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Hans-Georg Wieck und Markus Wolf
Doppelporträt des BND-Präsidenten und des Chefs der Stasi-Spionage

Der eine kämpfte gegen sein Negativimage, der andere war ein Medienstar. Was sie verband, war die bis zur Arroganz reichende Selbstgewissheit. Das zeigt das unterhaltsame Doppelporträt von Hans-Georg Wieck und Markus Wolf. Schuldig bleibt "Im geheimen Krieg der Spionage" aber Einblicke in Strukturen und Arbeitsweise der Dienste.

Von Elke Kimmel | 18.08.2014
    Die Glienicker Brücke zwischen Berlin und Potsdam (Aufnahme vom 16.02.2011). Bernd Settnik/lbn
    Mit den Lebensläufen von Wieck und Wolf verbinden sich die unterschiedlichen Rollen der geheimen Nachrichtendienste in Demokratie und Diktatur. (picture alliance / ZB / Bernd Settnik)
    Ein Kuriosum fällt dem Leser schon vor dem Einstieg in diese Lektüre auf: Obwohl einer der beiden Nachrichtendienste die Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit über Jahrzehnte weitgehend unsichtbar agierte, ist deren langjähriger Chef bis heute ein Medienstar, während der zeitweilige Präsident des Bundesnachrichtendienstes weit weniger präsent ist. Markus Wolf starb zwar am 9. November 2006, seiner Bekanntheit hat dies aber keinen Abbruch getan. Hans-Georg Wieck wirkt demgegenüber eher blass.
    Hans-Georg Wieck - Präsident des Bundesnachrichtendienstes
    Auf rund 200 Seiten schildert zunächst Nicole Glocke Wiecks Karriere, bevor Winters sich Wolfs Lebensweg widmet. Dabei lassen sich beide sehr weitgehend auf deren jeweilige Selbstdarstellung ein. Gleich eingangs zitiert die Autorin den ehemaligen BND-Chef:
    "Als ich nach meiner Berufung zum Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes 1985 nach Pullach ziehen musste, bekam ich einen Schock: Nachdem ich viele Jahre in Weltstädten wie Moskau, Washington und Teheran gelebt und gearbeitet hatte, verschlug es mich nun in dieses Dorf. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich die nächsten Jahre tatsächlich dort verbringen musste."
    Wieck versuchte nach eigenen Angaben, aus dem Amt das Beste zu machen und insbesondere dem BND mehr Einfluss zu verschaffen. Wieck hatte 1985 bereits eine beachtliche Karriere im Auswärtigen Amt hingelegt. Er wurde 1928 in Hamburg geborene, begann nach dem Abitur, 1947 Geschichte und Jura zu studieren, und wurde dann in verschiedene bundesdeutsche Botschaften entsandt, bevor er 1985 an die Spitze des BND berufen wurde. Ein Leben lang bewegt ihn die Frage, wie es zum Völkermord an den Juden hatte kommen können. Umso seltsamer nimmt sich seine vehemente Verteidigung der Integration so vieler ehemaliger NS-Funktionsträger in die "Organisation Gehlen", den Vorläufer des BND, aus. Schließlich, so Wieck, habe sich auch die DDR nicht anders verhalten.
    "Wer seine Zustimmung zum nationalsozialistischen System als Fehler bekannt und sich nun auf den Boden der kommunistischen Ideologie gestellt hatte, bekam den Schutz dieses Regimes. Dasselbe geschah in der offeneren Bundesrepublik (...)."
    Die Vorwürfe, der BND sei bis heute eine rechtslastige Institution, würden jeder Grundlage entbehren oder folgten immer noch den Einflüsterungen der DDR-Propaganda. Und noch eine anderes Thema bewegt ihn bis heute: die Geringschätzung, die dem Nachrichtendienst und ihm selbst – aus Politik und Öffentlichkeit entgegenschlug. Dies machte er auch an Darstellungen wie der des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" im Juli 1987 fest:
    "Wo Wieck auftritt, hinterlässt er meist zwiespältige Eindrücke. (...) Wer ihn in seiner neuen Rolle erlebt, dem bleibt eher die Selbstgefälligkeit als der Informationswert seiner Auftritte im Gedächtnis."
    Diesem Negativimage will Wieck noch heute entgegenwirken. Das Bundeskanzler Helmut Kohl sich kaum für das interessiert habe, was der BND ihm an wertvollen Informationen über die DDR lieferte, habe unter anderem zur Fehleinschätzung der wirtschaftlichen Lage der DDR im Jahre 1989 geführt. Nach einem kurzen Intermezzo als Botschafter in Indien gilt Wieck heute als Experte für Nachrichtendienste, ungeachtet seiner kurzen Amtszeit.
    Markus Wolf - Chef des Auslandsnachrichtendienstes
    Markus Wolf hingegen hat einen großen Teil seiner Lebenszeit für die Stasi gearbeitet: 34 Jahre lang leitete der 1923 geborene Sohn des Schriftstellers und Arztes Friedrich Wolf den Auslandsnachrichtendienst der DDR. Wie sein westdeutsches Gegenüber habe auch er sich 1951 nicht um die Position bemüht. In einem Spiegel-Interview sagte er dazu im April 1993:
    "Ich wurde da reingeschickt. Es ging mir wie Tausenden anderer auch: Die Partei hat beschlossen, du machst das – also machst du das. Es war ein Auftrag, in dem ich einen Vertrauensbeweis sah."
    Winters widerspricht dem nicht, unterstreicht aber, dass die Position letztlich Wolfs Charakter entsprochen hätte. Dieses Elitebewusstsein habe Markus Wolf nie verlassen, nicht im Moskauer Exil und nicht in seinem späteren Leben. Im Exil nahm er an ersten geheimdienstlichen Schulungen teil, später arbeitete er zunächst für das Radio und für den Auswärtigen Dienst, bevor er seine Geheimdienstkarriere begann. Wolf behauptete wiederholt, dass ihn die Zivilcourage des Vaters geprägt habe. Dafür findet Winters indes kaum Belege. Stattdessen habe Wolf die HV A zu seiner – wie er selbst im Interview mit Günter Gaus 1990 sagte – "Nische" ausgebaut. Gegen die Vorgaben des von ihm ungeliebten und verachteten Mielke habe er jedoch nie protestiert. Wolf begründete diese Zurückhaltung 1990 damit, dass:
    "Jeder Versuch, etwas zu ändern in der Tätigkeit dieser Sicherheitspolitik und dieses Sicherheitsorgans auf anderen Feldern [...] sofort mit meinem Ausscheiden verbunden gewesen wäre [...] Ich bin nicht aus Furcht dem ausgewichen, sondern weil ich glaubte, dies den Menschen schuldig zu sein, für die ich Verantwortung hatte."
    Gemeinsamkeiten und Unterschiede
    Nicole Glocke und Peter Jochen Winters ist darin beizupflichten, dass die über weite Strecken unkommentierte Selbstdarstellungen der Lebensgeschichte beider Protagonisten sinnvoll weil entlarvend ist. Im Vergleich der beiden nacheinander abgedruckten Porträts fallen die Gemeinsamkeiten ins Auge: die bis zur Arroganz reichende Selbstgewissheit, das Gefühl, sich stets aufrecht verhalten zu haben, selbst wenn Zeitzeugen eine eher gebückte Haltung gegenüber den Mächtigen gesehen haben, der Eindruck, dass die eigene Lebensleistung nicht genügend gewürdigt werde. An anderen Stellen argumentieren Wolf und Wieck spiegelverkehrt: Während Wieck den westdeutschen Geheimdienst und damit auch seine Rolle an der Behördenspitze unterschätzt sieht, leistet sich Wolf die falsche Bescheidenheit, die Rolle seines Nachrichtendienstes und damit auch der Stasi als Ganzes herunter zu spielen.
    Dennoch: Bei allem Vertrauen in den mündigen Leser - an einigen Stellen vermisst man eine kurze Einordnung in die jeweiligen historischen Kontexte. Auch fehlt dem Buch eine Klammer oder wenigstens eine kurze Schlussbemerkung. Stattdessen berichtet Nicole Glocke eher unvermittelt von ihren Treffen mit Markus Wolf. Eine Irritation bleibt außerdem. Wäre es nicht angesichts der Bedeutung, die Wolf für den DDR Nachrichtendienst besaß, sinnvoller gewesen ihm einen, für den BND prägenderen Präsidenten - wie Reinhard Gehlen oder Gerhard Wessel - gegenüberzustellen? So ist Glockes und Winters Doppelporträt über weite Strecken unterhaltsam und durchaus aufschlussreich, über die Machtstrukturen und die Arbeitsweise der Dienste erfährt man aber kaum etwas.
    Nicole Glocke/Peter Jochen Winters: Im geheimen Krieg der Spionage.
    Hans-Georg Wieck (BND) und Markus Wolf (MfS). Zwei biografische Porträts
    Mitteldeutscher Verlag, 544 Seiten, 19,95 Euro
    ISBN: 978-3-954-62253-5