Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Handel trotz Blockade
Schneiderei in Gaza fertigt Kippas

Ägypten und Israel belegen den Gaza-Streifen mit einer Handelsblockade. Dennoch näht eine palästinensische Schneiderei ausgerechnet Kippas, die Kopfbedeckung orthodoxer Juden. Noch scheint die radikalislamische Hamas die Praxis zu tolerieren.

Von Julio Segador | 01.11.2017
    Jassir Arafat wacht von der Wand aus über die Arbeiter, die in der kleinen Schneiderei Kippas für den Export nach Israel nähen
    Jassir Arafat wacht von der Wand aus über die Arbeiter, die in der kleinen Schneiderei Kippas für den Export nach Israel nähen (AFP / MAHMUD HAMS)
    Es ist laut und stickig in der Schneiderei im Flüchtlingslager Al-Shati in Gaza-Stadt, direkt am Strand. Beach Camp nennen die Einwohner das Lager. Gut 40 Männer sitzen an Nähmaschinen, nähen Knöpfe und Reißverschlüsse an. Andere bewegen riesige Stoffballen. Fast ausschließlich Polizei- und Militärkleidung wird hier gefertigt, für die radikalislamische Hamas, die im Gazastreifen das Sagen hat.
    Dieser Betrieb ist eine Ausnahme. Früher waren die Schneidereien in Gaza mit der wichtigste Industriezweig. Seit 2007, seitdem die Hamas alleine am Ruder ist, ging es mit der Nähindustrie bergab - rapide.
    Und er - Mohammed Abu Schanab – kann ein Lied davon singen. 1986 machte er in Gaza-Stadt seine Schneiderei auf. Bis zu 45 Mitarbeiter beschäftigte er, vier Millionen Stück Kleidung produzierte er hauptsächlich für den israelischen Markt. Seitdem die radikalislamische Hamas in Gaza alleine regiert – und Israel den Küstenstreifen mit einer Handelsblockade belegt hat - liegen seine Geschäfte fast am Boden. Aber nur fast. Denn eines Tages kamen israelische Geschäftsleute zu ihm. Abu Schanab zeigt, was sie von ihm wollten. Mohammed Abu Schanab:
    "Sie kamen und wollten, dass ich für sie eine solche Kippa nähe. Auch andere Modelle. Ich habe es getan. Ich dachte mir: Das ist nicht nur für den israelischen Markt, sondern auch für Juden in Europa und den USA."
    Ärger mit den direkten Nachbarn
    Die Kippa ist die Kopfbedeckung, die männliche Juden tragen. Dass Mohammed Abu Schanab als Palästinenser sie herstellt, ist ungewöhnlich. Er selbst hatte damit keine Probleme.
    "Mir macht das nichts aus. Geschäft ist Geschäft. Das Ganze hat weder mit der Politik noch mit der Religion zu tun. Ich selbst bin Muslim. Aber ich respektiere alle Religionen."
    Schneider Abu Schanab muss vorsichtig sein. Noch lässt ihn die Hamas gewähren. Probleme bekam er aber mit den Nachbarn, die neben der Schneiderei wohnen. Er begehe Verrat am palästinensischen Volk, musste er sich anhören. Und einer setzte ihm besonders zu.
    "Der meinte, ob ich denn nicht Angst hätte, wenn beim nächsten Krieg irgendwann mal ein israelischer Soldat mit einer Kippa aus meiner Schneiderei vor mir steht: Nein, eigentlich nicht, sagte ich. Ich habe ja schließlich auch seine Jacke und sein Unterhemd genäht."
    Vorsichtig nimmt Mohammed Abu Schanab erst eine schwarze Kippa aus der Tüte, dann eine weiße. Weitere kunstvoll bestickte folgen. Und er lächelt. Denn er weiß ganz genau, wer seine Ware als Kopfbedeckung trägt.
    "Die meisten, die meine Kippot tragen, sind religiöse oder orthodoxe Juden, sogar Extremisten. Wenn die wüssten, woher die Kopfbedeckungen kommen, würden sie sie sicher boykottieren."
    Doch das kommt nicht vor. Made in Israel steht auf jeder einzelnen Kippa.