Mittwoch, 24. April 2024

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Harvard-Rede der Kanzlerin
"Merkel wechselt den politischen Standort"

Angela Merkel habe sich politisch gewandelt, meint Robin Alexander, Merkel-und Kanzleramts-Korrespondent der "Welt". Im Dlf sagte er mit Blick auf die Harvard-Rede der Kanzlerin: "Es wirkt schon so, dass Frau Merkel ganz froh ist, die CDU hinter sich gelassen zu haben."

Robin Alexander im Gespräch mit Birgid Becker | 02.06.2019
30.05.2019, USA, Cambridge: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) winkt den Zuhörern nach ihrer Rede in der Harvard Universität. In einer emotionalen Rede an der US-Eliteuniversität Harvard hat Kanzlerin Merkel für internationale Zusammenarbeit und gegenseitigen Respekt geworben - und sich scharf von US-Präsident Trump abgegrenzt. Foto: Omar Rawlings/dpa | Verwendung weltweit
Merkel ließ sich in Harvard feiern und einen weiteren Doktortitel verleihen - und vergalt es mit einer Rede gegen Trump (Omar Rawlings/dpa / picture alliance)
In ihrer Harvard-Rede hat Angela Merkel sich als Gegenbild zu US-Präsident Trump feiern lassen, und zum Erstaunen vieler heimischer Konservativer tat sie es vor einem denkbar linksliberalen Publikum. Die Kanzlerin wechsle Bühne und politischen Standort, sagte der Merkel-und Kanzleramts-Korrespondent und stellvertretende Chefredakteur der "Welt", Robin Alexander:
"Frau Merkel geht ins Ausland, Frau Merkel geht nach Harvard, Frau Merkel spricht mit einer CNN-Journalistin, die auch eher auf dem linksliberalen Spektrum ist (...) also, es wirkt schon so, dass Frau Merkel ganz froh ist, die CDU hinter sich gelassen zu haben."
Der Journalist Alexander zeigt sich im Dlf-Interview allerdings befremdet über die offene Opposition einer amtierenden Kanzlerin gegenüber den Präsidenten eines der wichtigsten Verbündeten Deutschlands:
"So sehr ich es für Frau Merkels Geschichtsbuch-Eintrag verstehen kann, dass sie Dinge anders tut als Donald Trump und auch will, dass das jeder merkt, so wenig kann ich es verstehen für die führende Vertreterin der Bundesregierung."
Warum macht sich die Kanzlerin zur Trump-Gegnerin?
Deutschland sei auf den guten Willen der USA angewiesen, auf US-Truppen für seine Sicherheit und beim Handel darauf, nicht mit US-Zöllen bestraft zu werden.
"Wir haben diesen wahnsinnig schwierigen amerikanischen Präsidenten, der uns noch wirklich extrem viel Ärger machen kann und der, wie er gestrickt ist, sich immer Gegner sucht. Und darum frage ich mich: Warum inszeniert sich eine deutsche Kanzlerin als ein Antipode?"
Nach ihrer Erklärung, bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr als Kanzlerin kandidieren zu wollen, sei Merkel unumstrittener, sagt Alexander. Die CDU aber habe nichts von Merkels neuem Glanz. So habe sie bewusst Auftritte wie die Europa-Wahlkampferöffnung der CDU gemieden - obwohl eine Fürsprache für Multilateralismus und Humanität dorthin ebenso gut gepasst hätte wie nach Harvard.
Warum sie ihre Partei und ihre Nachfolgerin als deren Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer so wenig unterstütze, das ist auch für Alexander Gegenstand von Spekulation.
"Jetzt kann man doch mal die Frage stellen, ist es wirklich Frau Merkels Kalkül", sagte der "Welt"-Journalist. "Ist es Frau Merkel so wichtig, dass nach ihr weiter eine CDU-Kanzlerin regiert? Vielleicht sagt sie ja auch: Wenn nach mir die Grünen regieren, ist doch auch schön, ich habe das Land über viele Jahre liberalisiert, und jetzt kommt halt die nächste Stufe."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.