Dienstag, 16. April 2024

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Hanns Eisler - Werke für gemischten Chor

Auch durch das nächste Stück geistert eine Glaubensidee, allerdings ist sie von gänzlich anderer Art. Schönbergs Schüler Hanns Eisler folgte Ende der 20er Jahre einer Menschheits-Vision, die Erlösung durch den Umsturz der Gesellschaft versprach. Chorgesang wechselt dabei seine Funktion. Anstelle der Gemeinde der Gläubigen agiert der Arbeiter-Chor, den es zu profilieren, ja zu politisieren galt. Eisler sah sein Komponieren von Massenmusik als einen Versuch, die Arbeiterschaft seiner Zeit nicht der Unterhaltungs-Industrie zu überlassen, sondern sie zu avanciertem Musizieren zu aktivieren. Zu Brechts proletarischem Schauspiel "Die Mutter" nach Maxim Gorki schrieb Eisler demnach einige Chöre, die nicht allein Agitprop, sondern auch ästhetisch Avanciertes enthalten. Der in Lugano ansässige Coro della Radio Svizzera, der Eislers "Mutter"-Kantate unter Diego Fasolis' für die britischen Chandos-Records auf theatralisch vitale, überraschend emotionale Weise neu eingespielt hat, legt diese Dualität des Einfachen und des Artifiziellen auf hörenswerte Weise neu frei. Beispielsweise im ironisch gemeinten 'Vorspruch', der zu den "Vier Stücken" op. 13 gehört und der Eislers musikalisches Credo in eine Schlagzeile faßt. * Musikbeispiel: Hanns Eisler - 'Vorspruch', aus: Vier Stücke op. 13 Werke für gemischten Chor von Hanns Eisler - neu zu entdecken in einer CD-Produktion mit dem Coro della Radio Svizzera Lugano unter der Leitung von Diego Fasolis.

Frank Kämpfer | 09.07.2000