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Haushaltsdisziplin "auf jeden Fall sinnvoll"

Nach Ansicht von Jan Vosswinkel muss der Rettungsschirm so ausgestattet sein, dass er "auch retten kann". Gleichzeitig müsse die EU jedoch zu einem glaubwürdigen Stabilitätspakt zurückkehren - beispielsweise mit einer nationalen Schuldenbremse der einzelnen EU-Länder.

Jan Vosswinkel im Gespräch mit Gerd Breker | 18.01.2011
    Gerd Breker: Die Euroländer wollen den Rettungsschirm für Staaten in Finanznot möglichst rasch verstärken. "Wir werden die Arbeit beschleunigen, um dem Europäischen Rat so schnell wie möglich ein Ergebnis vorzulegen", erklärte der Vorsitzende der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker. Das Problem ist, wie der ursprünglich zugesagte Betrag von 440 Milliarden Euro auch tatsächlich als Kreditvolumen genutzt werden könnte. Deutschland ist der größte Bürge des im Mai unter dem Druck der Griechenlandkrise eilig geschaffenen Rettungsschirms und sperrt sich gegen eine Ausweitung des Rettungsschirms - bislang, muss man wohl sagen. Heute nun beraten sämtliche Finanzminister der Europäischen Union. Am Telefon bin ich nun verbunden mit Jan Vosswinkel, Volkswirt am Centrum für Europäische Politik in Freiburg. Guten Tag, Herr Vosswinkel.

    Jan Vosswinkel: Schönen guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Es geht um die Ausweitung des Rettungsschirms, die Finanzmärkte erwarten dies. Das heißt, sie werden auch weiter spekulieren?

    Vosswinkel: Ja. Wenn man sich die politischen Entscheidungen der jüngsten Vergangenheit anschaut, dann sieht es so aus, dass der Euro-Rettungsschirm, wenn es erforderlich sein sollte, auf jeden Fall aufgestockt werden wird. Was derzeit fraglich ist, ist, glaube ich, die Frage des Timings und die Frage, unter welchen Umständen man den Rettungsschirm noch mal über die bestehenden 750 Milliarden hinaus aufstocken wird.

    Breker: Dass die Finanzmärkte weiter spekulieren, Herr Vosswinkel, das bedeutet einfach, aufseiten der Spekulanten ist das Vertrauen in eine solide Haushaltspolitik der Kandidaten nicht vorhanden?

    Vosswinkel: Ja, wobei ich jetzt nicht sagen würde, dass wir ein besonderes Spekulationsproblem haben. Es geht ja hier um Staatsanleihen, und Staatsanleihen werden normalerweise von konservativen Anlegern verwendet. Es ist nur so, dass das Vertrauen in die Solidität der Haushaltsführung einzelner Mitgliedsstaaten nachhaltig erschüttert ist, und es wird einige Zeit brauchen, bis dieses Vertrauen wieder hergestellt ist. Was die EU jetzt leisten kann, ist, übergangshalber mit diesem Rettungsschirm dieses fehlende Vertrauen ein Stück weit zu ersetzen.

    Breker: Es ist und es war definitiv ein Fehler, eine gemeinsame Währung ohne eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik einzuführen. Das ist der Grundkonstruktionsfehler des Euro?

    Vosswinkel: Das würde ich so nicht ohne Weiteres unterschreiben. Die Entscheidung zur Europäischen Währungsunion wurde getroffen, weil man ein politisches Prestigeprojekt haben wollte, das die politische Einigung Europas unterstreicht und auch unumkehrbar macht. Das ist auch grundsätzlich durchaus zu begrüßen. Was zu Beginn der Währungsunion angedacht war, ist, dass man die Mitgliedsstaaten voll verantwortlich macht für ihre eigene Haushaltsführung und kein Mitgliedsstaat für Haushaltsprobleme von anderen Mitgliedsstaaten einspringen muss. Dies sollte dafür sorgen, dass jeder Mitgliedsstaat die Anreize hat, solide zu wirtschaften. Mit der Zeit ist es mit dieser Solidität nicht ganz so ernst genommen worden. Das war auch ein Fehler, den Deutschland und Frankreich mitgemacht haben, als sie 2003 im Grunde einem Sanktionsverfahren ausgesetzt waren und dies Kraft ihrer politischen Macht ausgesetzt haben, und so ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt nie voll ernst genommen worden. Und jetzt haben wir die Situation, dass wir keine Verpflichtung auf Stabilität de facto hatten in den letzten Jahren, nun aber auch die Märkte das Vertrauen verloren haben, und mit der Situation muss man jetzt umgehen.

    Breker: Deutschland und Frankreich haben den Fehler damals gemacht, Deutschland und Frankreich waren es auch, die den Automatismus von Sanktionen bei Verstößen gegen die Haushaltsdisziplin nun abgeschafft haben, den nicht mehr auf dem Programm stehen haben. War das ein Fehler?

    Vosswinkel: Meines Erachtens ja. Wenn wir jetzt darüber reden, dass die in Frage stehenden Summen des Rettungsschirms vielleicht nicht ausreichen und aufgestockt werden müssen, dann sollten wir auch wieder einmal darüber reden, was wir denn noch tun können. Einfach jetzt per Blanko-Ermächtigung den Rettungsschirm vom Volumen her noch zu vergrößern, wird meines Erachtens nicht für zusätzliches Vertrauen sorgen, sondern ich denke, dass auch im Interesse der Staaten, die jetzt gerade aktuelle Probleme haben, man zwei Schritte gleichzeitig machen müsste. Der Rettungsschirm muss so ausgestattet werden, dass er tatsächlich auch retten kann. Gleichzeitig muss für die Zukunft sichergestellt werden, dass eine solche Situation nicht wieder eintritt, und das können wir nur dann schaffen, wenn wir zurückkehren zu einem glaubwürdigen Stabilitäts- und Wachstumspakt, was auch heißt, dass wenn ein Mitgliedsstaat gegen die Vorschriften verstößt, er nicht mehr mit politischer Macht und politischem Verhandlungsgeschick etwaigen Sanktionen ausweichen kann, sondern dass es dann eben automatische Strafen gibt für die Staaten.

    Breker: Müsste man vielleicht so eine Art Schuldenbremse, wie wir sie ja im Grundgesetz haben, in die europäische Verfassung, in den Lissabon-Vertrag aufnehmen?

    Vosswinkel: Ja, die eine Frage wäre, ob wir so etwas in der europäischen Verfassung brauchen. Wo diese Schuldenbremse auf jeden Fall sinnvoll wäre, ist in den Verfassungen der Mitgliedsstaaten. Es ist doch bestimmt im Interesse von Mitgliedsstaaten, wo das Vertrauen in die Solidität derzeit nicht so hoch ist, wenn diese Mitgliedsstaaten sich entschließen, selbst eine Schuldenbremse bei sich einzuführen und dann eben im nationalen Verfassungsrecht festgeschrieben haben, dass sie sich nicht übermäßig verschulden dürfen. Dies würde mit Sicherheit für zusätzliches Vertrauen an den Finanzmärkten in der Zukunft sorgen.

    Breker: Deutschland ist der größte Bürge jetzt bei diesem Rettungsschirm, auch wenn er nicht ausgeweitet werden sollte, Herr Vosswinkel. Das heißt, der deutsche Steuerzahler muss derzeit dafür aufkommen, wenn in Griechenland, Portugal, Irland, Spanien, Italien soziale Wohltaten verteilt werden, nehmen wir zum Beispiel mal das Renteneintrittsalter, was ja bei uns auf 67 erhöht wurde. Da liegen ja fast alle drunter.

    Vosswinkel: Ja. Deutschland hat derzeit 148 Milliarden Euro im Rahmen dieses Rettungsschirms zugesagt, und wenn es so kommen sollte, dass mehr Geld benötigt wird, muss Deutschland dies auch noch mal aufstocken. Das ist schon eine beachtliche Summe. Je höher die deutsche Verpflichtung wird, desto mehr wird im Grunde auch der Widerstand wachsen des deutschen Steuerzahlers, hier noch mehr hineinzahlen zu wollen, wenn er sieht oder den Eindruck hat, dass woanders Geld ausgegeben wird, das man in Deutschland sich schon längere Zeit spart. Insofern besteht wirklich die Gefahr, dass entgegen der eigentlichen Intention die Europäische Wirtschaftsunion nicht für mehr Harmonie und Zusammenarbeit in Europa sorgt, sondern auch tatsächlich politische Konflikte schürt. Die Politik sollte, denke ich, jetzt sehr daran arbeiten, dass dieser Konflikt sich nicht zuspitzt.

    Breker: Ist das nicht etwas mehr, Herr Vosswinkel, als nur ein Vermittlungsproblem der Politik? Ist es nicht so, dass diese Währungsunion de facto jetzt schon eine Transferunion ist?

    Vosswinkel: Derzeit besteht die Gefahr, dass wir zu einer dauerhaften Transferunion werden. Noch ist dies nicht endgültig entschieden. Ich denke, es hängt davon ab, wie sich jetzt die Mitgliedsstaaten und die EU in den nächsten Jahren verhalten. Wenn man dafür sorgt, dass dieser Rettungsschirm ein vorübergehendes Ereignis bleibt, aus der Not geboren, und man dann wieder auf solide Haushaltspfade kommen kann, dann können wir die Gefahr einer Transferunion auch vermeiden. Wenn dies jetzt nicht gelingt, sondern zum Beispiel wir den Rettungsschirm nur aufstocken, aber keine weiteren Regeln für eine bessere Wirtschafts- und Haushaltspolitik schaffen, dann besteht die Gefahr, dass es dauerhaft eine Transferunion wird, und dies wiederum verstärkt dann auch die Gefahr, wie ich gerade schon sagte, dass es politischen Widerstand gegen dieses europäische Projekt gibt.

    Breker: Herr Vosswinkel, wagen Sie eine Prognose? Wann wird Portugal den europäischen Rettungsschirm in Anspruch nehmen?

    Vosswinkel: Das ist Kaffeesatzleserei. Daran kann ich mich nicht beteiligen. Aber die Gefahr ist schon durchaus ernst, dass dies in den nächsten Monaten geschieht.

    Breker: Vom Centrum für Europäische Politik in Freiburg war das Jan Vosswinkel. Er ist dort Volkswirt. Herr Vosswinkel, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.