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"Hammershoi bewahrte bei aller Abstraktion einen romantischen Kern"

Bevor der Expressionismus seinen Siegeszug antrat, war Vilhelm Hammershoi ein europaweit bekannter Maler. Erst in jüngster Zeit gibt es wieder Ausstellungen und auch Modemacher, dänische Designer, lassen sich von ihm inspirieren.

Von Marc-Christoph Wagner | 08.02.2012
    Es entbehrt nicht einer gewissen Symbolik, dass Vilhelm Hammershoi im Jahr 1864, in diesem dänischen annus horribilis, geboren wurde. Damals, nach der Niederlage gegen Preußen, verlor die ehemalige Großmacht nach Südschweden und Norwegen nun auch ihre deutschen Provinzen, kehrte Europa den Rücken und besonn sich fortan auf sich selbst. Auch Hammershois Bilder, der als 21-jähriger Student mit einem Porträt seiner Schwester Anna erste Beachtung fand, sind Abbildungen des Verlusts - nicht des nationalen, sondern des kulturellen der Moderne. Wohl auch deshalb wurden seine Motive bald nicht nur in Dänemark wahrgenommen, wie ein Brief Rainer Maria Rilkes von 1905 belegt:
    Hammershoi ist nicht von denen, über die man rasch sprechen muss. Sein Werk ist lang und langsam und in welchem Augenblick man es auch erfassen mag, es wird immer voller Anlass sein, vom Wichtigem und Wesentlichen in der Kunst zu sprechen.

    Hammershois Motive sind auffallend minimalistisch. Seine Stadtbilder zeigen ein menschenleeres Kopenhagen. Seine Interieurs karge Räume, in denen die Zeit stillzustehen scheint und in denen die häufig von hinten abgebildeten Personen in sich selbst versunken scheinen und dem Betrachter keine Hinweise bieten auf ein davor oder danach. Der Leiter der dänischen Nationalgalerie Karsten Ohrt:
    "Hammershoi ist interessant, weil er den Weg ebnet für spätere Künstler wie Mark Rothko, die sich bei aller Abstraktion einen romantischen Kern bewahrt haben. Hammershoi ist ein Bindeglied zwischen der frühen Romantik und der Kunst des 20. Jahrhunderts."

    Hammershois Bilder sind die Vorwegnahme eines Zustandes, den unter anderen Siegfried Kracauer in seinem Essay "Die Wartenden in den Jahren der Weimarer Republik" beschreibt. Der Einzelne, der den Verlust Gottes erkannt hat, und sich nun mit dem horror vacui der Gegenwart konfrontiert sieht und lernen muss, diese Erfahrung auszuhalten. Denn, das wusste auch Vilhelm Hammershoi, ein Zurück in die Geborgenheit des Gestern konnte es nicht geben:
    Persönlich bevorzuge ich das Alte - alte Wohnungen, alte Möbel, die ganz besondere Stimmung, die all das durchzieht. Gleichzeitig aber verschließe ich nicht die Augen davor, dass es nicht richtig ist, das Alte dem Neuen vorzuziehen. Es ist sehr viel besser, dem modernen Geschmack zu folgen, als den alten zu adaptieren.

    Die Ausstellung in der dänischen Nationalgalerie versucht erstmals, Hammershoi in einen europäischen Kontext zu stellen, die Wechselwirkung zwischen diesem und ausländischen Malern und Strömungen zu untersuchen. Mitkuratorin Annette Rosenvold Hvidt:

    "Diese Maler, die wir zeigen, ähneln Hammershoi in ihrer Sinnlichkeit. Es geht ihnen nicht darum, die Umgebung originalgetreu abzubilden, sondern eher eine Atmosphäre, ein Gefühl zu erschaffen. In dieser Ausstellung steht diese Sinnlichkeit im Mittelpunkt - es ist Malerei als Poesie. Wer durch diese Räume geht, wandelt wie durch einen Traum."

    Und dennoch bleibt der Titel der Ausstellung "Hammershoi und Europa" ein Postulat. Gewiss, die Bilder von Henri Fantin-Latour, James McNeil Whistler, von Matisse, Munch und Seurat bieten hier und dort Zusammenhänge, vieles aber - vor allem der Haupttext des bei Prestel verlegten Ausstellungskataloges - wirkt konstruiert und bewegt sich im Nebulösen und Vagen. Die beiden europäischen Maler hingegen, die Hammershoi mit Sicherheit gesehen hat, weil sie nahezu sensationell bereits 1893 in Kopenhagen gezeigt wurden, nämlich Gaugin und van Gogh, sind gerade einmal mit einem Tahitibild von Ersterem repräsentiert. Kurator Casper Monrad:

    "Van Gogh war sehr expressiv. Er glaubte selbst, Impressionist zu sein, aber seine Bilder sind heftig und gewaltsam, auch im Gebrauch der Farben. Meines Erachtens konnte Hammershoi mit van Gogh einfach nichts anfangen."

    Tatsächlich bringt gerade die Konfrontation mit den anderen ausgestellten Malern die Einzigartigkeit Hammershois hervor. Sicher, dieser ist nicht der Einzige, der den Verlust, den horror vacui, der Moderne thematisiert. Kaum einer - und schon gar nicht die in Kopenhagen gezeigten Künstler - haben dies so frühzeitig und in einer solchen Konsequenz getan. Gerade deshalb - und trotzdem - lohnt dieses neuerliche Eintauchen in die Leere der Hammershoischen Motivwelt.