Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Hausstauballergie
Forscher ergründen molekulare Hintergründe

Schnupfen, Kopfschmerzen, Atemnot: Bei Hausstauballergie reagiert unser Immunsystem auf eigentlich harmlose Stoffe mit heftigen Abwehrreaktionen. Forscher der Charité Berlin und der Universität Wien haben sich die Entwicklung der Hausstauballergie genauer angeschaut und festgelegte Muster entdeckt.

Von Sophia Wagner | 09.01.2017
    Vieltausendfach vergrößerte, undatierte Mikroskop-Aufnahme einer Hausstaubmilbe (lat.: Dermatophagoides pteronyssinus).
    Die Hausstaubmilbe - ein aggressiver Allergieauslöser (dpa/ picture alliance/ Fotoreport Scherax)
    Ein Drittel der Deutschen leidet an Allergien. Allergien sind Autoimmunreaktionen. Das Immunsystem sieht eine Bedrohung wo eigentlich keine ist. Am weitesten verbreitet ist die Stauballergie, ausgelöst von winzigen Spinnentierchen: den Hausstaubmilben. Dr. Paolo Matricardi von der Charité ist Allergologe. Zusammen mit seiner Arbeitsgruppe hat er sich angeschaut, wie das Immunsystem auf ganz bestimmte Milbenstoffe reagiert. Zum Beispiel auf Bestandteile des Kots oder auf Eiweiße aus den Beinmuskeln der Milben.
    "Wir hatten für unsere Untersuchung eine große Serumdatenbank zur Verfügung. Ein wahrer Schatz der Wissenschaft."
    Die Serumdatenbank enthält Blutproben von 722 Kindern. Sie wurden von ihrer Geburt 1990 bis zu ihrem 20. Geburtstag jedes Jahr untersucht.
    Man nennt das eine Geburts-Kohorten-Studie.
    Mit dieser Studie wollten die leitenden Ärzte herausfinden, wie und wo genau Allergien im Immunsystem entstehen. Zu Beginn der Studie konnte man darüber allerdings nur sehr allgemeine Aussagen machen. Die Forscher waren noch nicht in der Lage, einzelne Milbenstoffe zu isolieren. Heute können sie viel genauer arbeiten.
    Statt die früher üblichen Extrakte aus der gesamten Milbe zu verwenden, haben wir die Blutproben auf Antikörper zu 12 ganz spezifischen Milbenmolekülen getestet.
    Stoffe aus dem Kot oder Muskeln von Milben
    Bei diesen Molekülen handelt es sich um die Stoffe aus dem Kot oder den Muskeln der Milben. Sie wurden in vorherigen Studien als die wahrscheinlichen Auslöser der Allergie identifiziert und im Labor synthetisch nachgebaut.
    Von den 722 untersuchten Kindern haben 130 in den ersten zwanzig Jahren ihres Lebens eine Allergie gegen Staubmilben entwickelt. Die schrittweise Entwicklung der Allergie scheint dabei einem festgelegten Muster zu folgen. Alle Kinder haben als erstes Antikörper gegen drei bestimmte Stoffe aus dem Kot der Milben gebildet. Die Wissenschaftler fassen diese drei ersten Stoffe als "Gruppe A" zusammen.
    "Bei einigen Kindern wird es dann schlimmer. Sie entwickeln Antikörper gegen eine nächste Gruppe von Milbenbestandteilen, die Moleküle der Gruppe B."
    Die Gruppe B besteht aus vier Stoffen. Auch sie stammen aus dem Milbenkot. Mit einer Reaktion gegen diese Stoffgruppe wird die Allergie stärker, das Risiko für Asthma steigt. Manche Betroffene bilden dann auch noch Antikörper gegen eine letzte Gruppe von fünf Milbenstoffen, die Gruppe C. Diese Stoffe stammen nicht aus dem Kot, sondern direkt vom Milbenkörper selbst.
    "Diese Entwicklung und Steigerung von A, zu B, zu C scheint eine Regel zu sein, der alle Kinder gefolgt sind."
    Die Kotpartikel der Gruppe A und B sind so leicht, dass sie eingeatmet werden. Die Reaktion auf die Milben selbst folgt erst später, vermutlich weil sie schwerer sind und man ihnen nur über Hautkontakt ausgesetzt ist. Die Gruppe C - Stoffe stehen deshalb auch in Verbindung mit Neurodermitis.
    Wie hoch das Risiko für eine Allergie ist, hängt laut Paolo Matricardi vor allem von zwei Dingen ab:
    "Genetische Faktoren und Umweltfaktoren."
    Immunsystem von Babys ist nicht auf hygienisch-keimfreie Umgebung eingestellt
    Also zum einen Vererbung. Kinder deren Eltern schon Allergien oder Asthma hatten, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit später auch mehr Antikörper und dadurch eine schwerere Allergie zu entwickeln.
    "Außerdem haben wir gesehen, dass Kinder die in den ersten zwei Jahren mehr Kontakt mit Milben hatten, ein höheres Risiko für Allergieerkrankungen haben."
    Das liegt daran, dass das Immunsystem sich noch nicht an unsere hygienisch-keimfreie Umgebung angepasst hat. Weil es keine Krankheitserreger zu bekämpfen gibt, kommt es zu Fehlern im Immunsystem. Eigentlich harmlose Dinge, wie zum Beispiel Staubmilben, werden als Gefahr eingestuft. Und je mehr Milben da sind, desto wahrscheinlicher ist diese Fehlinterpretation. Trotzdem ist Paolo Matricardi hoffungsvoll:
    "Wir haben mit unserer Untersuchung die Basis für das genaue Verständnis des immunologischen Mechanismus geliefert. Das wird helfen die Behandlung zu präzisieren."
    In Zukunft kann man so genau untersuchen auf welche Milbenstoffe der Einzelne reagiert. Außerdem weiß man mehr über die schrittweise Entstehung. Deshalb hofft Paolo Matricardi, die Hausstauballergie bald mildern zu können. Zum Beispiel durch eine Allergie-Impfung von Risikopatienten.