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Handel mit dicker Luft

CO2-Zertifikate sind Verschmutzungsrechte, die die stromerzeugende Industrie in Europa erwerben muss, wenn sie Strom mit Öl, Gas oder Kohle erzeugt und dabei kräftig CO2 in die Luft bläst. Obwohl der Emissionshandel als echter Fortschritt für den Klimaschutz gilt, sehen Umweltverbände schädliche Nebenwirkungen.

Von Philip Banse | 08.11.2011
    Der Emissionshandel funktioniert im Prinzip so: Die EU legt fest, wie viele Klimagase Energieversorger und energieintensive Unternehmen wie Chemiewerke und Stahlproduzenten in der EU ausstoßen dürfen. Derzeit sind das gut zwei Milliarden Tonnen pro Jahr. Davon abgeleitet wird für jedes EU-Land genau fest gelegt, wie viele Klimagase seine Energieerzeuger und energieintensiven Unternehmen pro Jahr produzieren dürfen. Für Deutschland waren das 2010 zum Beispiel 455 Millionen Tonnen. Für diese 455 Millionen Tonnen verteilte Deutschland nun Emissions-Zertifikate, Verschmutzungsrechte: Wer ein Zertifikat hat, darf eine Tonne Klimagas produzieren. Wer mehr ausstößt, als er Zertifikate hat, muss Zertifikate nachkaufen – oder er investiert in klimafreundliche Technik, um Treibhausgase einzusparen. So die Idee. Anfangs wurden diese Verschmutzungszertifikate jedoch alle verschenkt, einfach verteilt an Energieversorger und energieintensive Unternehmen, also Stahlhütten, Chemiewerke, Zementfabriken. Das Problem, sagt Ann Kathrin Schneider vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND): Um die Unternehmen nicht zu sehr zu belasten, hat die Bundesregierung ihnen mehr Verschmutzungsrechte geschenkt, als sie Klimagase ausstoßen:

    "Sie haben zu viele Zertifikate geschenkt bekommen und dadurch haben sie überhaupt keine Motivation, ihre Emissionen zu reduzieren."

    Nicht nur das. Weil die Unternehmen mehr Verschmutzungsrechte geschenkt bekamen, als sie brauchen, haben große Unternehmen in Deutschland derzeit viele Zertifikate übrig. Der BUND hat sich angesehen: Wie viel Treibhausgase haben die Unternehmen 2008 bis 2010 ausgestoßen und wie viele Verschmutzungsrechte haben sie bekommen? Ergebnis:

    "Die zehn größten Profiteure des Emissionshandels haben zusammen überschüssige Zertifikate im Wert von knapp 800 Millionen Euro."

    Der Vorwurf lautet: Zu viele Zertifikate auf dem Markt, dadurch kein Klimaschutz und die Unternehmen machen auch noch Kasse.
    "Das ist kompletter Unsinn, würde ich sagen, weil es einfach so nicht stimmt","

    sagt Bernhardt Kleinermann, Sprecher des Stahlroduzenten Salzgitter AG. Zwar habe die Salzgitter AG derzeit Verschmutzungszertifikate für 7,5 Millionen Tonnen Klimagase über. Das liege aber nicht daran, dass sie von vorn herein zu viele geschenkt bekommen habe:

    ""Wir sind in den Jahren 2008 und 2009 durch eine dramatische Krise gegangen, wo wir Millionen Tonnen Stahl weniger produziert haben. Und deswegen haben wir Zertifikate über."

    Die BASF habe derzeit Verschmutzungsrechte für 27 Millionen Tonnen Klimagase über, Thomas Nonnast von BASF. Das liege jedoch nicht allein an der Wirtschaftskrise.

    "Richtig ist, dass es am Ende der zweiten Handelsperiode zu einer Überausstattung mit CO2-Zertifikaten in der genannten Größenordnung kommen wird. Falsch ist aber die Schlussfolgerung, dass sich damit irgendjemand eine goldene Nase verdient. Die Belastungen durch den Emissionshandel werden die BASF ab 2013 erheblich belasten."

    Denn 2013 soll die EU-weit erlaubte Menge an Klimagasen weiter gesenkt werden. Es wird also weniger Verschmutzungsrechte geben, und die werden auch nicht mehr verschenkt, sondern müssen teilweise bezahlt werden. Das reiche nicht, sagt der BUND und fordert: Ab 2013 muss die europaweit erlaubte Menge an Klimagasen drastischer gesenkt werden als bisher geplant. Bernhardt Kleinermann, Sprecher des Stahlroduzenten Salzgitter AG, lehnt das ab:

    "Denn in der dritten Handelsperiode sind ja die Emissionsgrenzen so niedrig, dass man sie technisch, physikalisch, chemisch gar nicht erreichen kann. Wir sind an der Grenze der Machbarkeit angekommen."