Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

"Hand to God"
Böse Satire mit Handpuppe

"Hand to God" handelt von einem Jungen und seinem Alter Ego, einer Handpuppe. Robert Askins böse Satire macht derzeit Fuore am Broadway und erhielt fünf Nominierungen für den Tony Award, einer der wichtigsten Theaterpreise in Amerika.

Von Andreas Robertz | 05.05.2015
    Im ländlichen Texas gibt es für Jugendliche wenig zu tun. Und wenn sie allzu schwierig werden oder sonst wie auffällig sind, ist Jesus der einzige Weg zurück. So findet sich in Robert Askins böser Satire "Hand to God" der schüchterne Jason mit dem delinquenten Timmi und der spröden Jessica in einem christlichen Sommerkurs für Handpuppen wieder. Hier versucht Jasons Mutter Margery mit den Jugendlichen ein religiöses Puppenspiel einzuüben. Seit ihr Mann, Jasons Vater, plötzlich gestorben ist, versucht sie, auf diese Weise Geld zu verdienen. Als Jasons Handpuppe Tyrone plötzlich beginnt, wütende Blasphemien über Jesus von sich zu geben und alle Anwesenden zu beschimpfen, stellt sich für Margery und Pastor Greg die Frage: Ist Jason oder seine Hand vom Teufel besessen?
    Der große Erfolg von "Hand to God" liegt einerseits an der schauspielerischen Leistung seines Ensembles und andererseits an der Mischung aus Satire, Horrorfilm und psychologischem Drama. Irgendwo zwischen South Park, Sesamstrasse und Donnie Darko lebt der kultverdächtige Abend von der Faszination des Bösen und der Scheinheiligkeit einer Gesellschaft, die allzu sauber zwischen Gut und Böse zu trennen versucht.
    Steven Boyer spielt Jason mit der schmerzvollen Schüchternheit eines Jugendlichen, der sich, seit sein Vater gestorben ist, in dieser Welt nicht mehr zurechtfindet und seine Handpuppe Tyrone mit großmäuliger Aggressivität und hinterhältiger Bösartigkeit. Und was der junge Schauspieler da mit seiner Stimme und seiner Puppe macht, ist schlicht aufsehenerregend. Eines Nachts wacht er auf, während Tyrone ihn beobachtet; als er sich seiner fatalistischen Weltsicht nicht beugen will, fängt die Handpuppe an, ihn zu würgen und zu schlagen - eine urkomische Szene.
    "My mother loves me?" Yeah, well, looks like your mom loves more than just you!" That's not funny." "You're right, that's not funny. But what is she telling you when she tells you to behave, when she says sit down, stay still? She is telling you to be low, to be little, to be less."
    Beowulff Boritts Bühne zeigt einen Kellerraum voller süßer Kinderbilder und buntfarbiger Sprüche wie "Jesus Listens" oder "God Loves You". Es gibt Kinderspielzeug, Kuscheltiere und ein Puppentheater, das einem Beichtstuhl äußerst ähnlichsieht. Auf der Rückseite der drehbaren Bühnenwand residiert in seinem Büro Pastor Greg, dessen salbungsvolle Worte seine unverhohlene sexuelle Absicht gegenüber Margery kaum verschleiern. Als Tyrone Jimmie ein Ohr abbeißt, wird Jason im Schulzimmer eingesperrt, während die anderen im Büro einen Exorzismus vorbereiten. Die Szenerie wechselt erneut, nun sind die Kuscheltiere an die Wände genagelt und die Wände mit blutigen Pentagrammen beschmiert: Applaus eines hochamüsierten Publikums für diesen Szenenwechsel; einige Zuschauer verlassen das Theater. Doch "Hand to God" bleibt nicht bei der Satire stehen. Aus dem witzigen Handpuppenspiel wird der verzweifelte Kampf eines wütenden Jungen, der gut sein will, gegen seine eigenen destruktiven Gefühle und den Dämon an seiner Hand. Regisseur Moritz von Stuelpnagel setzt in seiner Inszenierung ganz auf den abgründigen Humor des Stückes und lässt viel Platz für Situationskomik.
    In einem der aberwitzigsten Momente lässt er Jason und Jessica in einer Art Therapieversuch ihre Puppen in verschiedenen Stellungen kopulieren, während sie betreten zur Seite sehen und darüber reden, wer sie im Leben wirklich sein wollen. Schließlich treibt der Abend in ein Blutbad. Jason versucht Tyrone mit einem Hammer zu erschlagen und drischt schreiend auf seine blutende Hand. Das Lachen hat ein Ende gefunden. Am Schluss umarmt Margery ihren blutenden Sohn. "Mama hört dir jetzt zu", sagt sie und das scheint allemal besser, als wenn Jesus das täte.
    "Hand to God" ist keines der für den Broadway so üblichen "well-made plays". Es ist rebellisch, aggressiv, voll christlicher Ikonographie und kommt zuweilen daher wie eine Ballade der Rockgruppe Nine Inch Nails. Es handelt von der gefährlichen Kraft abgespaltener Impulse in einer Welt, die chronisch gut sein will. Oder wie es Tyrone, bevor er in einem Blitz verschwindet, ganz in mephistotelischer Tradition ausdrückt: Solange wir einen Erlöser suchen, brauchen wir den Teufel.