Freitag, 29. März 2024

Archiv


Hauptsache keine roten Kringel unterm Wort

Die Rechtschreibreform 1996 hatte die Vereinheitlichung der deutschen Sprache im Jahr 1902 zum Vorbild, als der Duden für verbindlich erklärt wurde. Heute verließen sich viele nur noch auf die automatische Rechtschreibkorrektur am Computer, sagt Historiker Reinhard Markner.

Reinhard Markner im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 01.08.2011
    Burkhard Müller-Ullrich: Heute vor 100 Jahren starb ein Mann, dem wir so manche Qual zu verdanken haben, weil er die Regeln aufstellte, mit denen wir uns so schwertun: Duden, sein Name, Konrad Duden. Er war ein leidlicher Philologe, aber ein gründlicher Pauker. Er unterrichtete an Gymnasien im westfälischen Soest, im thüringischen Schleiz und dem hessischen Hersfeld, wo er als Direktor offenbar genügend Zeit fand, um jene akribische Fleißarbeit zu vollbringen, die ihn berühmt machen sollte: Die Abfassung eines "Vollständigen Orthografischen Wörterbuchs der deutschen Sprache. Dudens Wörterbuch war und ist ein Herrschaftsinstrument, etwas, das dazu dient, die Menschen zu gängeln, ihr Schreiben zu reglementieren und ihm den Charakter einer messbaren Leistung zu geben. Dudens Wörterbuch beziehungsweise kurz "der Duden" erschien 1880. 1902 wurde er - die großdeutsche Zackigkeit befand sich auf dem Höhepunkt - vom Bundesrat als verbindlich proklamiert. Über Duden und seine Wirkung sprechen wir jetzt mit dem Historiker Reinhard Markner in Berlin. Herr Markner, das war also ein staatlicher Eingriff in den sprachlichen Alltag, was da 1902 passiert ist, und es war insofern ein Novum für deutsche Verhältnisse. Hatten sich die Rechtschreibreformer 100 Jahre später diesen Fall zum Vorbild genommen?

    Reinhard Markner: Ja, unbedingt. Sie haben frühzeitig dafür gesorgt, dass ihr Projekt politischen Rückhalt hatte, und auch gerade dadurch, dass sie diesen Rückhalt in allen drei wesentlichen deutschsprachigen Staaten gesucht haben, haben sie dafür gesorgt, dass Widerstand gegen die kommende Rechtschreibreform mit dem Hinweis darauf unterbunden werden konnte, dass ja die Schweizer schon zugestimmt haben oder die Österreicher auch dafür sind und so weiter. Also, man hat sich auf diese Weise abgesichert. Wohingegen 1902 es eigentlich so war, dass das Deutsche Reich in der eigenen Machtvollkommenheit entschieden hat und sich die österreichisch-ungarische Monarchie und auch die Schweiz erst später angeschlossen haben.

    Müller-Ullrich: Da stand ja im Hintergrund auch noch die gerade geschaffene Reichseinheit, die sozusagen jetzt durch eine sprachliche Vereinheitlichung noch nachvollzogen werden sollte.

    Markner: Richtig, wobei die Reichseinheit ja schon 30 Jahre zurücklag, und tatsächlich gab es schon in den 70er-Jahren genau mit diesem Argument Vorstöße auch zu einer weitergehenden Rechtschreibreform. Die Preußen sind dann ein wenig vorgeprescht und es war eben so, dass Bayern und Württemberg und all die anderen Bundesstaaten jeweils eigene Regelbücher erlassen hatten und sich dann nach langem Ringen schließlich 1902 auf dieses gemeinsame Wörterbuch verständigen konnten.

    Müller-Ullrich: Weil Sie sagen Regelbücher: Das ist ja sowieso was sehr Preußisches, also Ordnung, Systematik, Disziplin gelten als die wesentlichen Tugenden. Jetzt kann man natürlich die Frage stellen, wozu braucht man überhaupt solche Normen? Als politisches Projekt, haben wir verstanden, aber jetzt sprachlich betrachtet?

    Markner: Im Grunde genommen regelt sich die Sprache von selbst, nur geht das relativ langsam. Es ist wie ein naturhafter Prozess. Und in diesen Prozess ist eben wiederholt eingegriffen worden, um eine Vereinheitlichung gerade im Sinne der Schulorthografie vorzunehmen. 1902 sind aber praktisch keine Schreibungen neu eingeführt worden, die zuvor am grünen Tisch entworfen worden waren, so wie das 1996 folgende passiert ist, sondern man hat sich im Grunde genommen zugunsten der Vereinheitlichung darauf beschränkt, eben eine Vereinheitlichung der Rechtschreibung vorzunehmen und keine wesentlichen Eingriffe im Sinne einer Reform-Orthografie vorzunehmen.

    Müller-Ullrich: Hat sich nicht auch das Schreiben als solches historisch verändert? Ich meine, den sozialen Status, den jemand, der überhaupt Zugang zur Schriftkultur hatte, weil er zum Beispiel höhere Schulbildung besaß oder gar ein Gymnasium besucht hatte, der konnte ja möglicherweise die einzelnen Korrekturen den Spezialisten des Druck- und Verlagsgewerbes überlassen, während heutzutage jeder schreibt, jeder in einem permanenten Kommunikationszusammenhang eingebunden ist, aber jetzt sozusagen mit der Orthografie subtile Signale in der anonymen Internetwelt abgegeben werden können. Also, zum Beispiel konsequente und fehlerfreie Verwendung der alten Rechtschreibung ist ja ein klares Indiz für einen bestimmten sozialen und intellektuellen Status.

    Markner: Ja, das ist völlig richtig. Früher hat man beispielsweise bei Bewerbungsschreiben sehr darauf achten müssen - also, natürlich ist das heute auch noch der Fall, aber das war eine besonders Situation. Wenn man den Job dann erst hatte, dann hatte man in der Regel die Sekretärin, auf die man sich verlassen konnte und die man im Zweifelsfall auch fragte, wenn man einen Zweifelsfall hatte, und die auch vielleicht besser wusste, wo genau das dann im Duden nachzuschlagen ist, als man selbst. Heutzutage sitzt jeder an seiner eigenen Tastatur und es gibt in der Tat weniger Instanzen, die also hier noch eingreifend ins Spiel kommen - mit Ausnahme natürlich der automatischen Instanz, der Rechtschreibkorrektur der Textverarbeitungsprogramme. Sehr viele Menschen schreiben heute so, dass irgendwie keine Kringel auftauchen, das halten sie dann für richtig, obwohl das keineswegs notwendigerweise der Fall ist, denn diese Rechtschreibkorrektur ist zum Teil sehr ungenau, gerade was das viel umkämpfte Feld der Zusammen- und Getrenntschreibung angeht.

    Müller-Ullrich: Und niemand weiß, wer es wirklich gemacht hat bei Word.

    Markner: Sehr richtig, ja, es gibt irgendwelche Verhandlungen, die es mal gegeben hat zwischen den Reformkommissionen, aber die sind tatsächlich sehr im Hintergrund abgelaufen.

    Müller-Ullrich: Vielen Dank, Reinhard Markner, für diese Auskünfte und Einschätzungen zum 100. Todestag von Konrad Duden!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.