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Handwerker in der Leipziger Kunsthochschule
Der schmutzige Keller der schönen Künste

An der Leipziger Kunsthochschule wird das ganze Jahr über gebastelt, gewerkelt und geschweißt. Hilfe mit dem Material und handwerkliche Expertise bekommen die Studierenden dabei von einer Reihe Handwerkern, die im Keller der Hochschule arbeiten - und mehr als bloße Erfüllungsgehilfen der Kunst sind.

Von Martin Becker | 17.02.2015
    Lassen wir den großzügigen Lichthof im Eingangsbereich links liegen. Fahren wir lieber in den Keller. Denn da müssen alle mal hin. Egal, ob sie sich Material für eine Installation zurechtschweißen lassen möchte oder einen Rahmen für ein frisch gemaltes Bild brauchen. Wer Glück hat, kriegt nicht nur einen Kaffee, sondern auch eine Menge Anekdoten mit auf den Weg:
    "Die Leute im Keller sind für mich ein Ort gewesen, an dem ich angekommen bin in der Hochschule. Weil ich diese Leute kannte, diese Art und Weise, wie die Leute miteinander waren, kannte, und diese Art von Witz, die die Leute miteinander hatten, kannte. Und deswegen hab ich mich dort sofort wohlgefühlt."
    Alexander Morgenstern hat acht Jahre an der HGB studiert. Für ihn sind die Handwerker im Keller mehr als bloße Dienstleister: gute Kumpels nämlich, auf die man sich als Student verlassen kann. Egal, wie eng das eigene Budget ist oder wie dringend man Material braucht.
    "Und dann sind die halt hinter in irgendwelche geheimen Kammern gegangen und sind zurückgekommen und hatten dann irgendwie genau das in der Hand, was du dir vorgestellt hast. Das war dieser Zauber des Kellers, der mich am Anfang fasziniert hat, wo ich mir gedacht hab, darüber würde ich gern ein Buch machen, das würde ich gern aufbewahren."
    Handwerker machen schon mal Überstunden
    Denn die Handwerker sind ja auch Archivare von wertvollen Geschichten, die in keiner offiziellen Chronik vorkommen. Deshalb hat Morgenstern ihnen ein Denkmal gesetzt. In Form eines Buchs, für das er viele Stunden lang Interviews mit dem Fahrer, dem Tischler und dem Schlosser geführt hat. Entstanden ist so eine Kunstgeschichte aus Handwerkerperspektive.
    "Natürlich sind diese Geschichten schon oft erzählt worden und haben dadurch so eine Art von literarischer Überformung bekommen. Deswegen habe ich das auch einfach so übernommen wie es ist, weil es ja schon dadurch, dass es so oft erzählt wurde, Literatur geworden ist."
    Da gab es zum Beispiel den strengen Winter '79, als die Leitungen platzten und Handwerker, Studenten und Professoren gemeinsam Bücher vor dem Wasser retten mussten. Oder die legendären Faschingsfeiern in studentischer Eigenregie, die tagelang den Hochschulbetrieb lahmlegten. Dabei spürt man die geheime Verbindung zwischen Handwerkern und Studenten. Man konnte sich aufeinander verlassen, egal, wie sehr die Feier aus dem Ruder lief:
    "Und da passierte ständig was! "Oh, die haben eine Scheibe eingeschlagen, kannst du mal irgendwas..." Und dann bin ich hier runter und hab mir irgendeine Pappe gesucht und hab das zugenagelt, damit da keiner mehr reinkommt - das ist doch Wahnsinn im Suff, also, im betrunkenen Zustand!"
    Wolfgang Alberti leitet seit Jahrzehnten die Holzwerkstatt. Als wir ihn treffen, ist eigentlich schon längst Feierabend. Aber die Studenten brauchen dringend noch Podeste oder Rahmen für den bevorstehenden Rundgang - also bleibt der Handwerker länger.
    "Heutzutage geht man auf Arbeit, um sein Geld zu verdienen, und dann geht man wieder nach Hause und mehr mach ich nicht wie in meinem Funktionsplan steht. Dass ich jetzt hier noch rumstehe - das mache ich den Studenten zuliebe."
    Der Keller der HGB war immer ein Ort, an dem gewerkelt wurde - auch an Karrieren. Der berühmte Maler Bernhard Heisig beispielsweise war lange Jahre Direktor der HGB. Und pflegte ein kumpelhaftes Verhältnis zu den Leuten im Keller.
    "Das war so ein Idol, so eine Figur einfach, die wichtig war für die DDR, für das Prestige, und dann auch gleichzeitig für die Studenten ganz, ganz unerreicht. Und so einer sitzt dann einfach unten mit den Typen, die da im Blaumann sitzen, rum und trinkt mit denen Kaffee und macht mit denen Witze und redet mit denen über private Sachen und hilft denen auch mit den Beziehungen, die er da hat."
    Mehr als bloße Erfüllungshilfen
    Heisigs Vertrautheit mit den Handwerkern reichte bis hin zu, sagen wir mal, gewissen Sonderaufgaben:
    "Der Fahrer, Louis, der Chauffeur von Bernhard Heisig gewesen ist, hatte einen Zoobesuch mit der Frau von Helmut Schmidt. Er hat sie in den Leipziger Zoo begleitet und hat dort mit ihr ein paar Stunden verbracht und ist dort spazieren gewesen, während sich Helmut Schmidt von Heisig hat malen lassen hier in Leipzig."
    Jener Chauffeur pflegt übrigens bis heute eine Brieffreundschaft zu Altbundeskanzler Helmut Schmidt.
    Auch Udo Kretschmer kommt in dem ausführlich bebilderten Buch zu Wort: Er begann seine Arbeit in der HGB exakt am Tag des Mauerfalls. Seit über 25 Jahren ist er für die Metallwerkstatt zuständig. Und betreut heute die unglaubliche Zahl von 600 Studenten. Ursprünglich war er im Maschinenbau tätig:
    "Als ich hier reinkam in die Kunst, sag ich mal so, war das für mich ja Neuland gewesen. Und da hab ich mir am Anfang auch erst gedacht: Um Gottes Willen, was ist das hier eigentlich?"
    Kretschmer hat sich schnell im Kunstbetrieb eingelebt - und hilft den Studenten bis heute dabei, ihren künstlerischen Ideen eine handwerkliche Form zu geben. Aber, und das versteht man am Ende des Buchs, die Handwerker aus dem Keller sind viel mehr als bloße Erfüllungsgehilfen der Kunst: Seelsorger, Kaffeekocher, Geschichtenerzähler. Der wahre Kopf der Kunsthochschule, wenn man so will.
    "Ich hab von denen viel gelernt. Im Prinzip stehen die mir in einer Menschwerdung hier im Haus dem Professor in nichts nach."