Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Hass im Internet
"Netzwerkdurchsetzungsgesetz richtet massiven Schaden an"

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll Hasskommentaren im Internet Einhalt gebieten. Der netzpolitische Sprecher der Grünen, Konstantin von Notz, hält es für "unzureichend" und "lieblos" umgesetzt. Er sagte im Dlf, mit dem Gesetz würden juristisch komplizierte Abwägungen Privatunternehmen überlassen.

Konstantin von Notz im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 08.01.2018
    Der netzpolitische Sprecher der Grünenfraktion, Konstantin von Notz, im Oktober 2017 im Deutschen Bundestag.
    Der Grünenpolitiker Konstantin von Notz kritisierte im Dlf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (imago / photothek)
    Es sei richtig gewesen, etwa gegen Hasskommentare im Internet zu tun, sagte von Notz. Die Probleme, die es jetzt mit dem Gesetz gebe, seien jedoch mit Ansage gekommen. Jetzt entschieden Facebook und Co. darüber, was jahrelang von Gerichten entschieden worden sei. Dabei würden sie im Zweifel Postings löschen - auch wenn sie möglicherweise von der Meinungsfreiheit gedeckt seien. Er kritisierte zudem, dass bei strafrechtliche relevanten Postings nicht zwingend eine strafrechtliche Verfolgung ausgelöst würde.
    Mit Blick auf den Führungswechsel in seiner Partei sagte von Notz, es sei ein gutes Zeichen, dass es so viele und interessante Bewerbungen gebe. Die bisherigen Vorsitzenden Simone Peter und Cem Özdemir werden sich nicht noch einmal zur Wahl stellen. Stattdessen haben Robert Habeck (Umweltminister in Schleswig-Holstein), die niedersächsische Landeschefin Anja Piel und die brandenburgische Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock ihre Kandidatur angemeldet.

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Hass in sozialen Netzwerken eindämmen, das ist das Ziel des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Es gilt seit Oktober. Zum Jahresanfang sind entsprechende Übergangsfristen abgelaufen. Das heißt, es muss jetzt auch von den sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter angewendet werden. Die sind ab sofort verpflichtet, bei gemeldeten Beiträgen zu überprüfen, ob der Beitrag gelöscht werden muss, weil er strafrechtlich relevant ist. Das hat in der ersten Jahreswoche schon für kräftige Turbulenzen im Netz gesorgt und die Kritik am Gesetz noch einmal verschärft.
    Wir wollen jetzt noch tiefer in die Analyse gehen, zusammen mit Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen. Guten Morgen!
    Konstantin von Notz: Guten Morgen, Frau Büüsker.
    Büüsker: Herr von Notz, manch einer spricht ja mit Blick auf das NetzDG von Zensur. Ist das ein bisschen hoch gegriffen?
    von Notz: Ich glaube, das trifft das Problem nicht ganz. Es ist tatsächlich so, dass hier im Zweifel sozusagen gelöscht wird oder Meinungsfreiheit beschnitten wird, und das ist ein Problem, und die privaten Unternehmen entscheiden das im Hinblick auf ihre eigene Opportunität, also frei von rechtlicher Überprüfung. Das ist eigentlich keine staatliche Zensur, aber es ist ein massives Problem, weil die freie Meinungsäußerung von überragender Bedeutung in einem Rechtsstaat ist.
    "Die jetzt aufgetauchten Probleme kommen mit Ansage"
    Büüsker: Aber hat Meinungsfreiheit nicht auch Grenzen, wenn es strafrechtlich relevant wird?
    von Notz: Selbstverständlich! Und deswegen ist es richtig, dass man in diesem Bereich etwas macht. Es war die letzten Jahre immer unerträglicher, wie die Hetze und offen strafrechtlich relevante Inhalte im Netz verbreitet werden, und die Unternehmen haben sich da wenig drum gekümmert, haben die Kosten gescheut. Wenn Sie Sprachnachrichten, also Texte überprüfen lassen wollen, dann brauchen Sie Muttersprachler. Die müssen Sie anstellen und bezahlen. Die müssen juristischen Grundsachverstand haben. Und das wollten Unternehmen wie Facebook, Twitter und YouTube nicht machen, und deswegen musste man da was machen. Aber so wie die Große Koalition das gemacht hat in der letzten Kurve der zurückliegenden Legislatur, war das einfach sehr, sehr problematisch, sehr lieblos, und die Probleme, die jetzt aufgetaucht sind, die kommen mit Ansage. All das ist der GroKo genau so gesagt worden.
    Büüsker: Die Unternehmen müssen ihre Plattformen im besten Sinne, sage ich mal, sauber halten. Das muss ich ja auch, wenn ich zum Beispiel ein Haus besitze und irgendwer schmiert ein Hakenkreuz an die Wand. Dann muss ich mich auch darum kümmern, dass dieses Hakenkreuz verschwindet, weil es ist strafrechtlich relevant. Wo ist jetzt das Problem?
    von Notz: Na ja. Erst mal ist das Beschmieren Ihrer Hauswand schon per se, selbst wenn jemand eine schöne Blume draufmalt, schon eine Straftat. Insofern hinkt das Beispiel ein bisschen. Das Problem ist, dass letztlich diese Plattformen inzwischen öffentlicher Raum sind und Diskursraum unserer Gesellschaft, und in eine Demokratie gehört eben auch mal der harte Diskurs. Es muss auch mal sozusagen Tacheles geredet werden können. Aber – und das ist völlig richtig – wenn das Persönlichkeitsrecht unverhältnismäßig verletzt wird, dann gilt das Strafrecht, und das geht so nicht.
    Positive Entwicklung, aber unvollkommen umgesetzt
    Aber das ist eine relativ juristisch komplizierte Abwägung und das haben bei uns in jahrzehntelanger Rechtsprechung die Gerichte gemacht, und jetzt entscheidet eben Facebook. Und es gibt diesbezüglich dann keine Korrektur. Es gibt übrigens auch keine organisierte Strafverfolgung. Wenn Leute da die schlimmsten antisemitischen Ausfälle haben, dann führt das nicht automatisch zur Anzeige, sondern es wird einfach gelöscht, und das ist auch im Hinblick auf den Rechtsanspruch der Rechtsdurchsetzung zu wenig. Insofern: Es ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in seiner jetzigen Form sehr, sehr unvollkommen und unzureichend, und deswegen muss da dringend was passieren.
    Büüsker: Aber immerhin kann man festhalten, die Unternehmen reagieren jetzt jedenfalls. Vorher ist ja oft nichts passiert, wenn man einen Tweet, der definitiv strafrechtlich relevant war, gemeldet hat.
    von Notz: Das ist richtig. Es ist insgesamt, sowohl im Hinblick auf Hate Speech oder strafrechtliche Inhalte im Netz, aber auch auf Datenschutzbestimmungen ein Skandal sondergleichen, dass seit vielen Jahren große IT-Unternehmen sagen, sie glauben, für sie gilt die deutsche und die europäische Rechtslage nicht. Dass sich das die Bundesregierung so lange hat gefallen lassen, ist ein Skandal für sich. Insofern ist das eine positive Entwicklung. Deswegen haben wir auch immer gesagt, es muss in dem Bereich was passieren. Das Recht muss gelten. Aber man hat es sehr unvollkommen umgesetzt und richtet jetzt einen massiven Schaden an, und wenn ein Account wie der von der "Titanic" gesperrt wird, weil die Unternehmen sagen, das ist uns egal, dass das Satire ist, in dubio pro Löschen, dann hat man einfach ein massives Problem und dann kochen alle möglichen Leute, zum Beispiel die AfD da ihr Süppchen drauf, und das ist sicherlich nicht im Sinne des Erfinders.
    Bei strafrechtlich relevanten Fällen durchgreifen
    Büüsker: Also viel Kritik an diesem Gesetz. Haben Sie denn einen konkreten Vorschlag, wie man es besser machen könnte?
    von Notz: Ja! Ich glaube, man muss sich genau auf die Fälle konzentrieren, die klar strafrechtlich relevant sind. Da gibt es genug und die müssen dann auch zur Anzeige gebracht werden, damit am Ende auch strafrechtliche Sanktionen folgen. Und dann wird man dieses Problem auch eingedämmt bekommen. Wenn Sie sich angucken, was für massive Probleme es gibt und wie auch der Ton insgesamt eingerissen ist auf vielen Plattformen, was es für extremes Mobbing gibt, was gerade auch Jugendliche, was für einem Hass und einer Hetze und einer persönlichen Anfeindung die ausgesetzt sind, da gibt es glasklare Fälle. Dafür braucht es juristischen Sachverstand und Muttersprachler bei den Unternehmen und dann muss es eine staatliche juristische Überprüfbarkeit dieser Fälle geben. All das liefert das Gesetz leider nicht und insofern hat die GroKo der Sache da keinen Gefallen getan.
    Büüsker: Herr von Notz, wenn ich Sie da richtig verstehe, wenn Sie sagen, die Sachen müssen zur Anzeige gebracht werden, dann sehen Sie da die Unternehmen in der Pflicht?
    von Notz: Das kann sowohl als auch. Das können auch die Unternehmen sein. Ich sage mal so: Wenn jemand die schlimmsten antisemitischen Ausfälle jetzt bei Facebook hat, es ist doch ein Unding, dass ein Unternehmen, dass ein Unternehmen, das dann nach dem alten Notice-and-take-down-Verfahren verfährt – das wurde eben in dem Bericht ja angesprochen –, wenn ein Nutzer das dem Unternehmen zur Kenntnis bringt, dass das Unternehmen dann einfach diesen Inhalt blockiert, aber man nicht sagt, jemand, der hier solche antisemitischen Ausfälle öffentlich verbreitet, den zeigen wir nicht an. Aber klar, das muss sich beschränken auf die klar strafrechtlich relevanten Fälle, denn zurecht ist die Meinungsfreiheit ein sehr hohes Gut und man muss da eine differenzierte Abwägung treffen, und dafür braucht man gutes Personal.
    Netzwerke sollten Juristen zur Überprüfung einstellen
    Büüsker: Heißt, Sie verlangen von den Unternehmen, dass die eine ordentliche Abteilung Juristen einstellen, um gemeldete Beiträge zu prüfen?
    von Notz: Allerdings. Diese Unternehmen verdienen mit den Inhalten viel Geld und man kann das nicht so machen, wie das bisher aus Kostengründen gemacht wurde. Deswegen wird ja bei Facebook auch jede nackte Brust innerhalb von Sekunden gelöscht. Das kann nämlich ein Algorithmus, ein Computer erkennen. Auf jeden Fall kann es international erkannt werden. Aber wenn Sie ein Statement haben in deutscher Sprache, dann brauchen Sie jemand mit juristischem Sachverstand, der der Sprache mächtig ist. Das kostet Geld, wenn man so Leute beschäftigt. Aber ein Unternehmen wie Facebook verdient in Deutschland auch sehr viel Geld und deswegen ist das durchaus angemessen. Und man kann dann eben nicht zu Lasten der Meinungsfreiheit sagen, es ist uns egal, im Zweifel wird einfach weggelöscht und dann haben wir das Problem aus den Augen, aus dem Sinn. Das wird jeden Tag Problemfälle erzeugen, die einen Vertrauensverlust in die Meinungsfreiheit produzieren. Das ist nicht hinnehmbar.
    Büüsker: Herr von Notz, wir müssen heute Morgen noch über ein anderes Thema sprechen, denn personell tut sich etwas in Ihrer Partei, bei den Grünen. Vor wenigen Minuten berichtete die Deutsche Presse-Agentur, dass Simone Peter nicht wieder für den Parteivorsitz kandidieren wird, und zuvor hatte schon die Fraktionsvorsitzende der Grünen im niedersächsischen Landtag, Anja Piel, ihren Hut in den Ring geworfen für dieses Amt. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
    von Notz: Ich finde es grundsätzlich sehr gut, dass wir so viele interessante und gute Bewerbungen haben. Mit Robert Habeck und Annalena Baerbock bisher sind zwei sehr starke Bewerbungen da. Anja Piel als Fraktionsvorsitzende aus Niedersachsen bringt auch viel mit, und ich glaube, das zeigt, dass bei den Grünen Bewegung auch personell drin ist, und das ist erst mal für eine Partei ein gutes Zeichen, wenn man viele Leute hat, die ein gutes Angebot machen. Und ich glaube, es wird ein sehr spannender Parteitag werden, auf dem das dann entschieden wird.
    Büüsker: So die Einschätzung von Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen. Danke für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk.
    von Notz: Ich danke Ihnen. Einen schönen Tag.
    von Notz: Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.