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Hanseatische Grünen-Politikerin
"Olympische Bewerbung hätte zu Hamburg gepasst"

Sie sei traurig, dass Hamburgs Bürger sich gegen eine Olympia-Bewerbung entschieden hätten, sagte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Anja Hajduk im DLF. Das verlorene Vertrauen in die internationalen Sportorganisationen und ihre Funktionäre ist aus ihren Augen ein Grund für das Ergebnis. Insofern könne sie das Abstimmungsergebnis verstehen und akzeptieren.

Anja Hajduk im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 30.11.2015
    "Nein zu Olympia" steht beim Schanzenfest in Hamburg auf die Schanzenstraße gesprüht.
    "Nein zu Olympia" steht auf einer Straße in Hamburg (dpa / picture alliance / Bodo Marks)
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Hamburger haben entschieden. Sie wollen keine Olympischen Spiele in der Hansestadt. Auch wenn die Mehrheit für ein Nein knapp war, es war eine Mehrheit. Nach München ist in Hamburg nun zum zweiten Mal eine Volksabstimmung gegen ein sportliches Großereignis ausgegangen. Dazu können wir jetzt sprechen mit Anja Hajduk von Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied des Bundestages aus Hamburg. Schönen guten Tag.
    Anja Hajduk: Schönen guten Tag, Herr Heckmann.
    Heckmann: Frau Hajduk, Hamburg hätte harte Konkurrenten gehabt: Paris, Los Angeles und Rom. Hamburgs Chancen wären ohnehin überschaubar gewesen. Das Ganze ein bisschen viel Aufregung um nichts?
    Hajduk: Das würde ich nicht sagen, weil ich jetzt aus meiner Hamburger Perspektive - ich lebe ja schon seit über 30 Jahren in dieser Stadt - die Bewerbung gerne mit unterstützt habe, weil sie in die Stadtentwicklung Hamburgs, wenn man mal weiß, was wir da die letzten 15 Jahre für Ziele hatten, die Stadt am Wasser zu entwickeln, von innen zu entwickeln, zu dieser Zielrichtung, die es in Hamburg gegeben hat und auch weiter geben muss, hätte die olympische Bewerbung gut gepasst. Richtig ist: Man weiß nie, ob man sich hätte durchsetzen können. Aber insofern bedauere ich, dass wir jetzt schon seit gestern einen Schlussstrich haben, aber der ist demokratisch gefallen.
    Heckmann: Was ist denn aus Ihrer Sicht schief gelaufen?
    Hajduk: Ich glaube, man muss einerseits mal konstatieren, das möchte ich deswegen noch mal vorwegschicken, dass sich wirklich sehr viele Menschen beteiligt haben. Wenn ohne Wahltag 50 Prozent an der Abstimmung teilnehmen, ist das eine gute Quote, und ich glaube auch, so habe ich das selber auch erlebt, es ist viel informiert und diskutiert worden. Wenn ich so sage, was ist schief gelaufen, weil man ja auch vorher deutlich mit einer Zustimmung durchaus gerechnet hat, dann glaube ich, haben uns die letzten Wochen noch mal gezeigt, dass das Vertrauen in die internationalen Sportorganisationen und ihre Funktionärsstruktur ausgesprochen gering geworden ist, und dafür gibt es auch verständliche Gründe. Das Image und das Zutrauen in die entsprechenden Sportverbände auf der internationalen Ebene sind gering. Es gab eine ganz negative Berichterstattung rund um FIFA und andere. Ich könnte mir vorstellen, dass das durchaus eine große Rolle gespielt hat.
    "Die Spiele hätten zu unserer Stadt gepasst"
    Heckmann: Das wird sicherlich ein Faktor gewesen sein, Frau Hajduk. Aber kann es nicht sein, dass die Menschen einfach keine Lust mehr haben, dass Milliarden in sportliche Großereignisse gesteckt werden?
    Hajduk: Das ist ja damit verbunden, weil davon hängt ja ab, warum werden eigentlich so riesige Events gemacht, wie stark ist die Kommerzialisierung, wie riesig ist das Marketing. Ich glaube nämlich, dass der Sport an sich weiterhin ein sehr positives Image hat, aber dass man da jetzt auch wirklich die Lehren draus ziehen muss, dass die Unterstützung dann in der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger so nicht gegeben ist. Ich hatte den Eindruck, dass Hamburg durchaus mit einem Ansatz, Spiele zu machen, die zu unserer Stadt passen - und Hamburg ist keine Mega City; es ist eine Großstadt -, aber damit sind wir jetzt nicht durchgedrungen. Und ich glaube, da müssen jetzt alle mal die Hausaufgaben machen. Wie gesagt, diese Entscheidung ist zustande gekommen auf Basis, finde ich, einer großen Beteiligung und auch auf Basis von guter Information. Deswegen: Auch wenn ich nicht glücklich darüber bin, kann ich sie aber sehr gut respektieren und akzeptieren.
    Heckmann: Inwieweit, Frau Hajduk, spielte denn eine Rolle, dass in den letzten Monaten unkontrolliert Menschen ins Land gelassen wurden und auch Hamburg ja davon überfordert gewesen ist? Hat die Willkommenskultur-Politik der Bundeskanzlerin auch zu diesem 'Nein' beigetragen?
    Hajduk: Soweit würde ich nicht gehen. Das möchte ich auch gern begründen, weil ich durchaus den Eindruck habe, dass in unserer Stadt Hamburg es da ein doch sehr großes Engagement gibt, auch ein positives Engagement gibt, diese Aufgabe zu bewältigen. Richtig ist, dass man vielleicht auch konstatieren muss - und das ist jetzt sehr schwer, das zu interpretieren -, dass natürlich auch alle merken, wir haben auch große andere Aufgaben, die wir lösen wollen. Aber ob eine Olympiade, die neun Jahre später stattfindet, die eine mittelfristige und langfristige Perspektive auch für unsere Stadt gibt, die würde ich nicht in den Widerspruch setzen zu der großen Herausforderung, die wir unmittelbar erleben.
    "Wir dürfen bei der Stadtentwicklung Hamburgs jetzt nicht aufhören"
    Heckmann: Aber es könnte doch sein, dass viele Leute gesagt haben, Hamburg kriegt das schon mit den vielen Menschen nicht hin, die als Flüchtlinge zu uns kommen, überfordern wir uns nicht mit einem solchen Megaprojekt.
    Hajduk: Ich möchte Ihnen nur sagen, das war nicht die Stimmung, auf die ich getroffen bin. Ich bin eher auf die Stimmung getroffen, ich finde, das ist grundsätzlich zu teuer für so eine Veranstaltung, oder mein Vertrauen in die City-Host-Verträge vom IOC ist nicht gegeben. Meine Erfahrung ist, dass die Gründe für Ablehnung eher in einem anderen Bereich sind. Ich will nicht ausschließen, dass ich das jetzt alles komplett überschaue. Nur wenn Sie mich schon fragen, würde ich sagen, ist eher das Thema Finanzen, das Thema Sinnhaftigkeit solcher Sportgroßereignisse. Es ist nicht gelungen, vielleicht deutlich zu machen, dass es für uns alle in Hamburg in der Langfristperspektive für die Stadtentwicklung der richtige Schub wäre. Das haben die Menschen so nicht geteilt und das müssen wir jetzt akzeptieren.
    Heckmann: Jetzt gibt es keine verschärfte Gentrifizierung, keine Mieterhöhungen durch Olympia, keine Bauten, die später kaum mehr genutzt werden. Ist das nicht eine gute Nachricht für Hamburg?
    Hajduk: Na ja, so ganz einfach ist die Geschichte ja nicht. Natürlich wird es auch weiter große Probleme geben und wir müssen darauf achten, ob es, auch wenn es jetzt nicht um Olympia geht, Gentrifizierungsprozesse gibt, denen wir entgegenwirken müssen. Richtig und wichtig ist, dass wir bei der Stadtentwicklung für Hamburg jetzt überhaupt nicht aufhören dürfen. Da müssen wir sogar gucken, welche Ideen haben die Diskussionen rund um die Olympia-Bewerbung uns gebracht, welche können wir davon vielleicht fortsetzen. Aber wahrscheinlich müssen wir jetzt auch erst mal alle verdauen, dass diese Möglichkeit, dass jetzt mit dieser Bewerbung zu verknüpfen, nicht mehr gegeben ist. Man muss ein bisschen innerlich Abstand gewinnen, aber dann gilt es natürlich auch, an der Zukunft Hamburgs weiterzubauen.
    Hayduk: Keine erneute Diskussion um Hamburger Olympia-Bewerbung in den nächsten Jahren
    Heckmann: München hat Nein gesagt, jetzt hat Hamburg Nein gesagt. Paris, Los Angeles, Rom, die verzichten auf eine Volksabstimmung. Sollte man eigentlich von der Praxis abrücken, Volksabstimmungen über solche Mega-Ereignisse abzuhalten, weil wir die Erfahrung machen, am Ende steht immer ein Nein?
    Hajduk: Klar ist, dass erst mal von denen, die in repräsentativen Ämtern sind, wie wir gewählte Politiker, nicht so ganz einfach ist, auch mal ein bisschen von dieser Macht direkt an die Bürger zurückzugeben. Aber wenn es so funktioniert wie in Hamburg, dass sich so viele Menschen beteiligt haben an der Abstimmung, so viele Menschen mitdiskutiert haben und am Ende sich ein Urteil gebildet haben, dann, glaube ich, war das vom Verfahren her okay, auch wenn mir der Ausgang nicht ganz gefällt. Aber wie gesagt, ich habe es vorhin schon gesagt: Ich kann damit leben, weil die Basis, so wie das in Hamburg gelaufen ist, fand ich in Ordnung.
    Heckmann: Der Ausgang gefällt Ihnen nicht. Letzte Frage an Sie: Sind Sie denn dafür oder wären Sie dafür, dass Hamburg in ein paar Jahren die Pläne wieder hervorkramt?
    Hajduk: Ich glaube, das ist jetzt erst mal ein Punkt, dass wir diese Entscheidung der Hamburgerinnen und Hamburger ernst nehmen müssen. Da würde ich jetzt nicht so viel von halten, das da wieder in Kürze rauszupacken. Das glaube ich nicht.
    Heckmann: Okay. - Danke Ihnen für das Interview und für Ihre Zeit. Anja Hajduk war das von Bündnis 90/Die Grünen aus Hamburg. Schönen Dank.
    Hajduk: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.