Freitag, 19. April 2024

Archiv


Harald Schmidt. Eine Biographie

"Natürlich ist es ein Spaß, da jeden Abend eine Privatveranstaltung abzuziehen, die von SAT.1 bezahlt und übertragen wird. Ich habe mein ganzes Leben lang gequasselt. Erst zu Hause, dann im katholischen Gemeindehaus, dann auf der Bühne und jetzt vor der Kamera. Ich habe das Glück, dass meine Veranlagung im Fernsehen sehr gefragt ist." Das erzählte Schmidt dem Jugendmagazin "jetzt" der Süddeutschen Zeitung, als es dasselbe noch gab. An dieser Selbsteinschätzung fällt vor allem auf, dass es keinen Widerspruch zwischen dem privaten Harald und dem öffentlichen Schmidt gibt. Dass er so tut, als tue er auch im Fernsehen nur das, was er sowieso tue.

Peter Michalzik | 20.06.2003
    Eine offensichtlich ganz falsche Sicht der Dinge. Wenn Harald Schmidt auf etwas Wert legt, bei sich und bei seinen Mitarbeitern, dann ist das Professionalität und nicht die beiläufige Attitüde einer zufällig zum Star gewordenen Quasselstrippe, als die er sich hier selbst darstellt. Einfach ist es also sicher nicht, diesem Mann auf die Schliche zu kommen, mehr in ihm zu sehen, als er selbst darbietet.

    Trotzdem bleibt die Frage: Wer ist Harald Schmidt? Oder besser: wer könnte er sein? In Schmidts Fall gibt es - mindestens - vier Antworten. Mariam Lau versucht sich in ihrem Buch an drei von ihnen, zweimal hat sie Erfolg und zwar genau auf den Feldern, wo man es von ihr nicht erwarten würde.

    Bei der naheliegendsten und wichtigsten Antwort - Harald Schmidt ist ein Fernsehunterhalter - vergaloppiert sich die einstige Filmredakteurin der taz dagegen erstaunlicher Weise. Sie macht hier den Vergleich mit dem Vorbild aller Late Talker, dem Amerikaner David Lettermann, zur alles entscheidenden Größe. Da spürt man überdeutlich, dass Lau, lange Fan der Harald-Schmidt-Show, die aber nie direkten Kontakt zum Gegenstand ihrer Untersuchung bekommen hat, krampfhaft nach einer distanzierten, kritischen und überlegenen Haltung sucht. Seitenweise zitiert sie Lettermanns und Harald Schmidts Eingangsmonologe nach dem 11. September, bei Schmidt mit 2 Wochen Abstand gehalten. Nur um dann den Beweis zu führen, dass Schmidt hier weit unter Lettermanns und damit überhaupt unter Niveau bleibt. Lettermann, bemerkt sie, hatte Tränen in den Augen. Schmidt dagegen wirft sie sein Sekundärverhalten vor, dass er sich immer nur in einer Absatzbewegung von schon vorhandenen Stimmen positionieren könne und keine eigene Haltung zu seinem Gegenstand habe. Bei einem Ereignis wie dem 11. September aber sei eine echte und direkte Stellungnahme, wie die von Lettermann, erforderlich gewesen.

    Lau will also Authentizität. Dabei hätte eine Analyse der abgedruckten Stellungnahme Schmidts ergeben, dass er genau das bewusst zu vermeiden suchte, dass er im Namen eines Wir sprach, das sich zu blöd ist, in das allgemeine Betroffenheitsgetue mit einzustimmen, dass er sich seine Skepsis und Ironiefähigkeit nicht nehmen lassen wollte. Da stellt sich die Frage, was authentischer ist, Tränen oder Skepsis, Pathos oder Ironie? Wofür man sich entscheidet, ist wahrscheinlich Geschmackssache. Aber Menschlichkeit von einem Produkt zu verlangen, Betroffenheit von einem Meta-Phänomen, das zeigt, dass Lau von Schmidt etwas erwartet, was von ihm sicher nicht zu haben ist. Es ist so, wie wenn man "ran" vorwerfen würde, dass man hinterher nicht so erschöpft ist wie die Fußballspieler.

    Laus Urteil scheint durch eine Abneigung gegen die Deutschen, die sich durch das ganze Buch zieht, bedingt zu sein. Immer wieder blitzt durch die Zeilen eines Buches, das sich Biographie nennt, die Philippika gegen die verklemmten Deutschen. Deutsche, die nichts besseres zu tun haben, ihre anale Fixierung auf sich selbst in immer neuen Bezugnahmen auf Hitler, der am Anfang von allem stehen soll, zu reinszenieren. Der deutsche Film zum Beispiel, insbesondere die deutsche Komödie, wird bei Lau samt und sonders abgekanzelt, wo es doch nur darum gegangen wäre, Harald Schmidts Rolle in Helmut Dietls "Late Show" darzustellen. Lau steht vor dem deutschen Film wie eine Domina, die verklemmten Zelluloidhengsten zeigt, wo es lang geht.

    Da drängt sich ein weiterer Verdacht auf: Lau hat in Schmidt eine Zeit lang die Rettung der Deutschen vor sich selbst erblicken wollen. Damit steht sie nicht allein, möglicherweise ist genau das der Kern des enormen Erfolgs von Harald Schmidt, der vor ein paar Jahren zur Lichtgestalt zwischen Quote und Feuilleton avanciert ist. Nur wo einmal geglaubt worden ist, kann man so wie Mariam Lau enttäuscht sein.

    Die zweite Antwort auf die Frage, wer ist Harald Schmidt, lautet: Schmidt macht eigentlich immer Kabarett, egal ob er in der Schule, im Theater, im Düsseldorfer Kom(m)ödchen oder Fernsehstudio auf der Bühne steht. Er setzt die Tradition des deutschen Kabaretts in zeitgemäßer Form fort. Wie Lau von diesem Standpunkt aus Schmidt in die deutsche Humorproduktion der vergangenen Jahrzehnte einordnet, hat etwas höchst Souveränes und erstaunlich Kenntnisreiches. Immer wieder kommt sie dabei auf Wolfgang Neuss zu sprechen, den sie persönlich anscheinend gut kannte. Vielleicht ist hier die Schmidt-Biographie eine verkappte Neuss-Biographie, egal, diese Passagen lohnen die Lektüre unbedingt. Lau erklärt aus sozialen Bewegungen und gesellschaftlichen Geschmacksurteilen, wie es zu dem Harald Schmidt kommen konnte, der es schafft, sowohl Intellektuelle als auch das gemeine Fernsehvolk zu begeistern. Das ist ein Rätsel, das man nicht lösen, aber erzählen kann, und genau das tut Lau.

    Die dritte Antwort ist die trickreichste: Harald Schmidt ist immer der schwäbische Junge geblieben, der den Traum träumte, im deutschen Stadttheater eine große Nummer zu werden, der durch Claus Peymann, der damals Intendant am Stuttgarter Staatstheater war, geprägt wurde. Das deutsche Stadttheater verband den Glaube an eine aufgeklärte bürgerliche Moral, die Überzeugung politisch wirken zu müssen, den Bildungseifer, den Spaß an der Provokation und Verarschung, und die Möglichkeit der Erfüllung aller Größenphantasien auf ideale Weise. Es war der ideale Nenner all dessen, was Schmidt liebte und ablehnte. Das Fernsehen wäre nur ein Umweg zur Bühne. Als Schmidt vor zwei Jahren im Zenit seiner Karriere stand, hatte er nichts besseres zu tun, als sich ins Ensemble des Bochumer Theaters engagieren zu lassen und dort eine Rolle zu spielen, die wie ein Exerzitium für seine allabendliche Hybris im Fernsehen aussah: Pozzo in Becketts "Warten auf Godot", eine geknechtete Figur mit einem Strick um den Hals. Den Bogen aus der schwäbischen Kleinstadt Nürtingen, wo Schmidt geboren wurde und wo sich seine Theaterleidenschaft ausbildete, in die Welt des Stadttheaters, den schlägt Lau sehr schön.

    Die vierte Antwort verweigert Lau dagegen schlicht. Diese Antwort steckt als Erwartung in jeder Biographie, es ist die Frage, wer ist denn Harald Schmidt eigentlich, jenseits der öffentlichen Figur, als Mensch. Schmidt verbirgt sein Privatleben geschickt und konsequent, auch Lau bekam keinerlei Einblick. So bleiben viele Fragen offen: Warum eigentlich geriert Schmidt sich seit einiger Zeit als Wirtschaftsexperte? Meint er da wirklich Ahnung zu haben? Ist er nun ein Frauenhasser oder nicht? Was eigentlich denkt er über seine endlos langen Finger? Ist er wirklich ein solcher Familienmensch, wie manche Äußerung von ihm nahe legt? Biographien brauchen ein Stück Indiskretion, sonst verfehlen sie ihren Gegenstand.

    Stilistisch ist Lau ihrem Gegenstand, und das ist bei Harald Schmidt nicht hoch genug einzuschätzen, durchweg gewachsen. Das Buch ist voller Schwung und trotzdem reflektiert, es hält so die Höhe seines Gegenstandes - auch wenn es sich zuweilen in einiger Entfernung von ihm bewegt.