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Hartz IV im Selbstversuch

Alle diskutieren über Hartz IV: Ob man von dem Arbeitslosengeld-II-Satz leben könne. Ob der Betrag nicht unsozial sei. Ob man persönlich damit auskäme. Schluss mit dem Palaver – wir testen das mal selber aus! Das sagten sich nun 13 Studierende der Sozialwissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität. Die Teilnehmer eines Seminars über Arbeitsmarktpolitik versuchten einen Monat lang, genau so wie Hartz-IV-Empfänger zu wirtschaften.

Von Jens P. Rosbach | 08.12.2005
    "Jeder, der sich mit Reformen auf dem Arbeitsmarkt irgendwie auseinandersetzt, sollte auf jeden Fall mal erlebt haben, wie es ist, mit 345 Euro zu leben, dass man auch weiß, was die Einschnitte wirklich bedeuten."

    "Weil sonst diskutiert man eben in die graue Theorie hinein und sagt, naja gut, da lebt halt jemand von noch weniger Geld und dafür finde ich es halt wichtig, dass man da mal weiß, was bedeutet das dann. "

    Jan Nestlinger und Sarah Schlote wollten es genau wissen. Vier Wochen lang haben sie -zusammen mit Norman Ludwig und Sebastian Scharch - wie Hartz-IV-Empfänger gelebt, gespart und: geschimpft.

    "Ich habe zum Beispiel darauf verzichtet, gutes Fleisch einzukaufen und bin stattdessen jetzt zum Discounter gegangen und habe dann dort aus der Tiefkühltruhe was genommen. "

    "Ich hab ein sehr kostenintensives Hobby, also ich fotografiere gern und hab da ein, zwei Sachen bei Ebay ersteigert, also paar Diarahmen und ein Gerät dafür – das hat sich so zu Buch geschlagen, dass ich mir in diesem Monat nicht mal eine Hose leisten konnte. Also alle meine Hosen haben Löcher und ich brauch jetzt wirklich ne Hose unbedingt und vielleicht einen warmen Pullover für den Winter – es ging nicht! "

    Die Testpersonen führten jeden Tag akribisch Buch, sie durften maximal den westdeutschen ALG-II-Satz ausgeben: 345 Euro im Monat plus Warmmiete. Und dieser Geiz war gar nicht geil.

    "Also die Einschränkung war ganz klar im kulturellen Bereich. Also ich musste mehrfach Freunden absagen, konnte jetzt nicht irgendwie weggehen."

    Ich wurde auch einmal eingeladen zum Essen und einmal auch auf ein Bier, weil ich gesagt hab, okay, ich hätte Lust, mitzukommen, aber ich kann mir einfach nicht leisten. Und dann haben die Leute gesagt: Wir wollen aber schon, dass du mitkommst, deswegen bezahlen wir dir das jetzt. Aber ich kann`s mir einfach nicht vorstellen, wenn es jetzt lange Arbeitslosigkeit auch noch gerade ist, dass die Leute da sagen: Ach so, Sarah laden wir aufn Bier ein.

    "Und da denke ich ist das Problem, dass also langfristig - für den Monat war das okay – aber langfristig würden auf jeden Fall massiv Kontakte weg brechen, das ist glaub ich die letztendliche Folge. "

    Sarah Schlote war bereits gestern pleite, obwohl der Sparmonat erst morgen endet. Nun ist sie sich nicht mehr sicher, ob sie das Projekt wirklich bis zur letzten Minute durchzieht.

    "War halt einkaufen, dass heißt ich hab halt ausreichend Brot und Käse zu Hause, muss ich halt (lacht) mir morgen fünf Schnitten Brot mit in die Uni nehmen – und müsste mich dann halt von Käsebrot am Donnerstag und Freitag ernähren, aber das wär` schon ganz schön hart. "

    Die Studentin hat normalerweise monatlich fast 600 Euro zur Verfügung – vor allem wegen ihres Nebenjobs. Und ihr WG-Zimmer ist billig. Hartz IV war für sie deshalb ein echter Rückschlag. Jan Nestlinger hatte dagegen keine großen Sparprobleme.

    "Als Student hab ich jetzt auch nicht viel mehr Geld als diesen Hartz-Satz im Monat, also zirka 400 Euro neben der Miete – also ich muss auch relativ reduziert leben, ich kauf auch nur bei Discountern eigentlich ein, weil ich halt schon vom relativ geringen Level komme. "

    Ähnlich die Erfahrung anderer Testpersonen. Norman Ludwig stellte aber fest, dass man selbst als "armer Student" noch viele Vergünstigungen hat, die Arbeitslose nicht bekommen. Wie Kino-, Zeitungs- und Mensarabatt sowie das Semesterticket.

    "Und dann hat man halt den Rückhalt durch die Eltern, die halt jederzeit was dazuschießen können, wenn man in der Notlage ist. Also wenn mein Kühlschrank kaputt geht, dann sagen meine Eltern, okay, dann bezahlen wir den. Und wenn das einem Hartz-IV-Empfänger passiert, der kann nicht zum Arbeitsamt gehen, die kriegen keine Kühlschränke mehr bezahlt."

    Die Studierenden sind sich nicht einig, ob man nun von der Politik eine Erhöhung des Hartz-IV-Satzes fordern soll. Die einen sind dafür, die anderen meinen, mehr – bargeldlose - Rabatte würden ausreichen. Auf jeden Fall wollen die Sozialwissenschaftsstudenten weiter forschen. Demnächst treffen sie sich mit richtigen Arbeitslosen.

    "Ich denke, dass die Erfahrungsberichte von Menschen, die schon länger von Arbeitslosengeld II leben, noch deutlich drastischer ausfallen würden, als was wir geschildert haben."