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Haruki Murakami: "Von Beruf Schriftsteller"
Ein scheuer Erfolgsautor gibt Tipps für angehende Schriftsteller

Haruki Murakami hat ein Buch über das Schreiben verfasst. In den elf Kapiteln beantwortet der Bestseller-Autor Fragen rund um Themenfindung Originalität, Figurengestaltung und Motivation. Allerdings zeichnet er kein sonderlich schmeichelhaftes Bild seines Berufstandes.

Von Maik Brüggemeyer | 09.01.2017
    Der japanische Schriftsteller Haruki Murakami in Barcelona, anlässlich der Verleihung des 23. Catalunya International Awards, aufgenommen am 8.6.2011.
    Der japanische Schriftsteller Haruki Murakami in Barcelona, anlässlich der Verleihung des 23. Catalunya International Awards. (picture alliance / dpa )
    Das Werk von Haruki Murakami wurde in 50 Sprachen übersetzt und erreichte Millionenauflagen. Der Japaner ist einer der weltweit bekanntesten Autoren. Und doch wissen wir nur wenig über ihn. Er meidet öffentliche Auftritte und gibt ungern Einblicke in sein Privatleben. Eine Ausnahme macht er, wenn es um seine Leidenschaften geht: das Laufen und das Schreiben. "Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede" erschien 2007 in Japan und in unterschiedlichen Übersetzungen 2008 und 2010 in Deutschland. Nun folgt ein zweiter autobiografisch geprägter Essay: "Von Beruf Schriftsteller", ins Deutsche übersetzt von Ursula Gräfe. Das Buch hat die Anmutung eines Ratgebers für angehende Autoren, in dem in elf Kapiteln Fragen der Themenfindung, Originalität, Figurengestaltung und Motivation beantwortet werden. Gleich im ersten Kapitel, "Schriftsteller – ein toleranter Menschenschlag?", zeichnet Murakami ein nicht gerade schmeichelhaftes Bild seines Berufsstandes. Schriftsteller seien egozentrisch, intellektuell ein wenig schwerfällig und was sie tun, sei eigentlich ganz einfach:
    "Einen Roman kann im Grunde jeder verfassen, der des Schreibens mächtig ist, einen Kugelschreiber und ein Heft zur Hand hat und vielleicht noch eine gewisse Fähigkeit zum Fabulieren besitzt. Auch wenn er keine Ausbildung erhalten hat, kann er formal eine Art Geschichte zu Papier bringen, und zwar ohne an der Universität Literatur studiert zu haben. Denn einen Roman schreiben, ist keine Wissenschaft."
    Von Japanischen ins Englische - und wieder zurück
    Ihn selbst habe der Wunsch, ein Buch zu schreiben, wie eine Epiphanie im April 1978 bei einem Baseball-Spiel heimgesucht, erzählt Murakami. Damals war er Ende 20 und betrieb er mit seiner Frau einen Jazzclub in Tokio. Vor und nach der Arbeit schrieb er also seinen ersten langen Erzähltext. Mit dem Ergebnis war er jedoch nicht sonderlich zufrieden, die Geschichte sei nichts Besonderes gewesen, der Stil zu gespreizt. Und so trieb er sich schließlich jegliche literarische Prätention aus, indem er den Füller gegen eine Olivetti-Schreibmaschine mit lateinischer Tastatur und das Japanische gegen das Englische tauschte. In dieser Beschränkung entwickelte er seinen lakonisch-leichten Stil, den er anschließend wieder ins Japanische übertrug.
    Es sind Einsichten in die Schreibwerkstatt wie diese, die "Von Beruf Schriftsteller" lesenswert machen. Wenn Murakami etwa die verschiedenen Schritte von der ersten Niederschrift über Korrekturen, bis zur ersten Leserin – seiner Frau – beschreibt. Wenn er erzählt, wie er nach seinen ersten beiden Romanen beschloss, seinem Schreiben mehr Tiefe und Gewicht zu geben und schließlich "Wilde Schafsjagd" als den Start seiner ernsthaften Schriftstellerkarriere betrachtet, oder wenn er erklärt, warum er seine Texte jahrzehntelang in der ersten Person schrieb und wie er sich schließlich im Jahr 2000 die dritte Person erschloss und das dann als große Befreiung empfand.
    Auch über seine Leserschaft schreibt der Autor.
    "Wir gehen als fremde Gefährten aneinander vorüber, ohne uns zu erkennen. Wahrscheinlich werden wir uns nie wieder begegnen. Doch in Wirklichkeit sind wir unterirdisch, also unter der harten Oberfläche des Alltagslebens "narrativ" verbunden. Haben irgendwo tief in unseren Herzen eine gemeinsame Geschichte."
    Abstand zur eigenen Heimat
    Die gemeinsame Geschichte mit der Literaturkritik seines Heimatlandes, die ihn besonders stark kritisierte, ihm Trivialität vorwarf und ihn für den Niedergang der japanischen Hochkultur verantwortlich machte, schildert eher naturgemäß weniger empathisch: "Wenn die japanische Kultur von einem wie mir beschädigt werden kann, hat sie wirklich ein Problem", schreibt er. Von Beginn seiner Karriere an pflegte Murakami einen gewissen Abstand zu seiner Heimat und der dortigen Literaturszene und verfasste viele seiner Romane in der Abgeschiedenheit des Auslandes. In "Von Beruf Schriftsteller" erklärt er diese Distanz. Einen kurzen Abriss über seine Schulzeit nutzt er, um Kritik am auf Effektivität und Gehorsam getrimmten japanischen Bildungssystem zu üben, das keinen Raum für Fantasie lasse und für viele Missstände innerhalb der Gesellschaft, wie etwa auch die Atomkatastrophe in Fukushyma, verantwortlich sei.
    "Letzten Endes war es das Streben nach Effektivität, das Zehntausende Menschen aus ihrer Heimat vertrieben hat. Die Vorstellung, Atomkraft sei eine effektive Methode der Energiegewinnung und deshalb gut, und der Mythos von ihrer Sicherheit, der in der Folge entstand, haben diese unwiderrufliche Katastrophe über unser Land gebracht. Man kann sie mit Recht als Niederlage unserer Fantasie bezeichnen. Doch auch jetzt ist es noch nicht zu spät. Wir müssen dem Einzelnen ein freies Denken ermöglichen, das ihm den Halt gibt, der gefährlichen und kurzsichtigen Wertschätzung von so genannter "Effektivität" zu widerstehen. Und diesen Halt müssen wir auf die ganze Gesellschaft ausweiten."
    Diese Schärfe ist ungewöhnlich für Murakami und findet sich auch an keiner anderen Stelle des Buches, ja, oft entschuldigt sich der Autor für seine Meinungen und relativiert seine Einschätzungen, was viele seiner Ausführungen zu anderen Autoren, Literaturpreisen, Lektoren und Übersetzern recht vage erscheinen lässt. Regelrecht banal wird es, wenn Murakami noch einmal zu seiner Passion für den Langstreckenlauf zurückkehrt, eine sportliche Betätigung sei für ihn unabdingbar, um die Disziplin und Beharrlichkeit aufzubringen, die nötig sei, um nicht nur Schriftsteller zu werden, sondern –viel schwieriger – auch zu bleiben. In seinem Fall hat es jedenfalls funktioniert. Und am Ende erklärt der 66-Jährige, auch nach über 30 Jahren als Schriftsteller sehe er immer noch Raum für persönliche Entwicklung:
    "Ich glaube, er liegt im Inneren. Zuerst schuf ich mir in Japan eine Position als Autor, anschließend ging ich ins Ausland und vergrößerte mein Publikum. Und vielleicht werde ich nun in die Tiefen meines Inneren steigen, um sie zu erforschen. Dort liegt noch viel Neuland für mich, und vielleicht wird dies meine letzte Grenze Sein."
    "Von Beruf Schriftsteller" könnte ein erster vorsichtiger Schritt in dieses neue Land sein.
    Haruki Murakami: "Von Beruf Schriftsteller", übersetzt von Ursula Gräfe
    Dumont, Köln 2016.