kapitän des Schiffs Esperanza, Name des berühmten Hörspiels, oder auch wie beim Floß der Medusa, diesem berühmte Gemälde, sind wir eigentlich auch Irrende auf der Suche und Gestrandete."
    Musik: Penderbayne "I.th.Ak.a.", Szene 3.1.
    Juli kann auf ihrer Cyber-Irrfahrt die als Porno-Internet-Queen agierende Circe loswerden, sich des zudringlichen Dark im "Darknet" erwehren und über den von Kunst und Massaker philosophierenden perversen Borgo auf das Schiff Esperanza gelangen. Doch wie im gleichnamigen Hörspiel erweist sich die Hoffnung als trügerisch.
    "Ich könnte noch drei Stunden weiter singen, ich würde Ithaka nicht finden, und gleichzeitig mit dieser Botschaft sagen, ok, wo führt uns denn diese ganze Virtualität und Digitalität hin, die wir Tag täglich genießen, wo wir in der U-Bahn permanent ins Handy starren und nicht das Gegenüber mal anschauen, wer da überhaupt sitzt, wo führt uns das hin? Ich würde sagen, einfach mal n bisschen dystopisch gesehen, dann doch in die Auflösung des menschlichen Wesens. Früher oder später."
    Eine raffiniert fantasievolle Mischung aus Poesie und Humor
    Das Ende ist ohne Frage nihilistisch. Juli scheint sich stimmlich und klanglich aufzulösen, in einem Nichts zu verschwinden. Man kann es als Suizid verstehen. Dennoch gelingt Helmut Krausser in seinem exzellenten Libretto von I.th.Ak.a. eine raffiniert fantasievolle Mischung aus Poesie und vor allem Humor und Komik.
    Paul-Georg Dittrich begeht in seiner Inszenierung nicht den Fehler, die virtuelle Cyberwelt auch noch auf der Bühne zu zeigen. Seine Figuren scheinen dem Märchen entsprungen, sie bieten Kontrast und Assoziationsmöglichkeiten. Juli könnte in ihrem weißen Kleid ein Engel sein, Circe in ihrem hautengen ocker-schwarz-gestreiften Anzug und überdimensional hoch-toupierten Haar eine wirkliche Zauberin, Dark kommt als Arlecchino-Clown daher.
    Musik: Penderbayne "I.th.Ak.a.", Szene 6.2.
    Der Komponist Samuel Penderbaynes beschreibt seine Musik selbst als "Cross Genre". Tatsächlich hört man "überkreuz" einen Mix aus zeitgenössischer, zum Teil seriell klingender Musik, Pop, Rock, Jazz oder Electronic. Da findet jeder Zuhörer etwas Bekanntes zum "andocken". In diesem Stilmix setzt Penderbayne das Libretto effektvoll und vor allem deskriptiv und lautmalerisch um.
    Musik: Penderbayne "I.th.Ak.a.", Szene 8.2.
    Intelligent und unterhaltsam gemachtes zeitgenössisches Musiktheater
    Das kleine Musiker-Ensemble des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg aus Geige, Cello, Schlagzeug, Klavier und E-Gitarre agiert unter der Dirigentin Barbara Kler ungeheuer präzise. Fantastisches leistet das Sängerquartett, Renate Spingler als verführerische Circe, Peter Galliard als witzig-charmanter Zyklop oder Bruno Vargas als Dark und Kapitän. Und Lini Gong als Protagonistin Juli verzauberte einfach mit ihrem wunderbar warm und rund timbrierten, technisch schlicht atemberaubend geführten Sopran. Im Ganzen: ein Stück intelligent und unterhaltsam gemachtes zeitgenössisches Musiktheater.