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Hartz-IV-Sanktionen für Jugendliche
"Aus juristischer Sicht ist das ein Diskriminierungstatbestand"

Jüngeren Hartz-IV-Beziehern schärfere Sanktionen aufzuerlegen, als älteren, sei juristisch problematisch, sagte Arbeitsmarktexperte Hilmar Schneider im Dlf. Käme es zu einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, würde die Regierung eine Niederlage erleben. "Die Regierung ist gut beraten, auf Andrea Nahles zu hören."

Hilmar Schneider im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 21.08.2018
    Hilmar Schneider, Direktor Arbeitsmarktpolitik, Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA)
    Mit ihrem Vorstoß habe Nahles eine Diskussion darüber ausgelöst, ob die Sanktionen generell abgeschafft werden sollten, so Hilmar Schneider vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (dpa / picture alliance / Jens Kalaene)
    Dirk-Oliver Heckmann: Mitgehört hat Professor Hilmar Schneider, Vorsitzender der Geschäftsführung des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit, Arbeitsmarktexperte. Schönen guten Morgen, Herr Schneider.
    Hilmar Schneider: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Wir wollen ein bisschen das Thema Hartz IV vertiefen. Erst mal grundsätzlich gefragt: Welche Sanktionen drohen denn Hartz-IV-Beziehern in welchem Fall?
    Schneider: Es gibt zum Beispiel die Sanktion, dass man, wenn man nicht rechtzeitig seine Arbeitslosigkeit meldet, dass das dann zu einer befristeten Absenkung führt, oder aber, wenn man bei einem vereinbarten Termin nicht erscheint, oder wenn man bestimmte Unterlagen nicht rechtzeitig beibringt. Das alles kann Anlass sein, wo die Jobcenter dann entsprechende Kürzungen verhängen können.
    Heckmann: Wobei Hartz-IV-Beziehern, die unter 25 Jahre alt sind, schärfere Sanktionen drohen beziehungsweise schon früher. Inwiefern?
    Schneider: Das ist schon seit 2007 so. Das ist im Zuge der damaligen Arbeitsmarktreform eingeführt worden. Bei Jugendlichen – Jugendliche sind das ja nicht mehr, aber junge Erwachsene -, da greift man einfach härter zu. Beispielsweise wenn die bei einem Termin nicht erscheinen, dann wird sofort eine Kürzung verhängt, während man bei Älteren da ein bisschen moderater vorgeht.
    Heckmann: Halten Sie das für sinnvoll?
    Schneider: Die Frage, ob Sanktionen sinnvoll sind, hängt von der Frage ab, ob die Regeln, die es da gibt, sinnvoll sind. Wenn es Regeln gibt, dann muss man sie auch einhalten. Beim Fußball macht es ja auch keinen Sinn, Abseitsregeln zu formulieren, wenn sie dann nicht sanktioniert werden beim Verstoß. Aber es ist in der Tat so, dass wenn man das Alterskriterium zum Maßstab macht, wie man die Menschen behandelt, dann handelt man sich auf jeden Fall juristische Probleme ein, weil aus juristischer Sicht ist das ganz klar ein Diskriminierungstatbestand. Und da ja auch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht droht, ist die Regierung eigentlich gut beraten, diese Altersunterscheidung da aufzuheben.
    Heckmann: Das heißt, das war ein Fehler aus Ihrer Sicht?
    Schneider: Zumindest wenn man juristische Maßstäbe anlegt. Ob das jetzt bei Jugendlichen sinnvoll ist oder nicht, dazu gibt es interessanterweise gar keine wissenschaftlichen Untersuchungen. Das ist damals wohl aus der Erfahrung von Praktikern so entschieden worden, aber bis heute weiß man nicht, ob Sanktionen bei Jugendlichen einen stärkeren Effekt haben als bei Älteren. Ob sie bei Jugendlichen überhaupt eher gerechtfertigt sind als bei Älteren, darüber gibt es keine Untersuchungen.
    "Die Regierung ist gut beraten, auf Andrea Nahles zu hören"
    Heckmann: Was denken Sie denn? Welche Folgen hätte es denn, wenn sich Andrea Nahles mit ihrem Vorschlag durchsetzen würde?
    Schneider: Das Interessante ist ja, dass sie mit ihrem Vorstoß eine Diskussion darüber ausgelöst hat, ob die Sanktionen generell abgeschafft werden sollten, oder ob Hartz IV abgeschafft werden sollte. Aber wenn man es genau sich anschaut, muss man sagen, leistet sie eigentlich einen Beitrag, um die Regierung vor einer Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht zu schützen. Die Regierung ist eigentlich gut beraten, auf Andrea Nahles zu hören. Allerdings ist die Diskussion über Hartz IV als solche natürlich eine, die der SPD aus dem Herzen spricht, und das Problem wird sein, dass man jetzt im Augenblick die Diskussion über Hartz IV verknüpft mit einer Diskussion über die Frage, sollte man die Altersdiskriminierung oder die Altersunterscheidung hier aufheben.
    Andrea Nahles selber will die Altersunterscheidung zwar aufheben, aber nicht die Sanktionen, und das gilt übrigens auch für viele andere SPD-Mitglieder. Und die große Gefahr ist, wenn man das jetzt einfach so treiben lässt und wartet, bis das Bundesverfassungsgericht darüber entscheidet, dann handelt sich die Regierung eine ziemliche Niederlage ein.
    Heckmann: … könnte ein geschickter Schachzug sein von Andrea Nahles, weil sie hinterher sagen kann, ich habe es doch auch gefordert.
    Schneider: Genau.
    Heckmann: Ein Argument, was sie auch benutzt, ist ja, dass junge Leute unter 25 Jahre, wenn denen erst mal die Bezüge gestrichen werden, dann kommt man nicht mehr an die ran. Ist da was dran aus Ihrer Sicht?
    Schneider: Ja und nein. Es ist für Außenstehende schwer nachvollziehbar, aber man weiß im Grunde gar nicht, was aus diesen Jugendlichen wird. Die fallen dann einfach aus der Statistik raus, jedenfalls manche, nicht alle. Man muss ja auch sagen, bei einigen Jugendlichen hilft die Sanktion ja auch. Die finden tatsächlich dann schneller einen Job oder bemühen sich dann stärker. Aber es gibt eine Reihe von Jugendlichen, die dann nicht mehr erscheinen. Da kann man jetzt der Ansicht sein, die landen auf der Straße oder in der Obdachlosigkeit. Das gibt es sicher auch in dem einen oder anderen Fall.
    Aber bei vielen anderen Jugendlichen wird es vermutlich so sein, dass sie dann einfach sich dazu entscheiden, noch mal eine Schulausbildung zu machen oder so was, und das führt dann dazu, dass sie in der Statistik nicht auftauchen. Das heißt, in der Arbeitsverwaltung oder auch bei der Sozialversicherung weiß man zwar nicht, wo die sind. Das heißt aber nicht in allen Fällen, dass die jetzt verloren gehen, sondern da kann es durchaus auch sein, dass die Sanktion dazu geführt hat, dass sich die Jugendlichen dann noch mal einen Ruck geben und sich überlegen, dass sie vielleicht noch mal einen Realschulabschluss nachholen oder so etwas.
    Heckmann: Da gibt es noch viele offene Fragen, wie diese Sanktionen überhaupt wirken. Sie sagten gerade schon selber, das wird wissenschaftlich gar nicht untersucht, derzeit jedenfalls, Herr Schneider. Trotzdem mal grundsätzlich gefragt: Die SPD, die leidet ja immer noch an dem Image der sozial kalten Partei, weil sie Hartz IV eingeführt hat. War der Schritt trotzdem richtig aus Ihrer Sicht?
    Schneider: Wenn man das an den Effekten bemisst, wahrscheinlich ja.
    "Es hilft, wenn Menschen hier strikter angefasst werden"
    Heckmann: An den wirtschaftlichen Effekten zumindest?
    Schneider: Genau. Aus ökonomischer Sicht kann man sagen, dass alle Untersuchungen, die sich mit der Frage beschäftigen, hilft ein strikteres Monitoring, hilft eine stärkere Verbindlichkeit bei den Zielvereinbarungen, dann lautet die Antwort: Ja. Alles was wir aus den wissenschaftlichen Untersuchungen zu dem Thema wissen, sagt: Es hilft, wenn Menschen hier strikter angefasst werden, weil dieses Laissez-faire führt häufig dazu, dass Ansprüche geltend gemacht werden, ohne dass der Bedarf tatsächlich da ist.
    Heckmann: Ganz kurz noch. Sehen Sie trotzdem Korrekturbedarf?
    Schneider: Bei der Altersunterscheidung ist es ganz klar so: Die ist nicht haltbar. Ansonsten, wenn man wirklich etwas wissen wollte, dann sollte man sich auch mal anschauen, ob es denn überhaupt sachliche Gründe gibt dafür, unterschiedliche Gruppen unterschiedlich zu behandeln. Wahrscheinlich wird man da auch finden, dass da kein großer Unterschied ist. Und über die langfristigen Effekte wissen wir auch relativ wenig. Junge Menschen beispielsweise werden dann zwar schneller wieder in einen Job gebracht, aber ob das sich langfristig für sie auszahlt, auch darüber weiß man im Grunde wenig und da sollte die Regierung meines Erachtens auch tatsächlich mal echte Anstrengungen unternehmen, dass wir darüber etwas erfahren. Man sollte nicht immer so Arbeitsmarktpolitik im Blindflug machen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.