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Haseloff: Die Klimaveränderungen sind dramatischer als man denkt

"Wir kommen ohne Bundeswehr nicht klar", gesteht Reiner Haseloff ein. Seit dem Elbe-Hochwasser 2002 seien die Sicherheitsmaßnahmen zwar verbessert worden, "jetzt kommt aber eine Wassermenge, die wir noch nie hatten", sagt Sachsen-Anhalts Ministerpräsident.

Reiner Haseloff im Gespräch mit Bettina Klein | 04.06.2013
    Bettina Klein: Das Hochwasser wandert von Süd nach Nord. Die Augen richten sich nun zunehmend auf Sachsen-Anhalt, wo die Alarmglocken erst heute so richtig schrillten.
    Am Telefon begrüße ich den Ministerpräsidenten des Landes, Reiner Haseloff (CDU). Guten Tag!

    Reiner Haseloff: Guten Tag, Frau Klein.

    Klein: Ein Krisenstab wurde eingerichtet. Worauf legen Sie den Schwerpunkt in diesen Stunden?

    Haseloff: Der Schwerpunkt besteht darin, dass wir natürlich die Einsatzkräfte vor Ort flankieren und auch die Kontakte zur Bundeswehr aufrechterhalten. Wir kommen ohne Bundeswehr nicht klar, das ist schon 2002 so gewesen und wird auch in diesem Jahr so sein. Wir haben aber neuralgische Punkte, die Sie schon zurecht angesprochen haben, insbesondere Halle, aber auch vor allen Dingen jetzt Bitterfeld, wo wir einen Teil der Oststadt evakuieren müssen. Das hatten wir 2002 schon mal. Es sind viele Sachen inzwischen gelaufen, Deiche sind verstärkt und erhöht worden. Nur bei diesen Wassermassen, und wenn dann noch in Bitterfeld dazu kommt, dass wieder ein Deich in Sachsen bricht, dann ist man in gewisser Weise in der Defensive und muss sehen, wie man da wieder rauskommt.

    Klein: Haben Sie einen Überblick darüber, wie viele Menschen oder wie viele Haushalte betroffen sein werden?

    Haseloff: In Bitterfeld ist das, wenn es so kommt, wie das Worst-Case-Szenario aussagt, noch längst nicht das Endgültige, sondern da müssen noch weitere Vorsorgemaßnahmen gemacht werden. Jetzt ist aber erst mal die Bergbaubehörde dran. Wir müssen sehen, dass wir die Goitzsche so entlasten, dass das Wasser dort nicht übertreten kann. Verstärkung erfolgt durch Sandsackbauten. Aber auf der anderen Seite ist es so, dass dies natürlich eine Bergbau-Folgelandschaft ist und wir gegebenenfalls auch noch mal den Durchstich überlegen müssen, inwieweit wir in das alte Mulde-Bett kommen, das heißt die Bundesstraße zerschneiden und damit einen Ablass schaffen.

    Klein: Herr Haseloff, es ist nicht das erste Hochwasser, auch in dieser Region nicht. Ist Ihnen bereits klar, was hätte anders gemacht werden müssen seit dem Beginn des Jahrtausends, um auf solche Überflutungen besser vorbereitet zu sein oder aber sie vermeiden zu können?

    Haseloff: Fest steht eins: Wir haben ja schon 2002 das alles erlebt, da war ich auch schon mit dabei. Seitdem hat sich organisationstechnisch und auch technisch insgesamt sehr viel getan. Wir haben 500 Millionen Euro in den Deichbau hineingegeben und viele, viele Deiche entsprechen inzwischen der DIN-Norm. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass DIN immer sagt, bei der Elbe zum Beispiel, das Jahrhunderthochwasser plus einen Meter obendrauf. Jetzt kommt aber eine Wassermenge, die wir noch nie hatten, die wir noch nie hatten aus allen Richtungen. Früher kam es immer aus der Elbe und aus der Mulde, jetzt kommt es ebenfalls aus der Saale, aus der Weißen Elster, aus der Unstrut. Wir hatten noch nie aus allen Richtungen über alle Flüsse diese Wasserzuflüsse und damit haben wir eine historisch einmalige Situation, die nirgendwo in Mitteldeutschland, weder in Sachsen, noch in Thüringen, noch bei uns, prognostizierbar war, und deswegen müssen wahrscheinlich sämtliche Standards noch mal abgetastet und entsprechend aktualisiert werden.

    Klein: Diese Vorgabe ein Meter über dem Jahrhunderthochwasser war von heute aus betrachtet definitiv zu wenig?

    Haseloff: Wir müssen einfach bei solchen Starkregen-Wetterlagen davon ausgehen, dass wir Mengen bekommen auch in der Konzentration in den Flüssen, auch durch die entsprechenden Zuflüsse und durch die neuen Infrastrukturen, die wir haben in den letzten Jahrzehnten, dass wir Situationen haben, die es in den letzten tausend Jahren so nicht gegeben hat.

    Klein: Umweltverbände wie zum Beispiel der BUND gestern Abend im Deutschlandfunk weisen darauf hin, dass weiterhin Versäumnisse zu beklagen sind, was den ökologischen Hochwasserschutz angeht, dass man nicht diese Ausweichflächen zum Beispiel errichtet hat und die nicht zugebaut hat. Trifft das auch für Sachsen-Anhalt zu?

    Haseloff: Ein Zubau hat überhaupt nicht mehr stattgefunden seit diesem letzten Jahrhunderthochwasser 2002, sondern ganz im Gegenteil. Es gab Deichverlegungen auch gerade in meinem Heimatstadt-Bereich, im Raum von Wittenberg, wo ja damals auch eine große Katastrophe war. Dort sind die Deiche teilweise kilometerweit zurückverlegt worden, um einfach Stauraum zu organisieren. Nur wenn eine Menge kommt, die es noch nicht gegeben hat, dann reichen sämtliche Vorkehrungen nicht in einer relativ dicht besiedelten Gegend wie Sachsen-Anhalt, um das schadlos zu überstehen. Wir müssen völlig neue Überlegungen anknüpfen und hier an dieser Stelle ist auch zu sagen, dass wir auch die Modelle, die zurzeit zugrunde gelegt werden, ebenfalls noch mal aktualisieren müssen auf Regenwasser-Einträge, die es so in den letzten Jahrhunderten noch nicht gegeben hat.

    Klein: Das heißt, Sie werden schon noch mal jetzt auf diese aktuelle Situation reagieren und dann möglicherweise Konsequenzen ziehen, die 2002 nicht gezogen wurden?

    Haseloff: Ganz klar! Wir müssen einfach davon ausgehen, dass nicht nur über zwei, drei Flüsse diese Hochwässer erzeugt werden, sondern dass die Situation so eintreten kann wie in diesem Jahr, dass sämtliche Flüsse Maximalpegelstände aufweisen und damit uns vor Mengen, gerade in den Städten stellen, die zwar vor drei-, vier-, 500 Jahren noch verkraftbar waren, aber heute nicht mehr. Und damit ist auch der gesamte städtebauliche Akzent neu zu setzen. Das heißt, wir müssen schauen, inwieweit wir bestimmte Bereiche, wo man keine Deiche bauen kann, wie zum Beispiel in der Innenstadt von Halle, wie man dort weitere Vorkehrungen in den Baulichkeiten selber vornehmen kann.

    Klein: Halle-Neustadt – wir haben es gerade in den Informationen unseres Korrespondenten gehört – ist jetzt auch von der Überflutung betroffen. Schauen wir noch mal auf den Punkt. Die Elbe ist ja nicht nur ein Fluss, der durch Sachsen-Anhalt fließt, sondern auch Sachsen und Niedersachsen sind betroffen. Existiert denn inzwischen ein Gesamtkonzept, in dem mehrere Bundesländer auch engagiert sind?

    Haseloff: Ja. Im Ergebnis des Jahres 2002 ist dieses erfolgt. Wir haben sogar Polder angelegt, sodass Entspannungen realisiert werden können, die dann dem jeweiligen folgenden Bundesland auch zugutekommen. Wir haben zum Beispiel im Raum Havelberg Vorkehrungen, die Niedersachsen und Brandenburg dringend braucht, sowie wir für die Weiße Elster eine Entspannungsmöglichkeit im Raum Leipzig haben. Diese sind übrigens auch aktiviert worden. Das heißt, dort wird Wasser in den Polder hinein gelassen, sodass eigentlich über die unmittelbare Weiße Elster in Richtung Halle eine Entspannung erfolgt. Aber das reicht, solange das Volumen zur Verfügung steht. Mehr kann man da nicht tun. Wenn noch mehr Wasser kommt, dann reichen die jetzigen Deichbauten nicht aus. Wie gesagt: Sie sind zu großen Teilen alle inzwischen DIN-gerecht. Das heißt, haben den Puffer eingebaut bekommen, den man bezogen auf das höchste Hochwasser, was man registriert hatte, entsprechend abgeleitet hat. Das scheint nicht zu reichen für die Zukunft. Die Klimaveränderungen sind doch dramatischer, als man denkt.

    Klein: Und ich verstehe Sie schon so, dass auch die Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern intensiviert werden muss an der Stelle?

    Haseloff: Wir haben bezüglich Elbe und Schwarze Elster sehr gute Modelle. Schwierig ist es bei diesen kleineren Flüssen wie zum Beispiel der Weißen Elster oder auch der Unstrut und der Saale, weil es dort auch sehr schwierig ist, die saisonalen Effekte einzufangen, weil der Bewuchs und die Vegetation selber so eine große Rolle spielt, was die Aufnahmefähigkeit von Regen und Wassermengen anbelangt, dass dort eine Modellierung mathematisch ganz schwierig ist. Aber wir müssen dort hinkommen und das muss in den nächsten Jahren auch realisiert werden.

    Klein: Konsequenzen müssen in jedem Fall gezogen werden aus diesem neuen Hochwasser 2013, sagt der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff von der CDU, heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Haseloff.

    Haseloff: Bitte schön! Auf Wiederhören.


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