Aus den Feuilletons

Wie lange hält der Humboldt-Hype?

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Bierdosen mit dem Konterfei von Alexander von Humboldt zum 250-jährigen Jubiläum
Zum 250. Jubiläum gibt es auch Bierdosen mit dem Konterfei von Alexander von Humboldt. © picture alliance/Nicolas Armer/dpa
Von Adelheid Wedel · 12.09.2019
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Das Jubiläum wirft seine Schatten voraus: Am 14. September jährt sich der Geburtstag von Alexander von Humboldt zum 250. Mal. Der "Tagesspiegel" sorgt sich um die Nachhaltigkeit der Humboldt-Begeisterung, die "SZ" hingegen weiß: Humboldt bleibt.
"Afrofuturismus" – ein Wort, das - so scheint es - beim diesjährigen Internationalen Literaturfestival in Berlin neu auftauchte. "Die Autorin und Juristin Petina Gappah aus Simbabwe sprach in der Eröffnungsrede des Festivals über die Lehren aus dem Kolonialismus für die Gegenwart", berichtet Annika Glunz in der Tageszeitung TAZ.
Und mit dem Satz: "Ich bin davon überzeugt, dass Afrika die Zukunft ist", verteilt die Schriftstellerin ja zweifelsfrei Vorschusslorbeeren an ihren Kontinent. An den erhofften Veränderungen war sie beteiligt: Nach Mugabes Rücktritt wollte sie als Anwältin ihr Land beraten, wie es sich unter Bewahrung der eigenen Würde für den internationalen Handel öffnen könne.

Enttäuschung über das Simbabwe nach Mugabe

"Ich wollte die Chance nutzen, selbst Teil der Veränderung zu sein und nicht nur darüber schreiben, dass sie notwendig ist", wird Gappah in der TAZ zitiert. Dort ist auch zu lesen, dass sie, "mittlerweile enttäuscht über die Entwicklung im Post-Mugabe-Simbabwe" ihren Vertrag nicht verlängert habe. In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG beugt sich Paul Ingendaay über die Personalie Gappah und wirft ihr vor, sie schweige von ihrer Rolle in Simbabwes Regime.
Und so klingt es kritisch, wenn der Autor schreibt: "Dem allmächtigen General Mnangagwa, genannt das Krokodil, dem sie anderthalb Jahre als Beraterin gedient hatte, wünschte Gappah in Berlin 'Gelegenheit für Nachdenken und Selbstreflexion', so dass er 'über die Versuchungen der Macht hinausblickt und die harten und schmerzlichen Entscheidungen trifft, die nötig sind, um Simbabwe auf den Weg wirklicher Demokratie zu bringen'".
Ingendaay bemängelt, das klänge nach Fürbitte, nicht nach politischer Analyse für ein erwachsenes Publikum. Er empfiehlt: "Das Festival, das sich etwas auf seinen Einsatz für Demokratie und Menschenrechte zugutehält, hätte bei seiner Eröffnungsrednerin viel schärfer nachfragen müssen." Noch bis zum 21. September bietet das Festival bei 247 Veranstaltungen über 120 Autor*innen aus aller Welt und seinen Gästen ein Podium für Gespräche über Literatur und über Politik.

Humboldt als Jahrhundert-Persönlichkeit

Ein anderer Schwerpunkt der Feuilletonseiten vom Freitag sind die Feierlichkeiten zum 250. Geburtstag Alexander von Humboldts in Berlin und Städten Südamerikas. Die Überschrift im TAGESSPIEGEL "Durchs Jahr mit AvH" macht deutlich, worum es geht: Eine Jahrhundert-Persönlichkeit wird gewürdigt.
Rüdiger Schaper macht es uns vor. Er, dessen Humboldt-Biografie im März 2018 erschien, schreibt: "Ich bin seit sechs Jahren Humboldt, so lange beschäftige ich mich intensiv mit diesem Kosmos, der sich ausdehnt wie das Universum um und über uns, in dem wir nicht einmal Sandkörner sind."
Zweifelsfrei: Humboldt erlebt einen Hype. Doch da fragt der Autor: "Wie lange hält das über den 14. September, das Jubiläum, hinaus?" Vorerst aber lässt er uns teilhaben an seinem Wissen, zum Beispiel an der Antwort auf die immer wieder gestellte Frage nach Humboldts Privatleben.
Schaper dazu: "Nun, er liebte Männer und war auch bei Frauen manchmal nicht abgeneigt. Er wird sich zurechtgefunden haben. Er war berühmt, stets unter Menschen, alle Türen standen ihm offen. Humboldts Liebesleben mit allen seinen Verstecken kann man sich als eine Mischung aus heftigen Aufwallungen, langen Durststrecken, viel Herzschmerz und einer Variation von mehr oder weniger bequemen Lösungen im Alltag vorstellen."

Neben Napoleon der berühmteste Europäer

Schapers Begeisterung für den Jubilar ist kaum zu toppen. Er nennt ihn "einen positiv Verrückten mit all seinen Gewalttouren und lebensgefährlichen Expeditionen, seinem unfassbaren Arbeitspensum". In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG nennt Jens Bisky den Jubilar einen "Berliner Nomaden". Er war der berühmteste Europäer neben Napoleon, sein ungeheures Werk aber war nur in Ausschnitten bekannt: Allmählich wird der Entdecker Humboldt neu entdeckt. Auf Seite 14 gibt die SZ Hinweise für Lektüre zu Humboldt und bietet die Motivation für Lese-Neugier: "Wir leben in der Zeit seiner Wiederentdeckung."
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