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Hauptsache: Liebe

Georg Bossong übersetzte die berühmtesten Dichter einer fast tausendjährigen Kulturepoche ins Deutsche und hat eine Anthologie mit Gedichten aus Al-Andalus, dem maurischen Spanien des 10. bis 12. Jahrhunderts, herausgegeben. In dieser Zeit entstanden Gedichte in arabischer und hebräischer Sprache. SIe handeln hauptsächlich von der Liebe.

Von Antje Ravic Strubel | 19.08.2005
    Möchte man einem Übersetzer trauen, der in eisernen Regeln, in festen Metren und Rhythmen klassischer und romantischer Lyrik eine Stilhöhe der deutschen Sprache sieht, wie sie die Moderne nicht mehr erreicht hat? Einem Übersetzer, der Regelpoesie für eingängig hält und moderne Lyrik für "extrem verrenkt"?

    Ja. Denn vielleicht hatte Georg Bossong, der Herausgeber einer Anthologie mit Gedichten aus Al-Andalus, dem maurischen Spanien des 10. bis 12. Jahrhunderts, und Professor für romanische Philologie, keine andere Wahl. Er hat die berühmtesten Dichter einer fast tausendjährigen Kulturepoche ins Deutsche übersetzt, von der heute höchstens noch die Alhambra bekannt ist, der maurische Rokoko-Palast auf hispanischem Boden.

    Dabei ragt die Zeit der Islamischen Herrschaft auf der iberischen Halbinsel nicht nur in wissenschaftlicher und intellektueller Hinsicht aus dem Mittelalter heraus. Auch die Dichtung zeigt eine erstaunliche Vielfalt: in dieser Zeit entstanden Gedichte in arabischer und hebräischer Sprache und zwar, und das ist das Bemerkenswerte: sich gegenseitig beflügelnd.

    Arabische und jüdische Dichtung prägten eine gemeinsame Kultur, die sich bis heute in volkstümlichen, andalusischen Liedern fortträgt. Die arabische Dichtung von Al-Andalus unterschied sich von der ihrer orientalischen Herkunft vor allem durch den lebendigen Alltagsbezug; die sonst übliche schriftliche Hochsprache, geprägt vom Koran, wurde kräftig mit Alltagsidiomen aufgepeppt. Auch die "heilige Sprache" des Hebräischen, vorher nur religiösen Inhalten vorbehalten, öffnete sich. Unter strukturellen und metaphorischen Einflüssen arabischer Dichtung reicherte sich die hebräische Dichtung ganz unheilig mit Themen wie körperliche
    Liebe, Rausch, Freundschaft und Naturbegeisterung an.

    Heute klingt das seltsam angesichts zweier Gesellschaften, deren gegenseitige Einflussnahme vor allem auf Vergeltung beruht. Da kann ein Übersetzer leicht auf den Gedanken kommen, sich in der Übertragung sprachlich rückwärts und zwar an fünf- und sechshebige Jamben zu wenden, an Bilder, in denen "Pfirsiche so wohlgerundet wie der Mädchen Brüste sind", und "ach! der Trennungsschmerz" unbedingt das Pathos eines solchen Ausrufs braucht. Was einerseits der Lage angemessen seltsam und befremdlich wirkt. Was andererseits mit unserem Schulbuchliteraturverständnis immer noch besser in Einklang zu bringen ist als das, was sich zur Blütezeit andalusischer Dichtung in monogereimten Langgedichten geäußert haben mag.

    Gefallen muss das nicht jedem. Aber Bossong hat in der berühmten Übersetzer-Klemme gesteckt: bleibt er dem Original allzu treu, provoziert er eine Fremdheit in Texten, die dem damaligen Publikum überhaupt nicht fremd gewesen sein dürften. Konzentriert er sich dagegen zu sehr auf den sprachlichen Gegenwartsbezug, verschwinden die Besonderheiten. Bossongs Übersetzungen machen in Metrum und Rhythmus Anleihen bei Klassik und Romantik. Angesichts dieser durchaus einleuchtenden Formenstrenge erscheint die antiquierte Wortwahl allerdings unnötig und aufgesetzt.

    Ein großes Verdienst kommt der Anthologie "Das Wunder von al-Andalus" allemal zu: das der Archivierung. Viele der hier versammelten Gedichte liegen zwar bereits als Übersetzungen in verschiedene europäische Sprachen, aber noch nicht als deutsche Fassungen vor.
    Dank der ausführlichen Begleittexte erfährt man zudem etwas über andalusische l' art pour l'art, die in der sogenannten "Schule von Valenia" deutlich ausgeprägt war. Diese Dichtung betrieb das übliche Herrscherlob nur noch als geistreiches Spiel, nicht mehr wie zuvor als politische Botschaft.
    Außerdem sind nun Texte auf deutsch zugänglich, mit denen Ibn Zamrak die Wände und Brunnen der Alhambra ausgestaltete und zu einem Kunstwerk beitrug, in dem sich Dichtung, Kalligraphie und Architektur auf einmalige Weise verbinden.

    Alle hier versammelten Dichter und Dichterinnen werden mit einem sorgfältig recherchierten Lebenslauf vorgestellt; so auch Dunash Ben Labrat. Er versuchte um 940, die Metrik des Arabischen im Hebräischen nachzubilden und belebte so die hebräische Literatur auf spanischem Boden neu. Man erfährt außerdem von der heftigen Leidenschaft, die den Dichter Ibn Zaydun, ein Klassiker der andalusisch-arabischen Literatur, mit der Prinzessin Wallada verband. Wallada muß nicht nur schön, sondern intellektuell aufregend gewesen sein. Selbst Dichterin und Staatsfrau, versammelte sie nach dem Tod ihres Vaters, des Kalifen von Cordoba in den Jahren 1024 bis 1025, Künstler und Gelehrte um sich. Als Ibn Zaydun sich mit einer ihrer schwarzen Sklavinnen einließ, wurden aus den gegenseitigen Liebesgedichten, dann allerdings Schmäh-und Spottverse.

    "Ach, wenn du Achtung zeigtest unserer Liebe / nie hättest meine Sklavin du erwählt!/ Den Zweig voll Schönheitsfrucht hast du verlassen / und wandtest unfruchtbarem Ast dich zu. Du weißt, ich bin der volle Mond am Himmel! Wie kannst du in Planeten dich verlieben?"

    Die Liebe ist eines der großen Themen dieser Dichtung, für die es im Arabischen nicht nur eine größere Wortvielfalt als im Deutschen gibt. Die Liebe schien in al-Andalus auch mit größerer geistiger Freiheit verbunden als heute. Oft ist den Gedichten das Geschlecht des oder der Angebeteten nicht zu entnehmen, Schönheit ging durch die Körper hindurch, machte sie erotisch lesbar, aber offenbar außerhalb der uns bekannten Geschlechter-Schranken. Eine Auffälligkeit, dem ein eigenes Kapitel im Vorwort gewidmet ist. Allerdings möchte Bossong alles Körperliche, sobald es homosexuell wird, lieber wegerklären und ausschließlich als religiöse Überhöhung, Mystifizierung oder Chiffre archetypischer Erfahrung lesen. Nun wäre aber zumindest zu bedenken, daß es Homosexualität als Konzept im mittelalterlichen Andalusien noch gar nicht gab, daß man zwar homosexuelle Akte, nicht aber homosexuelle Persönlichkeiten kannte. Auch das Geschlecht wurde nicht wie heute über einen biologischen Körper, sondern eher von der sozialen Rolle her bestimmt. Man könnte also vermuten, daß ein homosexueller Akt keineswegs eine gesellschaftliche Gefahr darstellte, solange die Akteure nicht aus ihren sozialen Zuschreibungen fielen und die Texte demzufolge allerdings lustvolle Lebenswirklichkeiten spiegeln und es keineswegs nur allgemein, abstrakt und idealisierend zugegangen ist.

    Dann hätte es der Verrenkungen im Vorwort nicht gebraucht. Bossong hätte die gleichgeschlechtliche Erotik als ebensolche Selbstverständlichkeit beschreiben können wie die ästhetischen Überhöhung dieser Erotik. Gleichzeitig hätte er vermieden, das nun wirklich rückwärtsgewandte, nämlich banal konventionelle Befremden der heutigen Gesellschaft gegenüber allem, was nicht heterosexuell gleichgeschaltet ist, durch großmütiges Entgegenkommen noch zu verstärken. Ein in vielerlei Hinsicht interessantes Buch.

    Georg Bossong: Das Wunder von al Andalus.
    Verlag C.H. Beck