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Haustiere
Juden mit Hund

In vielen Religionen haben Tiere eine besondere Bedeutung: Kühe sind den Hindus heilig, Schweine gelten im Islam und im Judentum als unrein. Auch Hunde sind für viele Juden bis heute unreine Tiere - werden aber trotzdem als Haustier immer beliebter. Die israelische Historikerin Rakefet Zalashik ist der traditionellen Hunde-Ablehnung auf den Grund gegangen.

Von Tobias Kühn | 26.02.2016
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    Hundehaltung galt unter Juden lange als heidnische Narretei (dpa/picture-alliance/ Sebastian Kahnert)
    Noa Laron lebt mitten in Berlin. Jeden Tag geht sie mit ihrem kleinen Hund spazieren. Er ist braun-weiß-gescheckt, hat langes Fell und Schlappohren.
    "Puhdy ist vier Jahre alt und ein Cavalier King Charles, das ist eine Spaniel-Art. Das waren früher Jagdhunde, aber das sind unglaublich soziale Hunde. Er ist wahnsinnig lieb. Es gibt nie irgendwelche Beißereien mit anderen Hunden, die sind einfach total nett."
    Noa Laron ist Jüdin, und Juden haben traditionell ein eher zwiespältiges Verhältnis zu Hunden. Hunde galten als unrein, man sollte sie nicht im Haus haben. Die israelische Historikerin Rakefet Zalashik wollte wissen, wie es zu dieser Abneigung kam. Sie bat Kollegen, das Thema zu erforschen. Entstanden ist ein Aufsatzband mit dem Titel "A Jew’s Best Friend?" – Der beste Freund eines Juden?
    Als Juden und Hunde gleichgesetzt wurden
    Zalashik erzählt, dass im Mittelalter die Kirche Juden oft mit Hunden verglich. So habe es im 14. Jahrhundert in Frankreich einen Gerichtsprozess gegeben, bei dem ein Christ angeklagt wurde, weil er Geschlechtsverkehr mit einer Jüdin hatte. Der Richter sagte, eigentlich habe der Angeklagte mit einem Hund geschlafen.
    "Beide, Juden und Hunde, galten in der christlichen Kultur dieser Zeit als etwas Schlechtes. Juden wurde unterstellt, sie würden Europa mit ihren Lebensgewohnheiten beschmutzen. Kirche und Gesellschaft setzten die Juden an die Stelle des Hundes. Hunde fressen Abfälle, lecken ihre Wunden, fressen rohes Fleisch und Blut. Wir kennen all die antisemitischen Anschuldigungen, zum Beispiel, dass Juden das Blut christlicher Kinder trinken würden. Und weil beide, Juden und Hunde, die Anderen waren, die Ausgestoßenen, war es leicht zu sagen: Sie sind gleich."
    Die Juden litten unter diesem Vergleich und distanzierten sich über Jahrhunderte von Hunden. Ein jiddisches Sprichwort sagt: "Wenn ein Jude einen Hund hat, ist entweder der Hund kein echter Hund oder der Jude kein echter Jude." Dass ein Jude einen Hund hielt, war ein Ding der Unmöglichkeit – es galt als heidnische Narretei. In religiösen Kreisen herrscht diese Ansicht bis heute.
    "Orthodoxe Juden in Israel würden nie einen Hund halten, sie haben Angst vor Hunden. Es herrscht dort noch immer die traditionelle Auffassung, dass Hunde etwas sind, das zu Nichtjuden gehört, dass Hunde gefährlich sind, unmenschlich und unrein. Es gibt in der jüdischen Tradition viele Geschichten, dass Hunde gegen Juden benutzt wurden, nicht nur im Holocaust. Weil Juden selbst keine Hunde hatten, dachten sie, wenn sie jemanden mit einem Hund sahen: Es könnte gut ausgehen, aber es wäre auch möglich, dass der Besitzer zu seinem Hund sagt: Fass den Juden!"
    Gehören Hunde nur zu Nicht-Juden?
    Doch es war nicht immer so, dass Juden Hunde ablehnten. Zalashik hat herausgefunden, dass die Beziehungen viel komplexer waren. Antike Schriften berichten, dass Juden durchaus Umgang mit Hunden hatten. Die Vierbeiner halfen beim Schafe hüten oder beschützten die Kinder. Vor ein paar Jahren machten israelische Archäologen eine besondere Entdeckung: Sie fanden heraus, dass die Israeliten wahrscheinlich auch Hunde geopfert haben. Zalashik zieht daraus den Schluss, dass man damals Hunde nicht als etwas Schlechtes betrachtet hat – denn man opferte Gott nur Dinge, die man für gut hielt.
    Auch in der neueren Geschichte, seit Anfang des 20. Jahrhunderts, haben Juden offenbar immer weniger Berührungsängste vor Hunden.
    "Als sich Juden in Europa mehr und mehr assimilierten, sich der Mehrheitsgesellschaft anpassten, nahmen sie auch die Sitte an, Haustiere zu haben, um sich selbst und der Umgebung zu zeigen, dass sie völlig integriert sind. Dasselbe geschah später auch mit den Juden in Amerika: In den 60er-Jahren bestand die perfekte Familie dort aus Vater, Mutter, Kind und Hund. Viele amerikanische Juden übernahmen diesen Way of Life."
    Auch die säkularen Israelis haben den Hund als besten Freund des Menschen längst entdeckt. Wer heute durch die Straßen von Tel Aviv geht, muss aufpassen, dass er nicht auf den Schwanz eines Labradors oder Schäferhundes tritt – so viele Vierbeiner sind dort unterwegs.
    Auch für Noa Laron, die an diesem Herbstmorgen mit ihrem Cavalier King Charles spazieren geht, ist es kein Widerspruch, Jüdin zu sein und einen Hund zu haben. Doch auf manchen Gedanken können wohl nur jüdische Hundebesitzer kommen:
    "Es ist bei uns so, dass wir einen koscheren Haushalt haben, also wir essen koscher. Aber ich habe mich noch nie gefragt, ob das Hundefutter koscher sein muss."