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Harte Realität statt Glanz und Glamour
Eine Filmschule im Land der Camorra

Chaos, Korruption und die Camorra prägen den Süden Italiens, vor allem rund um Neapel. Ausgerechnet hier gründeten 2014 der Filmemacher Leonardo Di Costanzo und seine Kollegen die Filmschule FILMaP, die statt Glanz und Glamour auf Reportagen setzt. Das Ziel: Soziale Missstände wiedergeben und anklagen.

Von Thomas Migge | 04.06.2017
    Italienische Polizisten stehen vor einem Gebäude.
    Chaos, Korruption und Camorra prägen Süditalien. Und ausgerechnet da hat sich mit FILMaP eine der jüngsten Filmschulen des Landes angesiedelt. (De Martino/Frattari)
    Nein, Filmprojekte wie die Serie "Gomorrha" will man nicht fördern. An Spannung dieser Art ist man nicht interessiert.
    Gefördert und produziert werden hingegen Reportagen. Wie "Come vedere un grande silenzio" der jungen Filmemacherin Margherita Panizon, zu deutsch "Ein großes Schweigen sehen". Panizon beschreibt das Schicksal von Luigi aus Neapel. Eines Blinden in einer Stadt, in der es so gut wie keine Sozialeinrichtungen für Sehbehinderte gibt.
    Margherita Panizon entwickelte ihre Reportage am FILMaP. Das ist eine Filmschule für Reportagen, erklärt der italienische Filmemacher Leonardo Di Costanzo. Eine Filmaschule am, Zitat, "Ende der Welt", in einer herunter gekommenen und von Camorraclans dominierten Kleinstadt im Nordosten Neapels, in Ponticelli:
    "Wir helfen hier jungen Leuten, Geschichte zu erzählen, die ihnen auf den Nägeln brennen. Wir helfen ihnen dabei, die Mittel und Wege zu finden, diese Geschichten zu realisieren."
    Ken Loach und Mario Martone unterrichten hier
    Der Filmemacher Leonardo Di Costanzo hat FILMaP im Jahr 2014 gegründet. Zusammen mit privaten und auch öffentlich unterstützten Filmförderungsinstituten - seit kurzem auch mit der einflussreichen Stiftung Fondazione CON IL SUD, die Kulturprojekte im gesamten kulturell benachteiligten Süditalien unterstützt. Ausgebildet werden junge Leute zwischen 18 und 32 Jahren. Leonardo di Costanzo:
    "In dem allgemeinen Chaos, das uns hier umgibt, mit Mafia, Korruption etc., helfen wir diesem Nachwuchs dabei, in Form von Reportagen Probleme und Realitäten zu thematisieren, auf den Punkt zu bringen. FILMaP geht deshalb auch in Schulen, um junge Menschen für die Ausdrucksform des Films zu begeistern."
    Studierende und Lehrende haben sich in einem alten Gut eingerichtet. Mit Aulen, Unterrichtsräumen und Studios. Hier unterrichten immer wieder auch Film- und Theaterregisseure wie etwa der britische und auf kritische Sozialthemen spezialisierte Regisseur Ken Loach und der ebenso sozialkritische Mario Martone. Der Filmemacher Alessandro Rossetto koordiniert den Lehrplan:
    "Unsere Schüler sind überdurchschnittlich jung. Das bedeutet, dass man mit viel Enthusiasmus an die Arbeit geht. Wir tun alles, damit sie stilistisch nicht angepasst werden, sondern in ihren Reportagen umsetzen, was ihnen am Herzen liegt."
    Da die meisten Schüler aus Süditalien kommen, spiegelt sich das auch in ihren Reportagen: die organisierte Kriminalität, Jugendarbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung, der Mangel staatlicher Sozialstrukturen für kranke und alte Menschen.
    Der Realität ein cineastisches Gesicht geben
    FILMaP ist die einzige cineastische Schule Süditaliens. Roberto Dalascio von der Vereinigung ArciMuvi aus Neapel, die an der Schule beteiligt ist:
    "Talentierte junge Leute erhalten hier auch die Möglichkeit, in einer Region, in der die Jugendarbeitslosigkeit bei über 40 Prozent liegt, den Sprung in eine Form von Berufsleben zu schaffen."
    Den Organisatoren der Filmschule in Ponticelli geht es nicht primär um die Bekämpfung der einflussreichen Mafia - qua Reportagen. Das sei auch gar nicht möglich, heißt es. Ziel der Filmschule sei es aber soziale, also auch kriminelle Missstände wiederzugeben und somit anzuklagen. In der vagen Hoffnung, dass jede Reportage auch Aufklärungsarbeit leistet. Der junge Regisseur Stefano Brandelli:
    "Anstelle der Fiktion, die eine Realität nachstellt, ist es doch viel spannender, die Realität selbst zu Wort kommen zu lassen. Eine Realität, die keinen knackigen Soundtrack und kein flottes Storyboard braucht, weil sie von sich aus schon erschreckend genug ist."