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Haushaltsdebatte und Flüchtlingshilfe
"Was bezahlt werden muss, wird auch bezahlt"

In den vergangenen Jahren sei gut gehaushaltet worden, deswegen gebe es in diesem Jahr Überschüsse von gut sechs Milliarden Euro, sagte SPD-Vizefraktionschef Carsten Schneider im DLF. Dieses Geld werde nun für die Kosten genutzt, die im Zusammen mit den Flüchtlingen entstehen. Da dürfe nicht gespart werden, so der Haushaltpolitiker.

Carsten Schneider im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 08.09.2015
    SPD-Bundestags-Mitglied Carsten Schneider diskutiert während eines Streitgesprächs.
    Carsten Schneider, SPD-Vizefraktionschef (imago/Christian Schroth)
    Nur weil es die Haushaltsüberschüsse gebe, könnten nun die erforderlichen Ausgaben für die Flüchtlinge geleistet werden, ohne dass es den Haushalt überfordere. Welche Kosten allerdings zum Beispiel bei der Unterbringung von Flüchtlingen entstehen würden, könne man nicht absehen - und daher auch nicht einschätzen, ob die sechs Milliarden reichen werden.
    Ziel sei es, bei den Leistungen, die der Staat bisher geleistet hat - also bei den Sozialausgaben, bei den Investitionen und auch den kommenden Ausgaben für Flüchtlinge - nicht zu sparen. Wichtig seien auch Ausgaben für Sprachkurse und Investitionen für schnelle Arbeitsmarktintegration. Das alles stehe nun im Vordergrund und man könne es für 2016 finanzieren, betonte der Haushaltspolitiker Schneider. Wie sich die Haushaltssituation danach weiterentwickeln werde, sei aktuell nicht seriös vorauszusagen. Ein ausgeglichener Haushalt und die schwarze Null bleibe aber weiterhin ein Ziel von hoher Priorität, so Schneider.
    Dass sich angesichts der Flüchtlingskrise einige in Europa gänzlich vom Acker machten und manche Staatschefs sehr stark auf der Klaviatur des Nationalismus spielen würden, sei eine extreme Gefahr auch für die Werte in Europa. Deutschland habe in dieser Krise hingegen eine kluge und weitreichende Entscheidung getroffen, sagte SPD-Politiker Schneider. Viele andere Länder seien aber auch beschämt und zum Beispiel in Großbritannien bewege sich nun ja auch etwas.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: In vielen deutschen Städten werden Flüchtlinge in diesen Tagen äußerst freundlich empfangen. Überall sehen wir Bilder von Menschen, die Wasserflaschen, Kleidung und Spielzeug bereithalten. Aber die Unterbringung und die Verpflegung von vielen Tausend Flüchtlingen, die ist natürlich sehr viel aufwendiger. Das alles kostet Geld. Heute beginnen nun im Bundestag die Etatberatungen. Wolfgang Schäuble wird seine Haushaltsplanung für das kommende Jahr einbringen, und auch da werden die Flüchtlinge eine wichtige Rolle spielen. Carsten Schneider ist Haushaltspolitiker und Fraktionsvize der SPD im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Schneider.
    Carsten Schneider: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Schneider, ist die schwarze Null noch wichtig, wenn es um die Versorgung von Tausenden von Flüchtlingen geht?
    Schneider: Na ja, sie ist erreichbar. Es ist ein grundsätzliches Ziel, das wir uns in der Finanzpolitik gegeben haben, mit den Einnahmen auch die Ausgaben zu decken, und wir haben da gut gehaushaltet in den vergangenen Jahren, auch sehr vorsichtig. Deswegen gibt es Überschüsse in diesem Jahr von gut sechs Milliarden Euro, die man derzeit absehen kann, und die werden wir erst mal dafür nutzen, um die Kosten, die im Zusammenhang mit den Flüchtlingen entstehen, beim Bund, aber auch bei den Ländern und Kommunen zu decken. Ob das dann auf Dauer für die nächsten drei oder vier Jahre reicht, das ist derzeit wirklich nicht absehbar.
    "Die schwarze Null ist schon die ganze Zeit unser Ziel"
    Armbrüster: Aber das Mantra der schwarzen Null, das hat jetzt auch die SPD geschluckt?
    Schneider: Wie meinen Sie das?
    Armbrüster: Na ja, das ist jetzt auch Ihr Ziel, die schwarze Null auf jeden Fall zu erreichen?
    Schneider: Ich habe so nachgefragt, weil mich das irritiert hat. Das ist schon die ganze Zeit unser Ziel. Wir haben ja auch die Schuldenbremse im Grundgesetz beschlossen. Die war eine Idee auch von Peer Steinbrück und von daher ist das jetzt keine Überraschung, dass wir für ausgeglichene Haushalte sind, für mich zumindest nicht.
    Armbrüster: Wie sicher können Sie sich denn sein, dass es im kommenden Jahr tatsächlich bei den sechs Milliarden Euro bleibt?
    Schneider: Da kann ich mir gar nicht sicher sein. Ich bin da auch sehr vorsichtig heute mit Prognosen, weil man täglich ja sieht, wie viele Menschen kommen, und auch nicht absehen kann, welche Kosten denn tatsächlich auch bei der Unterbringung, der Erstellung von Unterbringung damit entstehen. Ein kleines Beispiel: In meiner Heimatstadt Erfurt ist die gesamte Messehalle jetzt geräumt worden für eine Erstaufnahmestelle, und das ist natürlich auch mit Ausfällen bei dem Betreiber verbunden etc. etc. Ich halte das so, wie Wolfgang Schäuble es auch gesagt hat: Was bezahlt werden muss, wird auch bezahlt. Vor allen Dingen auch Fragen der Integration derjenigen, die dann bei uns bleiben, die sind extrem wichtig und das ist gut investiertes Geld, was sich langfristig auch rechnen wird.
    Armbrüster: Haben Sie den Eindruck, dass der Bundesfinanzminister da genügend Flexibilität zeigt?
    Schneider: Ja. Ich wäre ja fast erstaunt gewesen, wenn es am Sonntag im Koalitionsausschuss nicht zu einer Einigung und auch zu einer Zahl gekommen wäre. Die SPD hat darauf gedrungen, weil wir können ja nicht eine Haushaltsdebatte beginnen und auch angesichts der Flüchtlingssituation Kommunen und Ländern nicht sagen, was sich der Bund vorstellen kann einzubringen. Von daher war das eine Verpflichtung, jetzt auch Klarheit zu haben. Wir haben eher zu lange gewartet.
    "Ein ausgeglichener Haushalt und die Null bleibt ein prioritäres Ziel"
    Armbrüster: Jetzt wundern sich viele Leute und sagen, na ja, wenn schon absehbar ist, dass sechs Milliarden möglicherweise gar nicht zu erreichen sind, was kann man denn noch einplanen? Wie viel darüber hinaus kann denn noch ausgegeben werden, um die schwarze Null tatsächlich zu erreichen?
    Schneider: Das Ziel ist, dass wir alle Leistungen, die der Staat bisher geleistet hat, sowohl bei den Sozialausgaben als auch bei den Investitionen - wir haben ja auch mit dem Nachtragshaushalt eine Verstärkung von Investitionen in Klimaschutz, aber auch bei den Kommunen -, dass das geleistet wird, und auch die Fragen der Integration von Flüchtlingen, dass da nicht gespart wird. Da gibt es ja genug Fehler, die in den vergangenen Jahrzehnten gemacht wurden, und deswegen sind Sprachkurse und schnelle Arbeitsmarktintegration extrem wichtig und das steht im Vordergrund.
    Alles andere werden wir jetzt finanzieren können auch für 2016, und was wir dann '17, '18, '19 machen, das hängt von ganz vielen Dingen ab, auch wie sich die Konjunktur entwickelt, und das kann man derzeit nicht seriös einschätzen. Deswegen bleibt ein ausgeglichener Haushalt und die Null auch ein prioritäres Ziel und ich erwarte ansonsten Vorschläge auch des Finanzministers, wie das zu erreichen ist.
    Armbrüster: Aber zeigt denn nicht die aktuelle Entwicklung gerade, dass dieses Ziel, die schwarze Null oder auch die Schuldenbremse, eigentlich ein viel zu enges Korsett ist, gerade wenn man mit aktuellen Entwicklungen fertig werden muss, die möglicherweise vor wenigen Wochen oder Monaten noch niemand so vorausgesehen hat?
    Schneider: Ich kann das nicht erkennen, denn durch die, ich sage mal, sehr sparsame Haushaltspolitik, die natürlich auch bedingt ist durch die Schuldenbremse, ist es uns gelungen, Überschüsse zu erwirtschaften, und nur weil wir diese haben, können wir jetzt ja auch die Kosten im Zusammenhang mit den Flüchtlingen erbringen, ohne dass es uns überfordert. Im Gegenteil: Wir haben die Mittel und es zahlt sich jetzt aus, dass man auch in guten Zeiten nicht alles raushaut, sondern da auch sparsam wirtschaftet und in Zeiten, wo man besondere Investitionen braucht, die Mittel dafür auch hat. Von daher sehe ich das eher als eine Bestätigung des Regelwerks, was wir dazu haben.
    "Deutschland hat eine kluge und weitreichende Entscheidung getroffen"
    Armbrüster: Wenn Sie jetzt als Haushaltspolitiker mal den Blick weiten und nach Europa blicken, kommen Ihnen da auch Forderungen in den Sinn, dass möglicherweise der Rest Europas etwas mehr tragen muss, damit auch der deutsche Haushalt nicht allzu sehr belastet wird mit diesen Entwicklungen?
    Schneider: Ich finde, das ist, glaube ich, eher eine Frage der Gerechtigkeit und einer gemeinsamen europäischen Antwort auf eine weltweite Krise, die auf Europa ihren Niederschlag hat. Dass einige sich gänzlich vom Acker machen und Staatschefs sehr stark auf der Klaviatur des Nationalismus spielen, das ist eine extreme Gefahr für die Werte in Europa, so wie ich sie zumindest verstehe. Ich glaube, dass Deutschland jetzt eine kluge und weitreichende Entscheidung getroffen hat, und viele in anderen Ländern, wenn ich mir die internationale Presse anschaue, auch beschämt sind und sich dort auch zum Beispiel in Großbritannien, aber auch in Osteuropa jetzt was bewegt. Das hat für mich nicht so sehr finanzielle Aspekte, sondern eine Frage der Gerechtigkeit, dass nicht nur in einem oder in zwei, drei Ländern - die Schweden und die Österreicher machen auch sehr viel - quasi die gesamte Last hängenbleibt.
    Armbrüster: Aber könnte es nicht sein, dass Deutschland hier mal wieder der Zahlmeister ist?
    Schneider: Gerade bei diesem Thema, wenn es um politisch Verfolgte geht, dann sollte man kein Erbsenzähler sein, und das bin ich auch nicht.
    Armbrüster: Ist denn eine Gefahr, dass wir uns in Deutschland künftig bestimmte Projekte nicht mehr leisten können, weil wir Geld für Flüchtlinge ausgeben?
    Schneider: Das ist natürlich die Kernfrage, wie sich das in den nächsten Jahren entwickeln wird. Für 2016 wird das nicht der Fall sein und dann ist ein ganz entscheidender Punkt, wie sich die gesamten anderen Rahmendaten äußern oder ändern, also in Bezug auf die Arbeitslosigkeit, aber auch das Wirtschaftswachstum. Bisher kann man das aus Überschüssen finanzieren. Ob das von Dauer ist, steht in den Sternen. Das kann ich Ihnen seriös heute nicht beantworten. Ich kann Ihnen nur das beantworten, was wir im Bundestag beschließen werden im Laufe der nächsten drei Monate, und das wird für 2016 sein. Da wird es ohne gehen, ohne Kürzungen an anderer Stelle und ohne neue Schulden.
    Armbrüster: Was, Herr Schneider, ist denn mit dem Betreuungsgeld? Würde die eingesparte Milliarde nicht prima passen für die Flüchtlingshilfe?
    Schneider: Manuela Schwesig hat sich ja auch im Namen unserer Fraktion da festgelegt, dass wir einen großen Teil der Mittel, die aber erst im Jahre 2018 wirklich auszahlungsfähig sind, dafür verwenden, sie auch in den Kita-Ausbau zu investieren. Das ist auch zwingend notwendig, weil wir werden jede Menge Menschen auch haben, die nicht nur, weil wir mehr Kinder haben und mehr Geburten, die Kitas nutzen, sondern natürlich auch aus dem Integrationsgedanken heraus. Deswegen bin ich dagegen, dass dieses Geld jetzt eingespart wird, sondern dass wir es in den Ausbau der Kinderbetreuung, insbesondere die Qualität dort investieren.
    Armbrüster: ... sagt hier bei uns Carsten Schneider, SPD-Fraktionsvize und Haushaltspolitiker seiner Partei. Vielen Dank, Herr Schneider, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Schneider: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.