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Koalition in Thüringen
Kraft kann sich Rot-Rot-Grün im Bund nicht vorstellen - zurzeit

Auch nach der Wahl von Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten in Thüringen kann sich die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Hannelore Kraft ein rot-rot-grünes Bündnis auf Bundesebene nicht vorstellen. Die Linkspartei habe eine "sehr extreme Position im Bereich der Außenpolitik". Allein daran würde es letztendlich wohl scheitern.

Hannelore Kraft im Gespräch mit Barbara Schmidt-Mattern | 07.12.2014
    Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen
    Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen (picture alliance / ZB - Karlheinz Schindler)
    Barbara Schmidt-Mattern: Willkommen im Deutschlandfunk Hannelore Kraft, die Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen. Sie sind jetzt seit gut viereinhalb Jahren im Amt, einmal bereits wiedergewählt. Sie galten zwischenzeitlich als die Hoffnungsträgerin der Bundes-SPD, dann haben Sie vor ziemlich genau einem Jahr gesagt: "Ich werde niemals als mögliche Kanzlerkandidatin antreten". Danach ist es sehr ruhig um Sie geworden – zumindest außerhalb von Nordrhein-Westfalen. Und jetzt ist bei Ihnen Halbzeitbilanz, hier als Ministerpräsidentin in Düsseldorf. Welche Bilanz ziehen Sie nach fast fünf Jahren in der Staatskanzlei?
    Hannelore Kraft: Zunächst einmal bin ich nicht ruhig geworden in Berlin, ganz im Gegenteil – das hätte sich mancher gewünscht. Insbesondere bei den Koalitionsverhandlungen habe ich doch eine sehr aktive Rolle gespielt und auch die Interessen des Landes, aber auch der Länder insgesamt und der Kommunen massiv vertreten. Das war mir sehr wichtig. Da habe ich schon ernsthaft für gekämpft. Und ich glaube nicht, dass da unser Einfluss in Berlin geringer geworden ist.
    Schmidt-Mattern: Die Einschätzung, dass es ruhiger um Sie geworden ist, die bezog ich auch eher auf dieses Jahr, als die Große Koalition jetzt angefangen hat zu arbeiten. Sie haben mal gesagt: "Ich will immer noch politisch die Welt verändern". Würden Sie das auch heute noch genauso umschreiben? Und wenn ja, was meinen Sie damit?
    Kraft: Das ist ja der Grund dafür, warum ich ganz klar sage: Ich konzentriere mich auf Nordrhein-Westfalen. Wir haben hier einen neuen Politikansatz eingeführt, eine vorbeugende, präventive Politik unter der Überschrift: "Kein Kind zurücklassen". Und wir waren uns von Anfang an darüber im Klaren, dass das ein Projekt ist, was einen längeren Atem braucht. Und es zeigt sich: Prävention wirkt und sie zahlt sich aus. Man kann es konkret an den Kassen ablesen.
    Schmidt-Mattern: Das Statistische Landesamt hat sich jetzt zu Wort gemeldet mit einer neuen Statistik und hat gesagt: 'Jeder sechste Bürger in Nordrhein-Westfalen gilt als arm'. Das Armutsrisiko ist trotz der guten wirtschaftlichen Entwicklung sogar noch leicht gestiegen. Dann, die Gewerkschaften, die eigentlich traditionell an der Seite Ihrer Partei stehen, ziehen eine ernüchternde Bilanz, haben hier vor einigen Wochen in Düsseldorf festgestellt, dass es immer noch einen großen Zusammenhang gibt zwischen Herkunft und Bildungschancen, dass es immer noch zu viele Schulabbrecher gibt. Angesichts solcher Einschätzungen, können Sie wirklich im Moment zufrieden sein mit Ihrem Programm "Kein Kind zurücklassen"?
    Kraft: Gehen wir die mal der Reihe nach durch. Erstens, pro Kopf Ausgaben für Bildung: Die Daten, die dort herangezogen worden sind, sind von 2010. Das war das Jahr, in dem wir erst wieder an die Regierung gekommen sind. Seitdem haben wir massiv investiert. Jeder dritte Euro fließt heute in den Bereich "Bildung und Kinder". Das sind 25,5 Milliarden Euro. Das ist, finde ich, eine hervorragende Bilanz, die wir hier vorzeigen können. Was Armut angeht, ist hier insbesondere der Bund am Zug. Hier haben wir im Koalitionsvertrag Maßnahmen verabredet auf der Bundesebene, die müssen jetzt noch greifen. Das geht nicht von heute auf morgen, aber ich finde es ganz wichtig, dass wir an diesen Stellen ansetzen. Aber das ist nicht Landespolitik.
    Schmidt-Mattern: Sie haben es jetzt hier und da eben schon angedeutet, dass Sie weiter und auch noch stärker die Interessen von Nordrhein-Westfalen im Bund vertreten wollen. Sie haben jetzt vor zwei Wochen den ersten großen Vorstoß dafür gemacht in der Debatte um den Solidaritätszuschlag, als Sie hier gemeinsam mit den SPD-Ministerpräsidenten und mit Herrn Kretschmann aus Baden-Württemberg verkündet haben, dass man doch den Solidaritätszuschlag ab 2020 am besten in die Einkommenssteuer integrieren sollte. Warum wollen Sie die Bürger denn weiter belasten, anstatt sie zu entlasten? An sich sollte der Zuschlag ja 2019 auslaufen.
    Steigende Belastung für Familien verhindern
    Kraft: Dass der Soli vom Aufkommen her bleiben soll, haben sowohl die Kanzlerin im Wahlkampf deutlich gesagt – vom Aufkommen her – als auch unser Kandidat der SPD. Das heißt, für die Bürgerinnen und Bürger war das erkennbar, dass diejenigen, die jetzt die Regierung bilden, auch das Aufkommen des Soli behalten möchten im Staatshaushalt. Die Frage ist: Wer bekommt es dann? Geht es ausschließlich an den Bund oder geht es auch an Länder und Kommunen? Dafür kämpfen wir. Wenn der Soli integriert wird in die Einkommenssteuer, dann hätte es den Vorteil, dass klar wäre: Es ist eine dauerhafte Belastung. Aber es ist eben auch klar, es geht gleichzeitig an die Länder und Kommunen mit dem entsprechenden Anteil. Und wir haben dabei immer im Blick gehabt, dass es nicht zu einer steigenden Belastung, beispielsweise für Familien, kommen darf. Und es wurde auch darüber diskutiert, gleichzeitig dann etwas im Bereich der sogenannten Kalten Progression zu tun, um genau diese Effekte nicht eintreten zu lassen.
    Schmidt-Mattern: Wollen Sie das denn auch, dass man das jetzt verbindet? Wenn man auf der einen Seite sagt: 'Wir wollen den Solidaritätszuschlag integrieren in die Einkommenssteuer, aber dann müssen wir gleichzeitig auch was an der Kalten Progression verändern, um die Bürger, jedenfalls an der Stelle, zu entlasten' - ist das eine Linie, die Sie auch unterschreiben?
    Kraft: Das wird zu diskutieren sein. Aber es war nie die Rede davon, dass der Soli integriert wird und dadurch natürlich die Belastungen dann, weil die Kurvenverläufe anders sind, bei den Familien steigen werden. Das hätte die SPD nie mitgemacht.
    Schmidt-Mattern: Es ist gerade diese Woche bekannt geworden, die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag. Demnach würde die Integration des Soli in die Einkommenssteuer gerade für Familien mit mittleren und niedrigen Einkommen höhere Belastung bedeuten. Das soll 24 Millionen Bürger in Deutschland betreffen.
    Kraft: Das war von Länderseite und insbesondere auch für die SPD immer klar, dass diese Wirkung nicht eintreten darf und dass wir deshalb hier Glättungen vornehmen müssen, die auch Geld kosten.
    Schmidt-Mattern: Was heißt das denn konkret? Wie wollen Sie das verhindern? Welche Glättungen wollen Sie vornehmen?
    Kraft: Das sind technische Fragen, wie man Verläufe von Steuerkurven so verändert, dass eine zusätzliche Belastung nicht eintritt. Und das kann man hinbekommen und das werden wir auch hinbekommen.
    Schmidt-Mattern: Können Sie das dem betroffenen Bürger ein bisschen genauer erklären, wie Sie da die Menschen entlasten wollen?
    Kraft: Wissen Sie, das Problem ist, dass bei der Steuer es bestimmte Kurvenverläufe gibt mit Auswuchtungen im Bereich der unteren Einkommen, insbesondere bei Familien, und dass der Soli als Prozent auf die Steuer bezahlt wird. Und wenn man ihn einrechnen würde, dann würde sich der Kurvenverlauf der Einkommenssteuer verändern. Das wollen wir nicht, und das werden wir verhindern. Das kann man, das ist reine Finanztechnik.

    NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) im Gespräch mit Barbara Schmitt-Mattern (DLF)
    NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) im Gespräch mit Barbara Schmitt-Mattern (DLF) (Nils Heider, Deutschlandfunk)
    Schmidt-Mattern: Nun ist es auf der anderen Seite so, wenn wir mal auf Ihre Haushaltspolitik hier in Nordrhein-Westfalen schauen, dass Sie gerade für die Bürger hier in Ihrem Bundesland eine Steuererhöhung beschlossen haben, die demnächst in Kraft treten soll, nämlich die Erhöhung der Grunderwerbssteuer. Wie passt das denn dann zu dem, was Sie eben gesagt haben, dass Sie die Bürger entlasten wollen?
    Kraft: Wir haben uns genau angeschaut, was machen andere Bundesländer. Wie stehen wir im Konzert? Und wir haben uns dann entschlossen – das ist uns nicht leicht gefallen –, unsere Einnahmen noch mal zu verbessern dadurch, dass wir die Grunderwerbssteuer erhöhen, die ja einmalig gezahlt wird, wenn jemand ein neues Haus kauft.
    Schmidt-Mattern: Nordrhein-Westfalen hat 140 Milliarden Schulden über die letzten Jahrzehnte angehäuft. Wenn Sie nun gleichzeitig sagen: "NRW muss bei der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen in Zukunft bessergestellt werden", dann setzen Sie sich ja dem Vorwurf aus, dass Sie doch erst einmal Ihren eigenen Haushalt in Ordnung bringen könnten, bevor Sie von den anderen Ländern und vom Bund mehr Geld fordern?
    Kraft: Ja, da schauen wir ein bisschen in die Historie und schauen uns mal an, wo denn diese Schulden entstanden sind. Nordrhein-Westfalen war die prosperierende Region – ist sie heute noch – in Deutschland. Zu Zeiten von Kohle und Stahl haben wir hier so viel Geld erwirtschaftet, dass wir den Aufbau Süddeutschlands massiv mit unterstützen konnten. Das haben wir getan über den Länderfinanzausgleich. Der strukturelle Wandel, der dort erfolgt ist, vom Agrarland zum Industrieland, der ist auch aus Nordrhein-Westfalen mitfinanziert worden. Jetzt, in den letzten Jahren, galt es den Aufbau Ost zu stemmen. Wir waren solidarisch mit Süden und Osten, jetzt hätten wir gerne, dass mehr von dem Geld, was hier erwirtschaftet wird, von den Bürgerinnen und Bürgern, auch bei uns im Lande bleibt. Dann können wir auch das, was jetzt noch notwendig ist im Bereich Infrastruktur und Bildung, auch besser finanzieren.
    Schmidt-Mattern: Machen wir einen Schwenk von den Finanzen zur Energie. Das Bundeskabinett hat in dieser Woche den Klimaschutzplan verabschiedet. Das heißt, bis 2020 soll es in Deutschland 40 Prozent weniger CO2-Ausstoß geben als noch im Jahr 1990. Frage an Sie, Frau Ministerpräsidentin: Ist das überhaupt zu schaffen? Und muss dieser Zeitplan eigentlich um jeden Preis eingehalten werden oder sollte man das Ziel vielleicht einfach verschieben, wenn man das nicht schafft?
    "Wir müssen die Schuldenbremse einhalten"
    Kraft: Sich immer wieder Ziele zu setzen, die 30 Jahre in der Zukunft liegen und da horrende Einsparungsziele zu vermerken, aber nicht deutlich zu sagen, mit welchen Schritten kommen wir dahin, das ist keine seriöse Politik. Deshalb begrüße ich, dass es diese Planung gibt. Unsere Aufgabe ist, darauf zu achten, dass bei all diesen Entwicklungen es immer ein Dreieck bleibt: Sicher, sauber und zahlbar in der Energiepolitik. Wir, als Industriestandort sind darauf angewiesen, dass hier eine sichere Energieversorgung dauerhaft und ständig gewährleistet bleiben kann. In diesem Zielkorridor dieser drei Ziele müssen wir tätig sein. Das tut die Bundesregierung, das haben wir auch in der Koalition so verabredet. Und dazu gehört eben auch, dass wir gemeinsam darauf achten, dass die Arbeitsplätze in diesem Bereich soweit wie möglich erhalten bleiben.
    Schmidt-Mattern: Sie wollen gerne alles: Sie wollen die Arbeitsplätze erhalten, Sie wollen die Kosten niedrig halten für die Verbraucher, Sie wollen auch, dass die Industrie nicht so schlecht wegkommt. Einer aber wird ja wahrscheinlich bluten müssen. Wenn wir uns ein paar Details mal herauspicken, zum Beispiel die Gebäudesanierung oder die Fassadendämmung, das soll alles im Rahmen dieses neuen Klimaschutzplans steuerlich gefördert werden. Das heißt im Umkehrschluss, dass die Länder Einnahmeeinbußen haben werden.
    Kraft: Nein, die Bundesregierung hat Vorschläge vorgelegt. Die werden wir bei der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz diskutieren, dass es auf der anderen Seite dafür auch Entlastungen gibt. Wir müssen die Schuldenbremse einhalten, da können wir nicht auf Einnahmen verzichten.
    Schmidt-Mattern: Sie haben ja schon kommende Woche, am Donnerstag, Gelegenheit, das auch der Kanzlerin persönlich zu sagen. Dann wird es einen Bund-Länder-Gipfel mit Angela Merkel und den Ministerpräsidenten geben. Das heißt, Sie gehen mit der Botschaft in dieses Treffen, dass es so bei diesen Steuererleichterungen, bei der Gebäudesanierung und bei der Fassadendämmung zum Beispiel, aus Sicht von NRW nicht bleiben wird?
    Kraft: Diese Position der Länder kennt die Kanzlerin. Und deshalb wird sie ...
    Schmidt-Mattern: ... Unsere Hörer kennen sie nicht. Beschreiben Sie sie kurz.
    Kraft: Wir haben ja schon lange darüber diskutiert. Wenn man über Gebäudesanierung nachdenkt, ist erst mal die Frage: Geben wir eine steuerliche Erleichterung oder machen wir das über Förderprogramme? Wir haben immer den Programmweg bevorzugt. Wir glauben, dass es notwendig ist, auf Effizienz zu setzen, auch auf Gebäudesanierung zu setzen, aber über den Weg haben wir in der Vergangenheit mit der Bundesregierung sehr intensiv diskutiert. Jetzt macht sie einen neuen Anlauf. Da geht es um die Frage: Wer finanziert Steuererleichterungen? Sie wollen das unbedingt, dann ...
    Schmidt-Mattern: ... Was wollen Sie, Frau Kraft? Ganz konkret noch mal nachgefragt, werden Sie diesen Plan mitmachen?
    Kraft: Es gibt schon einen Vorschlag der Bundesregierung dazu, Frau Schmidt-Mattern, und den werden wir am Donnerstag diskutieren. Die Bundesregierung ist sich darüber im Klaren, dass die Länder nicht auf die Einnahmen verzichten können.
    Schmidt-Mattern: Gut, aber Sie könnten ja schon mit einem konkreten Gegenvorschlag in diese Runde gehen?
    Kraft: Brauche ich ja nicht, weil die Bundesregierung schon mit einem Vorschlag kommt. Das trage ich nicht in der Öffentlichkeit aus.
    Schmidt-Mattern: Ein Blick auf die Kohle. 22 Millionen Tonnen CO2 sollen die Betreiber der Kohlekraftwerke jetzt einsparen, sonst sei diese 40-Prozent-Marke unerreichbar. Gehen Ihnen diese Pläne Ihres Parteifreundes Sigmar Gabriel, des Bundeswirtschaftsministers, eigentlich zu weit?
    "Es darf nicht die Versorgungssicherheit gefährdet werden"
    Kraft: Hier ist uns wichtig, dass die Unternehmen entscheiden können, dass es diskriminierungsfrei ist, und das ist so gestaltet bisher. Und die weitere Ausgestaltung und Konkretisierung erfolgt im nächsten Jahr. Auch da werden wir mit der Bundesregierung drüber diskutieren.
    Schmidt-Mattern: Wenn das alles sozusagen im ruhigem Fluss ist, warum ist dann der BDI – der Bund der Industrie – so aufgeregt nach diesen Zahlen und warnt vor den Folgen von Stilllegungen und sagt: Das gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit, das gefährdet Arbeitsplätze, der Strompreis steigt? Sind das die üblichen Reflexe aus der Industrie oder ist von diesen Sorgen etwas berechtigt?
    Kraft: Nein, man muss sich ja die Dimension anschauen. noch mal: Das Zieldreieck ist wichtig, das müssen wir einhalten. Es darf nicht die Versorgungssicherheit gefährdet werden, darauf wird Nordrhein-Westfalen ganz besonders achten. Auch die Preise werden wir in den Blick nehmen aus dem Blickwinkel der Unternehmen, der energieintensiven Unternehmen, aber auch aus dem Blickwinkel der Bürger. Und es gilt jetzt, diese Dinge gemeinsam weiter im Rahmen dieses Zieldreiecks voranzutreiben. Und das, glaube ich, werden wir schaffen.
    Schmidt-Mattern: Der Energiekonzern E.ON, der seinen Sitz hier in Düsseldorf hat, hat diese Woche überraschende Nachrichten verkündet. Künftig konzentriert sich E.ON ganz auf die Erneuerbaren Energien. Kohle, Atom und Gas werden ausgegliedert in einer neuen Gesellschaft. Die Grünen – Ihr Koalitionspartner auch hier in Düsseldorf – sagen: 'Das wird doch alles nur eine neue Bad Bank für die Atomkraftwerke, die rückabgewickelt werden müssen!'. Ist da was dran, an dieser Sorge, dass E.ON sich aus der Verantwortung stiehlt?
    Kraft: Ich habe mir die Vorschläge schon genau angeschaut. Und wir werden peinlich darauf achten, dass auch die Rückstellungen nicht gefährdet sind, damit am Ende nicht der Staat und damit die Bürgerinnen und Bürger den Rückbau der Atomkraft in Deutschland bezahlen müssen.
    Schmidt-Mattern: Haben Sie da schon konkretere Vorstellungen? Wie kann man das stärker kontrollieren? Niemand kann ja im Moment in die Zukunft gucken, ob diese neue Gesellschaft, die da gegründet wird, ob die sich wirklich rentieren wird und ob damit die schon angesammelten Rücklagen, ob die wirklich sicher sind. Müsste der Staat da nicht besser kontrollieren in Zukunft?
    Kraft: Da ist Sigmar Gabriel am Zuge. Er hat sich auch geäußert, dass er das auch tun wird – und auch da bin ich sehr zuversichtlich.
    Schmidt-Mattern: Das heißt, Sie würden auf jeden Fall befürworten, dass der Gesetzgeber da tätig wird und die Konzerne – in diesem Fall E.ON – ganz klar verpflichtet, die Rücklagen transparenter zu machen und auch was mit ihnen passiert?
    Kraft: Es gibt dazu klare Regelungen. Es gibt auch eine Transparenz. Und die Aufsicht über diese Dinge hat der Bundesminister in diesem Fall. Und diese Aufsicht wird er auch wahrnehmen, weil niemand ein Interesse daran hat, dass am Ende der Steuerzahler bezahlen muss.
    Schmidt-Mattern: Also Sie haben da grenzenloses Vertrauen zu E.ON?
    Kraft: Es geht mir nicht darum, ob ich Vertrauen habe oder nicht, sondern es geht darum, dass das kontrolliert wird vonseiten des Bundeswirtschaftsministers.
    Schmidt-Mattern: Ich frage deswegen nach, weil der Bundesrechnungshof schon mehrfach kritisiert hat, dass es eben nicht genug Transparenz gäbe bei Umgang mit den Rückstellungen und dass es da eben sehr wohl mehr staatlicher Kontrolle bedürfe, um das sicherzustellen, dass genügend Geld in Zukunft da ist, um die Atomkraftwerke zurückzubauen, wie es Pflicht ist ja der Konzerne.
    Kraft: Sigmar Gabriel hat sich dazu in dieser Woche geäußert und hat klar gemacht, dass er diese Kontrolle ausüben wird.
    Schmidt-Mattern: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit der NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Lassen Sie uns auf Thüringen schauen. Dort ist am Freitag Bodo Ramelow, als ein Mitglied der Linkspartei, der bundesweit erste Ministerpräsident geworden. Und Ihre Partei, die SPD, wird jetzt künftig in Erfurt damit unter der Führung eines linken Ministerpräsidenten arbeiten. Wie bewerten Sie das?
    Kraft: Das ist ein demokratischer Prozess, der dort stattgefunden hat. Die SPD hat diese Diskussion sehr intensiv geführt, auch in den eigenen Reihen. Man muss dazu vielleicht hier erklären, dass die Situation in Thüringen aus der Großen Koalition heraus sehr schwierig war. Das war keine Koalition, die am Ende gut funktioniert hat, wo man gut miteinander umgegangen ist. Und man hat hier einen erst mal zunächst parteiinternen Dialogprozess geführt, auch eine klare Entscheidung getroffen durch die SPD, und das Ganze ist jetzt in einem demokratischen Prozess zustande gekommen. Und ich habe dem neuen Kollegen auch gratuliert.
    Schmidt-Mattern: Aber Begeisterung klingt anders bei Ihnen.
    Große Differenzen zwischen Linken und SPD in der Außenpolitik
    Kraft: Na ja, dass das kein einfacher Schritt war, auch für die Sozialdemokraten in Thüringen, das habe ich da bei meinen Wahlkampfeinsätzen vor Ort auch deutlich mitbekommen, dass wichtig war, dass die Linke sich hier auch klar bekannt dazu hat, dass die DDR ein Unrechtsstaat war und dass sie auch an der Aufarbeitung weiter arbeiten werden.
    Schmidt-Mattern: Ist denn dieses Regierungsmodell, was jetzt seit Freitag in Thüringen im Amt ist, ist das möglicherweise auch ein Modell für den Bund in Zukunft?
    Kraft: Das sehe ich nicht, weil die Differenzen, gerade auch im Bereich der im Bund sehr wichtigen Außenpolitik, so groß sind. Ich habe in der vergangenen Woche die Gelegenheit gehabt, einige Talkshows zu sehen, und da merkt man dann auch deutlich, welch große Differenzen da wirklich zwischen den einzelnen Parteien noch bestehen. Ich sehe das nicht.
    Schmidt-Mattern: Aber auf der anderen Seite haben Sie doch auf Ihrem Bundesparteitag in Leipzig – vergangenen November 2013 war das – schon zum ersten Mal beschlossen, dass die SPD künftig keine Koalition grundsätzlich mehr ausschließt – Ausnahme mit rechten Parteien. Das heißt, da haben Sie doch im Grunde eine Tür geöffnet, die es zumindest ermöglicht, dass man sich annähern kann künftig mit der Linkspartei?
    "Ich kann mir das zurzeit mit diesen inhaltlichen Positionen nicht vorstellen"
    Kraft: Das haben wir ja hier in Nordrhein-Westfalen auch getan 2010. Und ich erinnere daran, damals war die Zeit nach Andrea Ypsilanti und den Vorgängen in Hessen. Und wir haben gegen alle Widerstände gesagt: "Wir reden mit allen!". Und das war keine einfache Position, aber wir haben sie durchgehalten, weil ich auch finde, dass man nur an inhaltlichen Punkten sagen kann: Es geht oder es geht nicht, egal, auf welcher politischen Ebene man tätig ist. Es muss darum gehen, dass man vertrauensvoll zusammenarbeiten kann, als Menschen miteinander. Und es geht um Inhalte. Und ich habe damals – 2010 – im Vorfeld immer gesagt: "Ich glaube nicht, dass die Linke regierungsfähig und regierungswillig ist" – und ähnlich sehe ich im Moment die Konstellation auch auf der Bundesebene. Sie haben eine sehr extreme Position im Bereich der Außenpolitik, auch was Europa angeht. Und ich glaube, dass das am Ende auch der inhaltliche Punkt sein wird, an dem es scheitern wird. Aber dass man keine Gespräche führt und per Ae sagt: 'Mit denen reden wir nicht', das wollten wir jetzt nicht mehr. Und da haben wir einen klaren Beschluss zu gefasst.
    Schmidt-Mattern: Schließen Sie Rot-Rot-Grün 2017 aus im Bund?
    Kraft: Ich sage noch mal, ich kann mir das zurzeit mit diesen inhaltlichen Positionen nicht vorstellen. Aber ich weiß nicht, welche weiteren inhaltlichen Veränderungsprozesse die Linke noch absolvieren wird in den nächsten Jahren. Warten wir es ab. Wir werden, wenn die Konstellation da ist, mit allen reden, aber wir werden nicht unsere inhaltlichen Kernpositionen verlassen, um eine solche Koalition zu bilden.
    Schmidt-Mattern: Andersrum gedacht, Frau Kraft, wenn es für Rot-Grün in Zukunft alleine nicht mehr reicht – und dafür gab es ja einige Anzeichen bei den letzten Wahlen, die wir so hatten in Deutschland –, welche künftigen Machtoptionen bleiben denn für Ihre Partei dann auf Bundes- oder Landesebene?
    Kraft: Na, ich glaube, Rot-Grün, es zeigt sich ja in den Ländern, dass das ein sehr erfolgreiches Modell ist. Warten wir doch erst mal ab, mit Blick auf 2017. Und im Moment hat, glaube ich, eher die CDU das Problem, dass sie keinen möglichen Koalitionspartner hat.
    Schmidt-Mattern: Na, Sie gehen ja inzwischen sehr gerne überall in eine Große Koalition mit der CDU und helfen ihr ja letzten Endes damit?
    Kraft: Ich glaube, wir haben mehr rot-grüne Koalitionen als Große Koalitionen in den Ländern.
    Schmidt-Mattern: Aber das vergangene Jahr und die Bundestagswahl haben ja gezeigt, dass es für Rot-Grün alleine immer schwieriger wird?
    Kraft: Na ja, das ist die Situation am Ende eines Wahlkampfs, nach einer Wahl. Aber wir arbeiten daran, dass diese Positionen sich wieder verändern. Und mit Blick auf 2017: Wir sind jetzt in einer Großen Koalition, das ist für uns kein Dauerzustand – das ist auch klar Diskussionslage in meiner Partei. Wir wollen mehrheitsfähig werden, am liebsten mit Rot-Grün.
    Schmidt-Mattern: Wo wir gerade schon über Große Koalitionen sprachen, lassen Sie uns auf die in Berlin noch einmal drauf schauen. Die Erfolge Ihrer Partei in dieser Großen Koalition – ich nenne nur die Rente mit 63, der Mindestlohn, die Frauenquote, die Mietpreisbremse, die kommen soll –, die ganzen Punkte, ...
    "Sie kriegen nicht plötzlich zehn Prozent mehr in den Umfragen"
    Kraft: ... Die Liste ließe sich noch verlängern, bis zur Pflege.
    Schmidt-Mattern: ... da höre ich eine gewisse Zufriedenheit heraus. Es bleibt nur ein Problem, es drückt sich in den Umfragen nicht aus. Sie verharren bei 25, 26 Prozent. Warum, Frau Kraft, was ist Ihre Erklärung?
    Kraft: Na, erst mal sind wir jetzt gerade wieder ein bisschen geklettert. Das geht nicht von heute auf morgen. Sie kriegen nicht plötzlich zehn Prozent mehr in den Umfragen. Diejenigen, die uns gewählt haben, konnten sich darauf verlassen, dass wir das auch umsetzen, was wir gesagt haben – das tun wir –, die sind mit uns offenkundig zufrieden. Und wir müssen jetzt die nächsten Jahre dazu nutzen, noch weitere Wähler hinzuzugewinnen. Es wird nicht einen großen Sprung geben, sondern das ist harte Kärrnerarbeit, Schritt für Schritt. Und die wollen wir vollziehen, daran arbeiten wir. Die SPD hat aus ihren Fehlern auch gelernt. Gerade auch, was Geschlossenheit angeht, sind wir in den letzten Monaten gut unterwegs gewesen.
    Schmidt-Mattern: Ich bin ein bisschen überrascht, dass Sie von Geschlossenheit sprechen. Wir haben gerade eine neue linke Plattform in Ihrer Partei, die sich in Magdeburg gegründet hat. Es gibt Unzufriedenheit im linken Parteiflügel mit der Arbeit von Parteichef Sigmar Gabriel – ich nenne da die Stichworte: TTIP oder die Absage an Steuererhöhungen. Ist das Geschlossenheit, oder brechen da nicht eher neue Flügelkämpfe in der SPD aus?
    Kraft: Also wenn ich das vergleiche mit den Debatten, die die CDU auf dem Parteitag jetzt hat, dann sind wir ein sehr geschlossener Laden.
    Schmidt-Mattern: Die SPD geschlossener als die CDU?
    Kraft: Ja, das ist zumindest meine Wahrnehmung. Wenn ich die ganzen Debatten mir anhöre des Wirtschaftsflügels der CDU, die sind sich ja auch nicht einig, in welche Richtung es da gehen soll. Natürlich, wir sind beides großes Volksparteien, da gibt es Menschen, die unterschiedliche Positionen haben. Wir sind nie alle 100 Prozent einer Meinung, aber insgesamt sind wir sehr viel geschlossener aufgestellt als noch vor einigen Jahren.
    Schmidt-Mattern: Ihre Partei – wir haben es gerade schon gesagt – verharrt in den Umfragen bundesweit im Moment bei etwa 25, 26 Prozent. Angela Merkel ist und bleibt weiterhin die beliebteste Politikerin. Heißt das, dass Sie doch Recht hatten mit Ihrer Skepsis über eine Große Koalition im vergangenen Jahr, als Sie gesagt haben: "Die SPD ist bei der Bundestagswahl nicht angetreten, um Mehrheitsbeschafferin für die CDU zu sein"?
    Kraft: Meine Skepsis nach der Wahl bezog sich insbesondere darauf, dass eine Große Koalition eine sehr große Koalition ist in Berlin. Das hat für mich auch grundsätzlich Demokratiefragen aufgeworfen. Außerdem habe ich damals, ausgehend von den Debatten im Wahlkampf, nicht für möglich gehalten, dass die CDU so beweglich sein wird in den inhaltlichen Positionen. Wir haben Sondierungsgespräche geführt. In den Sondierungsgesprächen ist dann klar geworden, dass diese Beweglichkeit da ist. Sie haben die Stichworte genannt: Von Mietpreisbremse, über Mindestlohn, bis zur Rente für diejenigen, die schon lange in Arbeit sind, damit sie ohne Abschläge früher in Rente gehen können. Alle diese Positionen waren dann möglich, dann war auch ich der Meinung, dann müssen wir Koalitionsverhandlungen führen. Das haben wir getan. Wir haben ein gutes Ergebnis erzielt. Und Sie haben ja richtigerweise dargestellt, dass die SPD ihre Punkte auch zur Umsetzung gebracht hat. Und insofern ist die Bewertung heute eine andere, als zum damaligen Zeitpunkt.
    Schmidt-Mattern: Ralf Stegner – genauso wie Sie auch Vize-Vorsitzen der SPD –, stellt sich jetzt häufiger mal in den Gegenwind, positioniert sich gegen den Bundesvorsitzenden. Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit von Sigmar Gabriel?
    Kraft: Wir haben ja gerade aus nordrhein-westfälischer Sicht hier einiges Positives mit ihm gemeinsam erreicht, ich nenne nur die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Und wir haben es gemeinsam geschafft, auch Richtung Brüssel dafür zu sorgen, dass die energieintensive Industrie auch in Zukunft hier noch gute Bedingungen vorfindet. Das wird immer wieder eine Auseinandersetzung werden. Ich bin froh, dass er hier an der Seite Nordrhein-Westfalens steht. Industriestandort zu bleiben in einem zunehmenden Wettbewerb weltweit ist nicht einfach, da braucht man jemanden, der klar politische Linie hält. Und das ist bei Sigmar Gabriel der Fall. Und auch mit allen anderen Kolleginnen und Kollegen im Kabinett – ob jetzt die Umweltministerin, ob die Familienministerin – gibt es eine sehr gute Zusammenarbeit, und wir werden das auch weiter von unserer Seite mit begleiten.
    Schmidt-Mattern: Soll Sigmar Gabriel 2017 Kanzlerkandidat werden?
    Kraft: Die Entscheidung wird die SPD rechtzeitig vor der Wahl treffen. Aber natürlich ist er als der Parteivorsitzende erst mal derjenige, der das geborene Recht hat zu entscheiden.
    "Ich habe überhaupt nichts gegen Berlin"
    Schmidt-Mattern: Dann lassen Sie uns enden mit einem Ausblick – wir haben begonnen mit einer kleinen Rückschau. Wenn es 2017 richtig eng werden sollte für Ihre Partei – Sie haben das ja 2009 nach der Großen Koalition schon einmal erlebt im Bund –, würden Sie dann unter Umständen Ihr "niemals, niemals nach Berlin" noch einmal überdenken?
    Kraft: Ich sage noch einmal: Ich habe überhaupt nichts gegen Berlin – das wird manchmal völlig falsch verstanden –, ich habe auch nichts gegen die politische Arbeit in Berlin. Ich habe hier etwas begonnen, was ich weiter begleiten möchte, nämlich einen präventiven Politikansatz umzusetzen, darauf zu schauen, dass man nicht teuer repariert, sondern dass man vorher Vieles besser macht. Und das bedeutet insbesondere unter der Überschrift "Kein Kind zurücklassen" darauf zu achten, dass Kinder und Familien einen besseren Weg gehen können in unserem Land. Und das möchte ich gerne weiter begleiten. Das ist der Grund, warum ich auch schon erklärt habe, dass ich 2017 wieder als Ministerpräsidentin kandidieren möchte.
    Schmidt-Mattern: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, vielen Dank für dieses Gespräch.
    Kraft: Dankeschön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.