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Harter Konkurrenzkampf zwischen den konservativen Lagern

Katajun Amirpur sagt, dass die beiden Lager im Iran, die Anhänger von Präsident Ahmadinedschad und die des Revolutionsführers Khamenei sich nur in einer Sache einig sind - im Hass auf die Reformer. Die Journalistin erwartet für die kommenden Wochen einen spannenden Machtkampf.

Katajun Amirpur im Gespräch mit Gerd Breker | 02.03.2012
    Gerd Breker: Im Iran wird heute ein neues Parlament gewählt. Gut 48 Millionen Bürger sind zur Stimmabgabe aufgerufen, um die 290 Mandate bewerben sich mehr als 3.400 Kandidaten. Doch mehr als 2.200 wurden gar nicht erst zugelassen. Die wichtigsten Reformparteien haben zum Boykott der Abstimmung aufgerufen, ihre Führer stehen unter Hausarrest. Die Wahl gilt als Kräftemessen zwischen dem Lager von Präsident Ahmadinedschad und dem konservativen Klerus um das geistliche Oberhaupt Ayatollah Khamenei.
    Am Telefon sind wir nun mit der deutsch-iranischen Journalistin und Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur verbunden. Guten Tag, Frau Amirpur.

    Katajun Amirpur: Guten Tag!

    Breker: Die Iraner haben also heute die Wahl. Aber zwischen was haben sie eigentlich die Wahl? Zwischen Pest und Cholera, so wie das eben anklang?

    Amirpur: Nun, das könnte man so sehen. Eine wirkliche Wahl haben sie natürlich nicht. Die Reformer haben ja aufgerufen zum Wahlboykott. Alle Leute, die so ein bisschen nach Reformen rochen und die dann doch sich haben aufstellen lassen, sind ausgesiebt worden vom konservativ orientierten Wächterrat. Insofern gibt es keine wirkliche Wahl. Aber trotzdem würde ich nicht sagen, dass diese Wahl unspannend ist. Zum einen wird es wenig Menschen geben, die wählen gehen. Vielleicht, wenn die Ergebnisse nicht getürkt werden, lässt sich über die Wahlbeteiligung dann doch noch einiges an Rückschlüssen ziehen über die Legitimation dieses Regimes in der Bevölkerung, die sehr gering ist. Und zum anderen haben wir ja eben schon gehört: Es wird zwei Lager geben, die dann im Parlament aufeinandertreffen. Wahrscheinlich werden es die Anhänger sein von Ahmadinedschad, die dort sitzen werden, und die Anhänger von Khamenei, und das sind zwei Lager, die sich eigentlich nur in einem einig sind, nämlich in ihrem Hass auf die Reformer. Und dann kann es schon noch sehr, sehr spannend werden, wie das in den nächsten Wochen und Monaten abläuft zwischen den beiden im Parlament. Die Anhänger von Khamenei haben schon angekündigt, dass am 8. März Ahmadinedschad sich vor dem Parlament wird verantworten müssen, ihm werden eine ganze Reihe von Dingen vorgeworfen, und es könnte tatsächlich am Ende dieser Sitzung am 8. März stehen, dass er des Amtes enthoben wird. Das ist im Rahmen der Verfassung möglich. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, aber was wir sehen werden in den nächsten Monaten, ist schon ein sehr harter Konkurrenzkampf zwischen diesen beiden Lagern, und so könnte es dann sein, dass am Ende die Reformer durchaus als lachende Dritte aus diesem Rennen hervorgehen.

    Breker: Inwieweit dieses? Das müssen Sie uns erklären. Was würde das bedeuten, wenn Khamenei, also das konservative Kleruslager, wenn das obsiegen würde?

    Amirpur: Es ist im Moment ja eher ein Kampf im Gange zwischen diesen beiden konservativen Lagern im Iran. Khamenei stand ja lange hinter Ahmadinedschad. Als es um die Wahl ging 2009 im Sommer, von der viele gesagt haben, sie sei gefälscht worden, hat Khamenei sich ganz eindeutig hinter oder vor Ahmadinedschad gestellt und gesagt, das ist mein Mann, ich erkenne diese Wahl an, er soll Präsident werden und bleiben. Aber Ahmadinedschad hat es ihm nicht gedankt. Ahmadinedschad ist relativ aufmüpfig geworden in den letzten Monaten. Er ist sogar hingegangen und hat gesagt, dass er selber, also Ahmadinedschad, einen direkten Draht habe zum 12. Imam. Der 12. Imam, an dessen Stelle regiert in der iranischen Theokratie Ali Khamenei. Also was Ahmadinedschad gesagt hat, war eigentlich, Khamenei, wir brauchen dich nicht mehr, wir brauchen im Prinzip diese ganze Theokratie nicht mehr, weil er selber genau das ausfüllen könnte. Und das hat sich Khamenei natürlich nicht gefallen lassen. Khamenei ist dann hingegangen und hat gesagt, eigentlich brauchen wir gar keinen Präsidentenamt mehr in diesem Land, man könnte das auch umwandeln in ein parlamentarisches System. Und so haben wir in den letzten Monaten eigentlich gesehen, dass sich diese beiden Männer, diese beiden Pole immer stärker im Wettstreit miteinander befinden, und das öffnet dann natürlich eine Perspektive durchaus auch für die Reform. Bisher hat man sich gegen die Reformer verbündet und jetzt wird man in Zukunft alleine dasitzen in diesem Parlament, und dann kommen die ganzen Schwierigkeiten, Unterschiede, Konkurrenzen, die zwischen den beiden Lagern stehen, natürlich viel, viel stärker zum Ausdruck.

    Breker: Man fragt sich ja, Frau Amirpur, wo denn eigentlich die grüne Opposition geblieben ist. Es gab ja mal, von der Jugend getragen vor allen Dingen, so eine Art "Grüne Revolution" im Iran. Das ist völlig erstickt?

    Amirpur: Ich glaube nicht, dass es völlig erstickt ist, aber diese Oppositionsbewegung hat natürlich mit immensen Schwierigkeiten zu kämpfen. Zum einen sind Mussawi und Karrubi, die beiden politischen Leitfiguren dieser Bewegung, wenn man das so nennen möchte, seit über einem Jahr im Hausarrest, sie haben keinerlei Möglichkeit mehr, mit ihren Anhängern zu kommunizieren, nur noch sehr, sehr begrenzt. Und sobald es denn auch nur zu leisen Unmutsäußerungen kommt, oder sobald dann mal zu einer Demonstration aufgerufen wird, ist das Regime so sehr alarmiert, dass Großstädte weiträumig abgeriegelt werden von Milizionären, sodass tatsächlich überhaupt keinerlei Demonstration und Protestkundgebung zustande kommen kann. Aber man hört immer wieder davon, dass es eine sehr große kritische Macht gibt und dass diese sehr wohl, wenn sie denn könnte, zu Demonstrationen schreiten würde, und offensichtlich ist das auch etwas, wovor das Regime sehr große Angst hat, denn sonst wäre es ja eigentlich unnötig, a) Demonstrationen zu verbieten und b) vor allem bei den leisesten Andeutungen, dass es zu einer Demonstration kommen könnte, so massiv mit Polizeigewalt und Militärgewalt da reinzugehen, um das zu verhindern. An der Reaktion des Regimes sieht man ja, welche kritische Masse da offensichtlich vorhanden ist, und so wie sich die wirtschaftliche und politische Lage entwickelt hat in den letzten Wochen, hat das Regime eigentlich allen Grund zur Sorge.

    Breker: Um das noch mal klarzustellen, Frau Amirpur. Man redet im Westen immer noch vom Mullahregime. Das ist es aber gar nicht mehr, es ist mehr eine Militärdiktatur, die da herrscht?

    Amirpur: Im Prinzip ist es eine Militärdiktatur. Das Präsidentenamt wird ja nun gar nicht von einem Mullah ausgeübt und sehr viele Mullahs sind gerade aufseiten der Opposition. Mehdi Karrubi, einer der Oppositionsführer, ist Geistlicher, es gibt andere ganz ranghohe Geistliche, die aufseiten der Opposition sind, und insofern kann man kaum mehr davon sprechen, dass Iran eine Theokratie ist, was es in der Selbstbeschreibung natürlich immer noch ist, sondern man sagt, die eigentliche Macht liegt schon längst gar nicht mehr bei den Klerikern, sondern viel eher in Händen der Revolutionswächter, und insofern ist die Beschreibung Militärdiktatur wahrscheinlich durchaus angemessen.

    Breker: Sie haben es eben kurz angedeutet: Der Westen sanktioniert ja wegen des iranischen Atomprogramms das Land. Wer leidet da eigentlich mehr drunter, die Mitglieder des Regimes oder das einfache Volk? Was bedeuten die Sanktionen für die Menschen im Iran?

    Amirpur: Sie bedeuten ganz massive Arbeitslosigkeit im Moment, Grundnahrungsmittel werden knapp, Iran ist nicht mehr in der Lage, seinen Reis zu bezahlen, ein Grundnahrungsmittel in Iran, es gibt massive Engpässe bei Medikamenten, nicht mal mehr Öl ist kaufbar in Iran, also es leidet ganz, ganz entschieden die Bevölkerung. Ich glaube, die Schergen des Regimes kommen immer noch an all das, was sie brauchen, aber die Sanktionen treffen ganz stark die Bevölkerung. Das ist völlig eindeutig und das kann man auch nicht beschönigen. Man kann auch nicht sagen, es gibt gezielte Sanktionen, die nur diese eine Kaste betreffen, das ist nicht der Fall. Man hört sehr viele Berichte darüber, wie massiv das wirkt. Der Rial ist so gut wie gar nichts mehr wert gegenüber dem Dollar, die Währung verfällt, die Inflation ist riesig, die Arbeitslosigkeit ist riesig.

    Breker: Vor allem in Israel wird über einen Militärschlag gegen das iranische Atomprogramm nachgedacht. Was würde das bedeuten, welche Folgen hätte das?

    Amirpur: Nun, es hätte natürlich auch neben allen anderen Folgen, die es hat, denn Iran wird sich das so einfach nicht gefallen lassen. Zum einen, glaube ich, sind sich fast alle Militärstrategen darin einig, dass man das iranische Atomprogramm, wenn es das denn gibt, Atomwaffenprogramm, dass man das nicht komplett stoppen kann. Man könnte es höchstens um einige Zeit verzögern. Aber nach einem solchen Angriff hat Iran und würde das Regime natürlich noch viel mehr Argumente auf seiner Seite haben zu sagen, wir wollen die Atombombe unbedingt haben, denn schließlich müssen wir uns verteidigen. So wird das dem Volk gegenüber verkauft werden. Dann wird natürlich Iran sich nicht davon abhalten lassen, irgendwelche Gegenangriffe und Racheakte zu unternehmen, also auch das wird spürbar sein. Und ein anderer Effekt wird natürlich sein, dass die Oppositionsbewegung dann erst recht mundtot gemacht wird. Schon jetzt wird jede leise Kritik mit dem Hinweis darauf, man würde dem Feind in die Hände spielen, man unterwandere Iran, man sei die fünfte Kolonne des Feindes, abgeschmettert. Aber wenn es tatsächlich zu einem Angriff kommt, wird das auch ganz starke Auswirkungen auf die Oppositionsbewegung haben und es wird natürlich auch dazu führen, dass sich die Menschen erst mal hinter dem Regime zusammenscharen. Dann wird es wahrscheinlich erst mal eine breite Front der Ablehnung gegenüber dem Westen geben, was ja auch ein relativ natürlicher Prozess ist. Wenn man angegriffen wird von außen, wird man sich im Inneren erst mal zusammenrotten.

    Breker: Wahltag im Iran - wir sprachen mit der deutsch-iranischen Journalistin und Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur. Frau Amirpur, danke für dieses Gespräch.

    Amirpur: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.