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Handeln auf dem Parkett

An den Börsen dieser Welt wird heutzutage Vielfältiges gehandelt: nicht mehr nur Wertpapiere, auch Strom und CO2-Emissionen. Das hätte man einem Händler des 16. Jahrhunderts wohl kaum erklären können. Ebensowenig die Tatsache, dass der Großteil des Börsengeschäfts mittlerweile automatisch auf Computern läuft. Unvorstellbar vor 450 Jahren, als in Hamburg die erste deutsche Börse gegründet wurde.

Von Mathias Schulenburg | 18.04.2008
    Wann genau, an welchem Tage des Jahres 1558, in Hamburg die erste deutsche Börse gegründet wurde, ist nicht verzeichnet; eine Eigenheit, die die Hamburger Börse mit den meisten anderen Börsen teilt. Denn in aller Regel hatten sich die Börsen schleichend entwickelt: Die Kaufleute trafen einander zunächst unter freiem Himmel, an ausgewählten Stellen ihrer jeweiligen Stadt.

    In Brügge soll es ein Ort in der Nähe des Patrizierhauses der Familie van der Beurse gewesen sein, dessen Giebel drei stilisierte Börsen zierte. Und der Hamburger Kaufmannschaft wurde 1558 vom Rat der Stadt erlaubt, einen gepflasterten Platz gegenüber dem Rathaus an der Trostbrücke als täglichen Versammlungsort zu nutzen. Der Hamburger Hafen war ganz in der Nähe.

    Von 1577 an entstand dort schließlich im Stil der Renaissance das erste Börsengebäude. Das hatte nach vorne zu eine offene Säulenhalle, die nun den Börsenverkehr aufnahm. Die Nähe des Hafens dürfte vornehmlich des schnelleren Informationserwerbs wegen von Vorteil gewesen sein, denn eine Börse zeichnet sich schließlich dadurch aus, dass die gehandelten Waren nicht präsent sein müssen; gehandelt wird mit Symbolen auf Papier oder, heute, auf elektronischen Bildschirmen.

    Beim großen Brand im Mai 1842 ging die alte Börse in Flammen auf; Monate zuvor waren die Börsianer in ein neues, geräumigeres Gebäude umgezogen, das von beherzten Hamburger Patrioten vor dem Feuer bewahrt wurde. Der Börsensaal im Inneren bot mit den ihn umgebenden Bogengängen Platz für täglich bis zu 5000 Besucher. Im Erdgeschoss waren den einzelnen Branchen feste Standplätze zugewiesen. Das Geschrei muss außerordentlich gewesen sein.

    Die Hamburger Börse von heute ist der Zusammenschluss einer Allgemeinen Börse, die von der Immobilienwirtschaft genutzt wird; einer Versicherungsbörse; einer Getreidebörse und natürlich einer Wertpapierbörse. Die aber handelt nicht mehr leidenschaftlich schreiend auf Parkett, sondern stumm vor Computermonitoren in einem benachbarten Bürogebäude, wie andere Börsen auch. Schuld hat die Finanzmathematik, die 1900 von Louis Bachelier an der Pariser Sorbonne in die Welt gesetzt wurde. Heute, im Besitz leistungsstarker Computer, ist die Finanzwelt von Mathematik in der Tat durchdrungen, ein großer Teil des Papierhandels erfolgt automatisch.

    Spitzentechnik ist auch hoch über den Köpfen der Börsianer im Einsatz. Satelliten beobachten die Felder der Welt, denn:

    "Neben anderen Datengrundlagen wie Wechselkursen, regionalen Marktpreisen, der Preissituation von Leitfrüchten, bleibt der Schlüsselfaktor für die Preisbildung, die zu erwartende Erntemenge. Je früher diese bekannt ist, desto geschickter können Ein- und Verkaufsprozesse gesteuert und ein Wettbewerbsvorteil erzielt werden."

    So wirbt ein Anbieter von Satelliteninformationen. Erntevorhersagen sind für Großunternehmen wie Getreide- und Baumwollhandelsgesellschaften tatsächlich überaus geldwert; mit Hilfe des Warenterminhandels und anderer finanzieller Feinheiten können sie die Erzeuger, etwa von Reis in Thailand oder Baumwolle in Afrika, bis an die Grenze des Erträglichen auspressen. Verbraucher können mit der Wahl von "fair trade"-Produkten versuchen, gegenzusteuern.

    Ehrbare Kaufleute gibt es natürlich auch noch, aber die schönen Geschichten vom Segel am Horizont, in dem ein gramgebeugter Kontoriste von der Hamburger Börse das unverhofft doch noch in der Gestalt von Spezereien eintreffende Vermögen erkennt, sind dahin. Wie sollten die sich auch an einem Computermonitor entfalten.