Samstag, 20. April 2024

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Hass im Netz
"60 Videos gemeldet, davon ist keins entfernt worden"

Der Journalist Richard Gutjahr und seine Familie werden täglich im Netz angefeindet und bedroht. Im Dlf sprach Gutjahr über seine Erfahrungen mit Hass im Netz und rät: "Am Anfang Ruhe bewahren. Wenn man dann merkt, es hört nicht von selbst auf - dann muss man zum Angriff übergehen."

Richard Gutjahr im Gespräch mit Christoph Sterz | 08.01.2018
    Der Journalist und Blogger Richard Gutjahr
    Der Journalist und Blogger Richard Gutjahr (imago/Sven Simon)
    Im Juli 2016 hat der Journalist Richard Gutjahr zufällig während seines Urlaubs den Anschlag in Nizza von seinem Balkon aus gefilmt. Kurze Zeit später war als Reporter des BR beim Amoklauf im Münchener Olympia-Einkaufszentrum früh vor Ort war. Seitdem muss er sich mit Hass und Verschwörungstheorien im Netz auseinandersetzen - etwa damit, dass er vorab von Geheimdienstquellen über die Attentate informiert worden sei.
    Täglich würden er und seine Familie beschimpft und bedroht - bis zu 800 Hassvideos aus den letzten 18 Monaten habe er inzwischen löschen lassen, sagte Gutjahr im Dlf. "Jeden Tag, wenn ich meinen Computer anmache, erwarten mich schon vier oder fünf Kommentare, die mich als 'Judensau' beschimpfen oder meine Familie ins KZ wünschen."
    Er habe sich mit anderen Opfern von ähnlichen Shitstorms vernetzt, die ihm Tipps zum Umgang mit dieser Situation gegeben hätten: "Am Anfang: Ruhe bewahren. Wenn man dann merkt, es hört nicht von selbst auf, dann muss man zum Angriff übergehen - man muss die Wortführer im Netz, auf die sich alle immer wieder beziehen, identifizieren und lokalisieren. Und die muss man dann anzeigen - und zwar nicht strafrechtlich, sondern zivilrechtlich". Denn die Mühlen der Justiz seien in der digitalen Welt sehr langsam, so der Journalist im Gespräch mit mediasres, weshalb man versuchen müsse, es zivilrechtlich auf eigene Kosten zu bewältigen.
    60 Videos gemeldet - keins davon wurde von YouTube entfernt
    Google oder Facebook selbst seien laut Gutjahr bei der Löschung der Hassvideos nicht hilfreich gewesen. "Ich habe 60 Videos gemeldet, und davon ist keins entfernt worden." Schlimmer noch: Versuche man über den Umweg der Urherberrechtsverletzung Videos löschen zu lassen, schicke YouTube nach einer Meldung des Videos dem Hetzer die private Anschrift und Telefonnummer, um sich untereinander zu einigen. "Wenn man bedroht wird und diese Mensch plötzlich wissen, wo man wohnt, dann hört der Spaß auf", so Gutjahr im Gespräch mit mediasres.
    In den letzten zwei Jahren habe der Journalist aber auch viel Solidarität erfahren - von Freunden, von Bekannten, aber auch von Fremden. "Und es gibt Möglichkeiten, auch als Beiwohner jemandem zu Hilfe zu eilen - sei es dadurch, dass man auch eine Anzeige stellt oder dem Opfer Solidarität bekundet oder ganz öffentlich sagt: 'Du, pass auf, hier in diesem Forum hat so ein Hass nichts zu suchen.'" Gutjahr glaubt: Wenn alle im Internet ein bisschen mehr Zivilcourage zeigen würden, hätten die Trolle und Hetzer langfristig keine Chance.